Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Buchenbergers Agrarpolitik

Jahren, die eine von Augenblicksüberraschungen befreite, sichere kaufmännische
Kalkulation zuläßt, gewährleistet wird. Und wie wertvoll sich eine solche Art
von Handelsvertragspolitik gegebnenfalls erweist, ist angesichts des Umstandes,
daß England sür sich und seine Kolonien die zwischen ihm und dem deutschen
Reiche geltenden, aber Jahr für Jahr kündbaren Handelsverträge plötzlich
gekündigt hat, klar zu Tage getreten. Denn von dieser Kündigung wird
möglicherweise nicht nur die deutsche Industrie, sondern auch die deutsche
Landwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen, weil der englische Markt den größten
Teil des deutscheu Rübenzuckerexpvrts aufnimmt." Zu dieser Einsicht müsse
sich auch die landwirtschaftliche Bevölkerung durchringen, "denn die Behauptung
nationaler Macht und Größe des deutschen Reichs wird ohne die Erhaltung
einer blühenden Großindustrie und eines kräftig entwickelten Großhandels neben
einer breitentwickelten Landwirtschaft dauernd nicht denkbar."

Ganz entschieden weist Buchenberger auch den Antrag Kanitz in seinen
verschiednen Formen und alle andern Vorschlage zurück, die "auf staatliche
Garcmtirung eines Mindestpreises für Getreide" hinausliefen. Er legt dabei
zunächst die Unmöglichkeit dar, dnrch die Monopolisirung des Getreidehandels
das Preisproblem für Getreide befriedigend zu lösen, ferner die unüberwind¬
lichen Schwierigkeiten, die dem Staat bei Ausführung solcher Pläne erwachsen
müßten, die unabsehbaren Interessenkonflikte, in die er hineingerciten und an
denen er zu Grunde gehen würde, vor allem aber glaubt er, daß sich mit der
Annahme derartiger Pläne der denkbar verhängnisvollste Schritt auf der Bahn
eines gefährlichen Staatssozialismus vollziehen würde, bei dem es kein Auf¬
halten mehr gäbe. Rechnet man hinzu, daß der Verfasser auch die bimetalli-
stischen Bestrebungen vom Standpunkte der landwirtschaftlichen Interessen mit
überzeugenden Gründen bekämpft, daß er jede Beschränkung der Freizügigkeit
der ländlichen Arbeiterbevölkerung als unzulässig bezeichnet, daß er die Wir¬
kungen der "Freiheit des Güterverkehrs, d. h. der rechtlich bestehenden Möglich¬
keit, jederzeit und überall Grund und Boden zu verkaufen und zu kaufen, auch
über den liegenschaftlichen Besitz von Todes wegen zu verfügen," nach den jetzt
vorliegenden Erfahrungen eines Jahrhunderts für überwiegend günstig erklärt,
so wird man freilich begreifen müssen, daß dieser westdeutsche Staatsmann
vor dem preußischen Agrariertum keine Gnade finden konnte. Gerade die bis
zum Vorurteil gehende Vorliebe für die Landwirte, die das Buch diktirt hat,
macht es zu einer ungeheuer gefährlichen Waffe gegen das ostdeutsche Junker¬
tum im Bunde der Landwirte.




Grenzboten IV 189771
Buchenbergers Agrarpolitik

Jahren, die eine von Augenblicksüberraschungen befreite, sichere kaufmännische
Kalkulation zuläßt, gewährleistet wird. Und wie wertvoll sich eine solche Art
von Handelsvertragspolitik gegebnenfalls erweist, ist angesichts des Umstandes,
daß England sür sich und seine Kolonien die zwischen ihm und dem deutschen
Reiche geltenden, aber Jahr für Jahr kündbaren Handelsverträge plötzlich
gekündigt hat, klar zu Tage getreten. Denn von dieser Kündigung wird
möglicherweise nicht nur die deutsche Industrie, sondern auch die deutsche
Landwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen, weil der englische Markt den größten
Teil des deutscheu Rübenzuckerexpvrts aufnimmt." Zu dieser Einsicht müsse
sich auch die landwirtschaftliche Bevölkerung durchringen, „denn die Behauptung
nationaler Macht und Größe des deutschen Reichs wird ohne die Erhaltung
einer blühenden Großindustrie und eines kräftig entwickelten Großhandels neben
einer breitentwickelten Landwirtschaft dauernd nicht denkbar."

