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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Buchenbergers Agrarpolitik

zuweisen -- nicht etwa für reine Tollhäuslerei zu erklären, wie er füglich
hätte sagen dürfen! Und zwar, fährt er fort, schon deshalb, weil sich die
staatliche Garantie einer bestimmten Nentenhöhe mit den sozialwirtschaftlichen
Pflichten des Grundbesitzes in Widerspruch setzen würde. Denn wenn das
Grundeigentum wie jedes private Eigentum von Produktionsmitteln das
Vorrecht genieße, daß ihm die günstigen Konjunkturen und der Nutzen
aus technischen Fortschritten in höhern Erträgnissen und in der Bodenwert¬
steigerung zu gute komme, so entspreche diesem Vorrecht die Pflicht, zeitweise
auch ungünstige Konjunkturen zu tragen: "Nur ein unerträgliches Übermaß
ungünstiger Konjunkturen kann und soll dem Grundbesitz abgenommen werden."
Es wird jedenfalls sehr interessant sein, zu erleben, wie dieser theoretische
Protektionismus in xraxi seinerzeit um die Nentengarcmtie herumzukommen ver¬
suchen wird. Mit der Einschränkung auf das unerträgliche Übermaß ungünstiger
Konjunktur allein wird er sich schwerlich auf die Dauer helfen können, weder
gegen agrarische noch gegen sozialistische oder kommunistische Übergriffe. Die
"Unerträglichkeit" ist leider ein gar zu unbestimmter Begriff. Wem es "un¬
erträglich" erscheint, daß mittelgroße Rittergüter neben einer Pachtsnmme von
25000 bis 35000 Mark für den Eigentümer nicht auch noch für den Pächter
einen Reinertrag von 5000 bis 10000 Mark abwerfen, der wird eben auch
nach Bnchenbergers Theorie die Getreidezölle usw. so hoch verlangen, daß die
Rente nicht unter diese Summe herabsinkt. Es ist in Ur. 30 dieses Jahr¬
gangs der Grenzboten in einer Besprechung der Hoppenstedtschen Definition
der landwirtschaftlichen "Not- und Zwangslage" -- die Buchenberger, wie es
scheint, ohne weiteres für seinen Begriff "Unerträglichkeit" annimmt -- schon
auf diese Lücke im System hingewiesen worden, und man muß es sehr be¬
dauern, daß auch Buchenberger nicht für ihre unzweideutige Ausfüllung gesorgt
hat. Den extremen agrarischen Angriffen hat er damit jedenfalls eine will-
kommne Blöße offen gelassen. Es ist hier nicht die Aufgabe, eine Kritik des
Protektionismus zu unternehmen, sie würde ja auch wenig praktische Wirkung
haben; aber es sollte wenigstens auf seinen Hauptfehler und auf seine darin
begründete Vergänglichkeit hingewiesen werden, von der die durch die Mode
gezüchteten Treibhanswerte gerade in der Landwirtschaft am allerschwersten
würden getroffen werden. Wer eine gesunde, wetterfeste Landwirtschaft wieder
erstehen sehen will -- und das will Buchenberger wie Hoppenstedt doch vor
allen Dingen im offenbaren Gegensatz zu den nach Augenblicksvorteileu ver¬
langenden kurzsichtigen Agrariern --, der sollte mit allem Fleiß, aller Offen¬
heit und, wenn nötig, auch mit aller Rücksichtslosigkeit schon jetzt Mittel auf¬
suchen und vorschlagen, durch die die Landwirtschaft wieder vom Protektio¬
nismus entwöhnt werden könnte. Das ist uuter allen Umständen die Haupt¬
aufgabe der gegenwärtigen Agrarpolitik, und ihr Hauptfehler seit 1879 ist, daß
man die Landwirtschaft verweichlicht hat. Gerade von diesem Gesichtspunkt


