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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Buchenbergers Agrarpolitik

aus ist es sehr interessant, aber für die Stärke des Systems spricht es nicht
allzusehr, wenn Buchenberger fortfährt: "Ein Agrarhochschutz mit dem Ziel
staatlicher Nentengarantie ist daher unerfüllbar; ja man kann sagen, daß in
Staaten mit rasch wachsender Bevölkerung es dauernd nur mäßige Agrarzölle
oder überhaupt keine Agrarzölle geben kann. Denn wie jeder Zollschutz, so
darf auch der landwirtschaftliche Zollschutz nicht eine den eigentlichen Zielen
der Schutzzollpolitik entgegenwirkende Folge erzeugen. Das Ziel jeder Schutz¬
zollpolitik aber ist auf solche Kräftigung der durch auswärtigen Wettbewerb
bedrohten Jnlandsproduktion gerichtet, daß mit der Zeit die letztere der aus¬
wärtigen Konkurrenz sich ebenbürtig erweise. Dieses Ziel würde niemals erreicht,
wenn durch eine staatlich garantirte Rente die Wirte der Pflicht äußerster
Kraftentfaltung sich entledigt sähen. Auch der landwirtschaftliche Schutzzoll
soll, gleich alle" Schutzzöllen, nichts andres als Kampf- und Abwehrmittel,
Aneiferungs- und Aufmunterungsprämie sein, nicht zur Stagnation, sondern
zum Fortschritt führen, nicht eine dauernde Widerstands- und Konkurrenz¬
unfähigkeit voraussetzen, sondern zur Widerstands- und Konkurrenzfähigkeit lang¬
sam erziehen. In diesem Sinne behauptet der landwirtschaftliche Schutzzoll in
einem System verständiger Agrarpolitik einen guten Platz, während er als
Hochschutzzoll die gruudbewirtschaftenden Elemente als bevorzugt erscheinen
läßt, die wirtschaftlichen Kämpfe und Klasfengegenstände verschärft, durch Ein¬
wiegen der landwirtschaftlichen Verufsstände in sorglose Sicherheit das Endziel
jeder richtigen Agrarpolitik: die Emporhebung des landwirtschaftlichen Betriebs
zu einer höhern Stufe der Vollkommenheit, möglicherweise vereitelt." Durch
diese Erwägungen kommt der Verfasser schließlich dazu, folgende "allgemeine
Regel" für die Bemessung der Höhe eines "Getreide- und Mehlzolls" aufzu-
stellen: "Der Zoll soll nicht so hoch gegriffen sein, daß er sich mit den Er-
nührungsinteressen der arbeitenden Bevölkerung in empfindlichen Widerspruch
setzen würde; er darf am allerwenigsten ein Prohibitivzoll, d. h. von solcher
Höhe sein, daß er die Einfuhr fremdländischen Getreides unmöglich machte,
da Deutschland wohl stets in den Hauptgetreidefrüchteu auf die Einfuhr be¬
stimmter Mengen von Getreide angewiesen sein wird; er soll auch nicht so
hoch gegriffen sein, daß dieser Hohe halber der künftige Abschluß von Handels¬
und Tarifverträgen oder die Aufrechterhaltung bestehender Handelsverträge mit
europäischen und außereuropäischen Staaten, die als Exportmärkte für Erzeug¬
nisse der deutschen Industrie wesentliche Bedeutung haben, unmöglich gemacht
würde. Darnach würde die Meinung auszusprechen gestattet sein, daß bei Fort¬
dauer der jetzigen Weltgetreideproduktionsverhältnisse der Zoll für Getreide
und Mehl kaum unter die jetzt bestehenden Zollsätze wird heruntersinken können,
andrerseits aber auch die Sätze der Zolltarifuovelle vom Jahre 1887 (5 Mark
für 100 Kilogramm Weizen, Roggen usw.) wohl stets als äußerste Grenze
der Zollbemessung zu gelten haben werden." Von einer "gleitenden Zoll-