Ganz entschieden weist Buchenberger auch den Antrag Kanitz in seinen
verschiednen Formen und alle andern Vorschlage zurück, die „auf staatliche
Garcmtirung eines Mindestpreises für Getreide" hinausliefen. Er legt dabei
zunächst die Unmöglichkeit dar, dnrch die Monopolisirung des Getreidehandels
das Preisproblem für Getreide befriedigend zu lösen, ferner die unüberwind¬
lichen Schwierigkeiten, die dem Staat bei Ausführung solcher Pläne erwachsen
müßten, die unabsehbaren Interessenkonflikte, in die er hineingerciten und an
denen er zu Grunde gehen würde, vor allem aber glaubt er, daß sich mit der
Annahme derartiger Pläne der denkbar verhängnisvollste Schritt auf der Bahn
eines gefährlichen Staatssozialismus vollziehen würde, bei dem es kein Auf¬
halten mehr gäbe. Rechnet man hinzu, daß der Verfasser auch die bimetalli-
stischen Bestrebungen vom Standpunkte der landwirtschaftlichen Interessen mit
überzeugenden Gründen bekämpft, daß er jede Beschränkung der Freizügigkeit
der ländlichen Arbeiterbevölkerung als unzulässig bezeichnet, daß er die Wir¬
kungen der „Freiheit des Güterverkehrs, d. h. der rechtlich bestehenden Möglich¬
keit, jederzeit und überall Grund und Boden zu verkaufen und zu kaufen, auch
über den liegenschaftlichen Besitz von Todes wegen zu verfügen," nach den jetzt
vorliegenden Erfahrungen eines Jahrhunderts für überwiegend günstig erklärt,
so wird man freilich begreifen müssen, daß dieser westdeutsche Staatsmann
vor dem preußischen Agrariertum keine Gnade finden konnte. Gerade die bis
zum Vorurteil gehende Vorliebe für die Landwirte, die das Buch diktirt hat,
macht es zu einer ungeheuer gefährlichen Waffe gegen das ostdeutsche Junker¬
tum im Bunde der Landwirte.