Buchenbergers Agrarpolitik

zuweisen — nicht etwa für reine Tollhäuslerei zu erklären, wie er füglich
hätte sagen dürfen! Und zwar, fährt er fort, schon deshalb, weil sich die
staatliche Garantie einer bestimmten Nentenhöhe mit den sozialwirtschaftlichen
Pflichten des Grundbesitzes in Widerspruch setzen würde. Denn wenn das
Grundeigentum wie jedes private Eigentum von Produktionsmitteln das
Vorrecht genieße, daß ihm die günstigen Konjunkturen und der Nutzen
aus technischen Fortschritten in höhern Erträgnissen und in der Bodenwert¬
steigerung zu gute komme, so entspreche diesem Vorrecht die Pflicht, zeitweise
auch ungünstige Konjunkturen zu tragen: „Nur ein unerträgliches Übermaß
ungünstiger Konjunkturen kann und soll dem Grundbesitz abgenommen werden."
Es wird jedenfalls sehr interessant sein, zu erleben, wie dieser theoretische
Protektionismus in xraxi seinerzeit um die Nentengarcmtie herumzukommen ver¬
suchen wird. Mit der Einschränkung auf das unerträgliche Übermaß ungünstiger
Konjunktur allein wird er sich schwerlich auf die Dauer helfen können, weder
gegen agrarische noch gegen sozialistische oder kommunistische Übergriffe. Die
„Unerträglichkeit" ist leider ein gar zu unbestimmter Begriff. Wem es „un¬
erträglich" erscheint, daß mittelgroße Rittergüter neben einer Pachtsnmme von
25000 bis 35000 Mark für den Eigentümer nicht auch noch für den Pächter
einen Reinertrag von 5000 bis 10000 Mark abwerfen, der wird eben auch
nach Bnchenbergers Theorie die Getreidezölle usw. so hoch verlangen, daß die
Rente nicht unter diese Summe herabsinkt. Es ist in Ur. 30 dieses Jahr¬
gangs der Grenzboten in einer Besprechung der Hoppenstedtschen Definition
der landwirtschaftlichen „Not- und Zwangslage" — die Buchenberger, wie es
scheint, ohne weiteres für seinen Begriff „Unerträglichkeit" annimmt — schon
auf diese Lücke im System hingewiesen worden, und man muß es sehr be¬
dauern, daß auch Buchenberger nicht für ihre unzweideutige Ausfüllung gesorgt
hat. Den extremen agrarischen Angriffen hat er damit jedenfalls eine will-
kommne Blöße offen gelassen. Es ist hier nicht die Aufgabe, eine Kritik des
Protektionismus zu unternehmen, sie würde ja auch wenig praktische Wirkung
haben; aber es sollte wenigstens auf seinen Hauptfehler und auf seine darin
begründete Vergänglichkeit hingewiesen werden, von der die durch die Mode
gezüchteten Treibhanswerte gerade in der Landwirtschaft am allerschwersten
würden getroffen werden. Wer eine gesunde, wetterfeste Landwirtschaft wieder
erstehen sehen will — und das will Buchenberger wie Hoppenstedt doch vor
allen Dingen im offenbaren Gegensatz zu den nach Augenblicksvorteileu ver¬
langenden kurzsichtigen Agrariern —, der sollte mit allem Fleiß, aller Offen¬
heit und, wenn nötig, auch mit aller Rücksichtslosigkeit schon jetzt Mittel auf¬
suchen und vorschlagen, durch die die Landwirtschaft wieder vom Protektio¬
nismus entwöhnt werden könnte. Das ist uuter allen Umständen die Haupt¬
aufgabe der gegenwärtigen Agrarpolitik, und ihr Hauptfehler seit 1879 ist, daß
man die Landwirtschaft verweichlicht hat. Gerade von diesem Gesichtspunkt


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[0566] Buchenbergers Agrarpolitik zuweisen — nicht etwa für reine Tollhäuslerei zu erklären, wie er füglich hätte sagen dürfen! Und zwar, fährt er fort, schon deshalb, weil sich die staatliche Garantie einer bestimmten Nentenhöhe mit den sozialwirtschaftlichen Pflichten des Grundbesitzes in Widerspruch setzen würde. Denn wenn das Grundeigentum wie jedes private Eigentum von Produktionsmitteln das Vorrecht genieße, daß ihm die günstigen Konjunkturen und der Nutzen aus technischen Fortschritten in höhern Erträgnissen und in der Bodenwert¬ steigerung zu gute komme, so entspreche diesem Vorrecht die Pflicht, zeitweise auch ungünstige Konjunkturen zu tragen: „Nur ein unerträgliches Übermaß ungünstiger Konjunkturen kann und soll dem Grundbesitz abgenommen werden." Es wird jedenfalls sehr interessant sein, zu erleben, wie dieser theoretische Protektionismus in xraxi seinerzeit um die Nentengarcmtie herumzukommen ver¬ suchen wird. Mit der Einschränkung auf das unerträgliche Übermaß ungünstiger Konjunktur allein wird er sich schwerlich auf die Dauer helfen können, weder gegen agrarische noch gegen sozialistische oder kommunistische Übergriffe. Die „Unerträglichkeit" ist leider ein gar zu unbestimmter Begriff. Wem es „un¬ erträglich" erscheint, daß mittelgroße Rittergüter neben einer Pachtsnmme von 25000 bis 35000 Mark für den Eigentümer nicht auch noch für den Pächter einen Reinertrag von 5000 bis 10000 Mark abwerfen, der wird eben auch nach Bnchenbergers Theorie die Getreidezölle usw. so hoch verlangen, daß die Rente nicht unter diese Summe herabsinkt. Es ist in Ur. 30 dieses Jahr¬ gangs der Grenzboten in einer Besprechung der Hoppenstedtschen Definition der landwirtschaftlichen „Not- und Zwangslage" — die Buchenberger, wie es scheint, ohne weiteres für seinen Begriff „Unerträglichkeit" annimmt — schon auf diese Lücke im System hingewiesen worden, und man muß es sehr be¬ dauern, daß auch Buchenberger nicht für ihre unzweideutige Ausfüllung gesorgt hat. Den extremen agrarischen Angriffen hat er damit jedenfalls eine will- kommne Blöße offen gelassen. Es ist hier nicht die Aufgabe, eine Kritik des Protektionismus zu unternehmen, sie würde ja auch wenig praktische Wirkung haben; aber es sollte wenigstens auf seinen Hauptfehler und auf seine darin begründete Vergänglichkeit hingewiesen werden, von der die durch die Mode gezüchteten Treibhanswerte gerade in der Landwirtschaft am allerschwersten würden getroffen werden. Wer eine gesunde, wetterfeste Landwirtschaft wieder erstehen sehen will — und das will Buchenberger wie Hoppenstedt doch vor allen Dingen im offenbaren Gegensatz zu den nach Augenblicksvorteileu ver¬ langenden kurzsichtigen Agrariern —, der sollte mit allem Fleiß, aller Offen¬ heit und, wenn nötig, auch mit aller Rücksichtslosigkeit schon jetzt Mittel auf¬ suchen und vorschlagen, durch die die Landwirtschaft wieder vom Protektio¬ nismus entwöhnt werden könnte. Das ist uuter allen Umständen die Haupt¬ aufgabe der gegenwärtigen Agrarpolitik, und ihr Hauptfehler seit 1879 ist, daß man die Landwirtschaft verweichlicht hat. Gerade von diesem Gesichtspunkt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/566>, abgerufen am 26.06.2024.