Buchenbergers Agrarpolitik

aus ist es sehr interessant, aber für die Stärke des Systems spricht es nicht
allzusehr, wenn Buchenberger fortfährt: „Ein Agrarhochschutz mit dem Ziel
staatlicher Nentengarantie ist daher unerfüllbar; ja man kann sagen, daß in
Staaten mit rasch wachsender Bevölkerung es dauernd nur mäßige Agrarzölle
oder überhaupt keine Agrarzölle geben kann. Denn wie jeder Zollschutz, so
darf auch der landwirtschaftliche Zollschutz nicht eine den eigentlichen Zielen
der Schutzzollpolitik entgegenwirkende Folge erzeugen. Das Ziel jeder Schutz¬
zollpolitik aber ist auf solche Kräftigung der durch auswärtigen Wettbewerb
bedrohten Jnlandsproduktion gerichtet, daß mit der Zeit die letztere der aus¬
wärtigen Konkurrenz sich ebenbürtig erweise. Dieses Ziel würde niemals erreicht,
wenn durch eine staatlich garantirte Rente die Wirte der Pflicht äußerster
Kraftentfaltung sich entledigt sähen. Auch der landwirtschaftliche Schutzzoll
soll, gleich alle» Schutzzöllen, nichts andres als Kampf- und Abwehrmittel,
Aneiferungs- und Aufmunterungsprämie sein, nicht zur Stagnation, sondern
zum Fortschritt führen, nicht eine dauernde Widerstands- und Konkurrenz¬
unfähigkeit voraussetzen, sondern zur Widerstands- und Konkurrenzfähigkeit lang¬
sam erziehen. In diesem Sinne behauptet der landwirtschaftliche Schutzzoll in
einem System verständiger Agrarpolitik einen guten Platz, während er als
Hochschutzzoll die gruudbewirtschaftenden Elemente als bevorzugt erscheinen
läßt, die wirtschaftlichen Kämpfe und Klasfengegenstände verschärft, durch Ein¬
wiegen der landwirtschaftlichen Verufsstände in sorglose Sicherheit das Endziel
jeder richtigen Agrarpolitik: die Emporhebung des landwirtschaftlichen Betriebs
zu einer höhern Stufe der Vollkommenheit, möglicherweise vereitelt." Durch
diese Erwägungen kommt der Verfasser schließlich dazu, folgende „allgemeine
Regel" für die Bemessung der Höhe eines „Getreide- und Mehlzolls" aufzu-
stellen: „Der Zoll soll nicht so hoch gegriffen sein, daß er sich mit den Er-
nührungsinteressen der arbeitenden Bevölkerung in empfindlichen Widerspruch
setzen würde; er darf am allerwenigsten ein Prohibitivzoll, d. h. von solcher
Höhe sein, daß er die Einfuhr fremdländischen Getreides unmöglich machte,
da Deutschland wohl stets in den Hauptgetreidefrüchteu auf die Einfuhr be¬
stimmter Mengen von Getreide angewiesen sein wird; er soll auch nicht so
hoch gegriffen sein, daß dieser Hohe halber der künftige Abschluß von Handels¬
und Tarifverträgen oder die Aufrechterhaltung bestehender Handelsverträge mit
europäischen und außereuropäischen Staaten, die als Exportmärkte für Erzeug¬
nisse der deutschen Industrie wesentliche Bedeutung haben, unmöglich gemacht
würde. Darnach würde die Meinung auszusprechen gestattet sein, daß bei Fort¬
dauer der jetzigen Weltgetreideproduktionsverhältnisse der Zoll für Getreide
und Mehl kaum unter die jetzt bestehenden Zollsätze wird heruntersinken können,
andrerseits aber auch die Sätze der Zolltarifuovelle vom Jahre 1887 (5 Mark
für 100 Kilogramm Weizen, Roggen usw.) wohl stets als äußerste Grenze
der Zollbemessung zu gelten haben werden." Von einer „gleitenden Zoll-