Grenzboten IV 189771
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0571" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226801"/>
          <fw type="header" place="top"> Buchenbergers Agrarpolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1389" prev="#ID_1388"> Jahren, die eine von Augenblicksüberraschungen befreite, sichere kaufmännische<lb/>
Kalkulation zuläßt, gewährleistet wird. Und wie wertvoll sich eine solche Art<lb/>
von Handelsvertragspolitik gegebnenfalls erweist, ist angesichts des Umstandes,<lb/>
daß England sür sich und seine Kolonien die zwischen ihm und dem deutschen<lb/>
Reiche geltenden, aber Jahr für Jahr kündbaren Handelsverträge plötzlich<lb/>
gekündigt hat, klar zu Tage getreten. Denn von dieser Kündigung wird<lb/>
möglicherweise nicht nur die deutsche Industrie, sondern auch die deutsche<lb/>
Landwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen, weil der englische Markt den größten<lb/>
Teil des deutscheu Rübenzuckerexpvrts aufnimmt." Zu dieser Einsicht müsse<lb/>
sich auch die landwirtschaftliche Bevölkerung durchringen, &#x201E;denn die Behauptung<lb/>
nationaler Macht und Größe des deutschen Reichs wird ohne die Erhaltung<lb/>
einer blühenden Großindustrie und eines kräftig entwickelten Großhandels neben<lb/>
einer breitentwickelten Landwirtschaft dauernd nicht denkbar."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1390"> Ganz entschieden weist Buchenberger auch den Antrag Kanitz in seinen<lb/>
verschiednen Formen und alle andern Vorschlage zurück, die &#x201E;auf staatliche<lb/>
Garcmtirung eines Mindestpreises für Getreide" hinausliefen. Er legt dabei<lb/>
zunächst die Unmöglichkeit dar, dnrch die Monopolisirung des Getreidehandels<lb/>
das Preisproblem für Getreide befriedigend zu lösen, ferner die unüberwind¬<lb/>
lichen Schwierigkeiten, die dem Staat bei Ausführung solcher Pläne erwachsen<lb/>
müßten, die unabsehbaren Interessenkonflikte, in die er hineingerciten und an<lb/>
denen er zu Grunde gehen würde, vor allem aber glaubt er, daß sich mit der<lb/>
Annahme derartiger Pläne der denkbar verhängnisvollste Schritt auf der Bahn<lb/>
eines gefährlichen Staatssozialismus vollziehen würde, bei dem es kein Auf¬<lb/>
halten mehr gäbe. Rechnet man hinzu, daß der Verfasser auch die bimetalli-<lb/>
stischen Bestrebungen vom Standpunkte der landwirtschaftlichen Interessen mit<lb/>
überzeugenden Gründen bekämpft, daß er jede Beschränkung der Freizügigkeit<lb/>
der ländlichen Arbeiterbevölkerung als unzulässig bezeichnet, daß er die Wir¬<lb/>
kungen der &#x201E;Freiheit des Güterverkehrs, d. h. der rechtlich bestehenden Möglich¬<lb/>
keit, jederzeit und überall Grund und Boden zu verkaufen und zu kaufen, auch<lb/>
über den liegenschaftlichen Besitz von Todes wegen zu verfügen," nach den jetzt<lb/>
vorliegenden Erfahrungen eines Jahrhunderts für überwiegend günstig erklärt,<lb/>
so wird man freilich begreifen müssen, daß dieser westdeutsche Staatsmann<lb/>
vor dem preußischen Agrariertum keine Gnade finden konnte. Gerade die bis<lb/>
zum Vorurteil gehende Vorliebe für die Landwirte, die das Buch diktirt hat,<lb/>
macht es zu einer ungeheuer gefährlichen Waffe gegen das ostdeutsche Junker¬<lb/><note type="byline"/> tum im Bunde der Landwirte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 189771</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0571] Buchenbergers Agrarpolitik Jahren, die eine von Augenblicksüberraschungen befreite, sichere kaufmännische Kalkulation zuläßt, gewährleistet wird. Und wie wertvoll sich eine solche Art von Handelsvertragspolitik gegebnenfalls erweist, ist angesichts des Umstandes, daß England sür sich und seine Kolonien die zwischen ihm und dem deutschen Reiche geltenden, aber Jahr für Jahr kündbaren Handelsverträge plötzlich gekündigt hat, klar zu Tage getreten. Denn von dieser Kündigung wird möglicherweise nicht nur die deutsche Industrie, sondern auch die deutsche Landwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen, weil der englische Markt den größten Teil des deutscheu Rübenzuckerexpvrts aufnimmt." Zu dieser Einsicht müsse sich auch die landwirtschaftliche Bevölkerung durchringen, „denn die Behauptung nationaler Macht und Größe des deutschen Reichs wird ohne die Erhaltung einer blühenden Großindustrie und eines kräftig entwickelten Großhandels neben einer breitentwickelten Landwirtschaft dauernd nicht denkbar." Ganz entschieden weist Buchenberger auch den Antrag Kanitz in seinen verschiednen Formen und alle andern Vorschlage zurück, die „auf staatliche Garcmtirung eines Mindestpreises für Getreide" hinausliefen. Er legt dabei zunächst die Unmöglichkeit dar, dnrch die Monopolisirung des Getreidehandels das Preisproblem für Getreide befriedigend zu lösen, ferner die unüberwind¬ lichen Schwierigkeiten, die dem Staat bei Ausführung solcher Pläne erwachsen müßten, die unabsehbaren Interessenkonflikte, in die er hineingerciten und an denen er zu Grunde gehen würde, vor allem aber glaubt er, daß sich mit der Annahme derartiger Pläne der denkbar verhängnisvollste Schritt auf der Bahn eines gefährlichen Staatssozialismus vollziehen würde, bei dem es kein Auf¬ halten mehr gäbe. Rechnet man hinzu, daß der Verfasser auch die bimetalli- stischen Bestrebungen vom Standpunkte der landwirtschaftlichen Interessen mit überzeugenden Gründen bekämpft, daß er jede Beschränkung der Freizügigkeit der ländlichen Arbeiterbevölkerung als unzulässig bezeichnet, daß er die Wir¬ kungen der „Freiheit des Güterverkehrs, d. h. der rechtlich bestehenden Möglich¬ keit, jederzeit und überall Grund und Boden zu verkaufen und zu kaufen, auch über den liegenschaftlichen Besitz von Todes wegen zu verfügen," nach den jetzt vorliegenden Erfahrungen eines Jahrhunderts für überwiegend günstig erklärt, so wird man freilich begreifen müssen, daß dieser westdeutsche Staatsmann vor dem preußischen Agrariertum keine Gnade finden konnte. Gerade die bis zum Vorurteil gehende Vorliebe für die Landwirte, die das Buch diktirt hat, macht es zu einer ungeheuer gefährlichen Waffe gegen das ostdeutsche Junker¬ tum im Bunde der Landwirte. Grenzboten IV 189771

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/571
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/571>, abgerufen am 26.06.2024.