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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Buchcnbergers Agrarpolitik

Grundsätze über Getreidezoll und Handelsverträge behandelt, vorher aber ein
flüchtiger Blick auf den wirtschaftspolitischen Standpunkt des Verfassers im
allgemeinen geworfen werden.

Dieser Standpunkt ist, wie der der zur Zeit im Reiche und auch in
Preußen herrschenden Kreise, ein durchaus protcktionistischer, und seine Schwächen
springen an vielen Stellen des Buches deutlich in die Augen. Die Aufgabe
des Staats, meint der Verfasser, zur Linderung und Heilung der Schwierig¬
keiten, mit denen die Landbaubevölkerung in der Gegenwart zu kämpfen hat,
ergebe sich schon daraus, daß er nach der heutigen Auffassung des Staats¬
begriffs die höchste Interessengemeinschaft darstelle, von der jedes einzelne
Glied des vielgestaltigen Organismus die Förderung seiner wirtschaftlichen
und sittlichen Zwecke beanspruchen dürfe. Dazu komme, daß das Wohlergehen
der Landwirtschaft bei uns, da sie einen so starken Bruchteil der Bevölkerung
umfasse, eine wesentliche Voraussetzung der Erhaltung der wirtschaftlichen
Kraft und der politischen Machtstellung des Staates bedeute. Insbesondre
sei die Wehrhaftigkeit des Staats wesentlich von dem Vorhandensein einer
kräftigen Landbevölkerung abhängig -- was trotz Brentanos Tabellen noch
immer richtig ist --, und der dem Gewerbefleiß unentbehrliche inländische Markt
von einer kaufkräftigen Masse des Landvolks. Er erkennt nach bekannten
Mustern die landwirtschaftliche Bevölkerung um als den "Jungbrunnen" für
die Volksgemeinschaft, als den "unersetzlichen Vorratsbehälter für den Mcnschen-
bedarf aller übrigen Stände" und verlangt oder befürwortet daraufhin in den
meisten von ihm erörterten agrarpolitischen Einzelfragen in sehr weitem Maße
das organisatorische Eingreifen des Staats auf Kosten der Gesamtheit. Aus¬
drücklich findet er sich z. B. mit der Abwälzung der Steuerlast auf die nichtland-
wirtschaftliche Bevölkerung, wie sie sich in neuerer Zeit allenthalben vollziehe,
und mit der trotzdem steigenden Verwendung der Staatseinkünfte "zur bessern
Befriedigung lokaler Bedürfnisse des flachen Landes und zur teilweisen Ent¬
lastung von dem Druck lokaler Gemeindesteuern" mit der bezeichnenden Be¬
merkung ab: "Das ist in der Ordnung, entspricht dem Wesen des modernen
Staats und erfordert keine besondre Anerkennung, sollte doch aber im Streit
des Tages über Vergünstigung oder Vernachlässigung bestimmter Erwerbskreise
acht gerade als unwesentliche Kleinigkeit bezeichnet werden." Am besten aber
wird sein und wohl auch der Regierung wirtschaftspolitischer Standpunkt im
allgemeinen dnrch folgende Äußerungen über die Zollfrnge, zu der wir damit
übergehen, charakterisirt. Allen Einwendungen, sagt er (S. 224), gegen land¬
wirtschaftliche Schutzzölle, insbesondre gegen Nahrungsmittelzölle, sei nur insoweit
eine Berechtigung einzuräumen, als sie sich gegen eine Übertreibung des Schutz¬
prinzips richteten. Der in landwirtschaftlichen Kreisen dann und wann erhobne
Anspruch auf einen Getreidezollschutz, der unter allen Umständen Jahr für
Jahr den höchsten Stand der Preise des Jahrhunderts sichere, sei daher ab-


Buchcnbergers Agrarpolitik

Grundsätze über Getreidezoll und Handelsverträge behandelt, vorher aber ein
flüchtiger Blick auf den wirtschaftspolitischen Standpunkt des Verfassers im
allgemeinen geworfen werden.

Dieser Standpunkt ist, wie der der zur Zeit im Reiche und auch in
Preußen herrschenden Kreise, ein durchaus protcktionistischer, und seine Schwächen
springen an vielen Stellen des Buches deutlich in die Augen. Die Aufgabe
des Staats, meint der Verfasser, zur Linderung und Heilung der Schwierig¬
keiten, mit denen die Landbaubevölkerung in der Gegenwart zu kämpfen hat,
ergebe sich schon daraus, daß er nach der heutigen Auffassung des Staats¬
begriffs die höchste Interessengemeinschaft darstelle, von der jedes einzelne
Glied des vielgestaltigen Organismus die Förderung seiner wirtschaftlichen
und sittlichen Zwecke beanspruchen dürfe. Dazu komme, daß das Wohlergehen
der Landwirtschaft bei uns, da sie einen so starken Bruchteil der Bevölkerung
umfasse, eine wesentliche Voraussetzung der Erhaltung der wirtschaftlichen
Kraft und der politischen Machtstellung des Staates bedeute. Insbesondre
sei die Wehrhaftigkeit des Staats wesentlich von dem Vorhandensein einer
kräftigen Landbevölkerung abhängig — was trotz Brentanos Tabellen noch
immer richtig ist —, und der dem Gewerbefleiß unentbehrliche inländische Markt
von einer kaufkräftigen Masse des Landvolks. Er erkennt nach bekannten
Mustern die landwirtschaftliche Bevölkerung um als den „Jungbrunnen" für
die Volksgemeinschaft, als den „unersetzlichen Vorratsbehälter für den Mcnschen-
bedarf aller übrigen Stände" und verlangt oder befürwortet daraufhin in den
meisten von ihm erörterten agrarpolitischen Einzelfragen in sehr weitem Maße
das organisatorische Eingreifen des Staats auf Kosten der Gesamtheit. Aus¬
drücklich findet er sich z. B. mit der Abwälzung der Steuerlast auf die nichtland-
wirtschaftliche Bevölkerung, wie sie sich in neuerer Zeit allenthalben vollziehe,
und mit der trotzdem steigenden Verwendung der Staatseinkünfte „zur bessern
Befriedigung lokaler Bedürfnisse des flachen Landes und zur teilweisen Ent¬
lastung von dem Druck lokaler Gemeindesteuern" mit der bezeichnenden Be¬
merkung ab: „Das ist in der Ordnung, entspricht dem Wesen des modernen
Staats und erfordert keine besondre Anerkennung, sollte doch aber im Streit
des Tages über Vergünstigung oder Vernachlässigung bestimmter Erwerbskreise
acht gerade als unwesentliche Kleinigkeit bezeichnet werden." Am besten aber
wird sein und wohl auch der Regierung wirtschaftspolitischer Standpunkt im
allgemeinen dnrch folgende Äußerungen über die Zollfrnge, zu der wir damit
übergehen, charakterisirt. Allen Einwendungen, sagt er (S. 224), gegen land¬
wirtschaftliche Schutzzölle, insbesondre gegen Nahrungsmittelzölle, sei nur insoweit
eine Berechtigung einzuräumen, als sie sich gegen eine Übertreibung des Schutz¬
prinzips richteten. Der in landwirtschaftlichen Kreisen dann und wann erhobne
Anspruch auf einen Getreidezollschutz, der unter allen Umständen Jahr für
Jahr den höchsten Stand der Preise des Jahrhunderts sichere, sei daher ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/565>, abgerufen am 26.06.2024.