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[0567] Buchenbergers Agrarpolitik aus ist es sehr interessant, aber für die Stärke des Systems spricht es nicht allzusehr, wenn Buchenberger fortfährt: „Ein Agrarhochschutz mit dem Ziel staatlicher Nentengarantie ist daher unerfüllbar; ja man kann sagen, daß in Staaten mit rasch wachsender Bevölkerung es dauernd nur mäßige Agrarzölle oder überhaupt keine Agrarzölle geben kann. Denn wie jeder Zollschutz, so darf auch der landwirtschaftliche Zollschutz nicht eine den eigentlichen Zielen der Schutzzollpolitik entgegenwirkende Folge erzeugen. Das Ziel jeder Schutz¬ zollpolitik aber ist auf solche Kräftigung der durch auswärtigen Wettbewerb bedrohten Jnlandsproduktion gerichtet, daß mit der Zeit die letztere der aus¬ wärtigen Konkurrenz sich ebenbürtig erweise. Dieses Ziel würde niemals erreicht, wenn durch eine staatlich garantirte Rente die Wirte der Pflicht äußerster Kraftentfaltung sich entledigt sähen. Auch der landwirtschaftliche Schutzzoll soll, gleich alle» Schutzzöllen, nichts andres als Kampf- und Abwehrmittel, Aneiferungs- und Aufmunterungsprämie sein, nicht zur Stagnation, sondern zum Fortschritt führen, nicht eine dauernde Widerstands- und Konkurrenz¬ unfähigkeit voraussetzen, sondern zur Widerstands- und Konkurrenzfähigkeit lang¬ sam erziehen. In diesem Sinne behauptet der landwirtschaftliche Schutzzoll in einem System verständiger Agrarpolitik einen guten Platz, während er als Hochschutzzoll die gruudbewirtschaftenden Elemente als bevorzugt erscheinen läßt, die wirtschaftlichen Kämpfe und Klasfengegenstände verschärft, durch Ein¬ wiegen der landwirtschaftlichen Verufsstände in sorglose Sicherheit das Endziel jeder richtigen Agrarpolitik: die Emporhebung des landwirtschaftlichen Betriebs zu einer höhern Stufe der Vollkommenheit, möglicherweise vereitelt." Durch diese Erwägungen kommt der Verfasser schließlich dazu, folgende „allgemeine Regel" für die Bemessung der Höhe eines „Getreide- und Mehlzolls" aufzu- stellen: „Der Zoll soll nicht so hoch gegriffen sein, daß er sich mit den Er- nührungsinteressen der arbeitenden Bevölkerung in empfindlichen Widerspruch setzen würde; er darf am allerwenigsten ein Prohibitivzoll, d. h. von solcher Höhe sein, daß er die Einfuhr fremdländischen Getreides unmöglich machte, da Deutschland wohl stets in den Hauptgetreidefrüchteu auf die Einfuhr be¬ stimmter Mengen von Getreide angewiesen sein wird; er soll auch nicht so hoch gegriffen sein, daß dieser Hohe halber der künftige Abschluß von Handels¬ und Tarifverträgen oder die Aufrechterhaltung bestehender Handelsverträge mit europäischen und außereuropäischen Staaten, die als Exportmärkte für Erzeug¬ nisse der deutschen Industrie wesentliche Bedeutung haben, unmöglich gemacht würde. Darnach würde die Meinung auszusprechen gestattet sein, daß bei Fort¬ dauer der jetzigen Weltgetreideproduktionsverhältnisse der Zoll für Getreide und Mehl kaum unter die jetzt bestehenden Zollsätze wird heruntersinken können, andrerseits aber auch die Sätze der Zolltarifuovelle vom Jahre 1887 (5 Mark für 100 Kilogramm Weizen, Roggen usw.) wohl stets als äußerste Grenze der Zollbemessung zu gelten haben werden." Von einer „gleitenden Zoll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/567>, abgerufen am 26.06.2024.