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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Buchenbergers Agrarpolitik

zur ausgesprochnen Voreingenommenheit; und wer fortan noch auf politische
Reife und volkswirtschaftliches Gerechtigkeitsgefühl Anspruch machen will, wird
mit Buchenbergerschem Maße zu messen sein, denn alles das, was darüber
hinaus beansprucht wird, ist endgiltig zu den "agrarischen Übergriffen" zu
rechnen, denen die Negierung nicht nachgeben kann und nicht nachgeben darf.
Leider hat sich die agrarische Presse beeilt, die heilsame Wirkung der Schrift
möglichst zu vereiteln. Wer unsre Landwirte kennt, wird begreifen, daß das
nicht allzu schwer war. Aber umso schwerer ist die Verantwortlichkeit derer,
die es veranlaßt haben, und wenn die Negierung noch weiter auf sie Rücksicht
nehmen wollte, dann würde sie den Vorwurf der Schwäche verdienen, dann
würde sie selbst die unsinnige Opposition des deutschen Landmanns gegen die
kaiserliche Politik fördern. Gegen Leute, die Buchenbergers wohlwollende Be¬
lehrung über die Agrarpolitik der Regierung den dentschen Landwirten vor¬
enthalten, ist jede Rücksicht von Übel. Er selbst bezeichnet die Aufgabe, die
er sich gestellt hat, wie folgt: "Die vorliegende Schrift soll gegenüber manchen
irreleitenden Ausführungen den dreifachen Nachweis führen: einmal, daß ange¬
sichts der unzweifelhaft gegebnen sehr schwierigen Lage des landwirtschaftlichen
Gewerbes die landwirtschaftliche Staatsfürsorge zu keiner Zeit kräftiger und
planmäßiger ihres Amtes gewaltet hat als in der Gegenwart; zum andern,
daß die neuerdings so sehr verschmähten oder geringschätzig beurteilten kleinen
Mittel in ihrer Gesamtheit eine große Heilkraft in sich schließen und bewiesen
haben; zum dritten, daß mindestens ein Teil jener Vorschläge, die man als
große Mittel zu bezeichnen pflegt, entweder überhaupt unerfüllbare Anforderungen
an die Staatsgewalt stellt oder doch nur unter starker Schädigung der Interessen
andrer Berufsstünde zu verwirklichen ist." Am 6. Dezember hat bei der ersten
Lesung des Flottengesetzentwurfs im Reichstag der Sprecher der deutsch-
konservativen Partei, Graf zu Limburg-Stirnen, die Behauptung wiederholt,
die Landwirtschaft habe seit dem Rücktritt des Fürsten Bismarck zu ihrem
schweren Schaden nicht die gebührende Berücksichtigung bei den verbündeten
Regierungen erfahren. Das ist jetzt die Form der agrarischen Opposition gegen
die kaiserliche Politik, und sie hofft auf Wirkung an Stelle der ältern Lesart
des Herrn von Miquel: seit dreißig Jahren habe der Staat die Landwirte
vernachlässigt und nur für Kaufleute und Industrielle Gesetze gemacht. Wo ist
die Wahrheit? muß man da doch fragen, und für die Gegenwart giebt Vuchen-
berger ebenso gründlich wie treffend die Antwort. Wollen die Agrarier diese
Antwort gern tot schweigen, so ist es Pflicht, alle, die sich selbst ein Urteil
bilden und nicht blind den unberechtigten Anschuldigungen gegen die Agrar¬
politik der Negierung glauben wollen, aufs nachdrücklichste auf sie auf¬
merksam zu machen. Das ist der Hauptzweck dieser Zeilen. Es kann hier
nicht daran gedacht werden, den Inhalt der Buchenbergerschen Schrift auch
nur in kurzen Zügen darzulegen. Es sollen hier nur die in ihr dargelegten


Buchenbergers Agrarpolitik

zur ausgesprochnen Voreingenommenheit; und wer fortan noch auf politische
Reife und volkswirtschaftliches Gerechtigkeitsgefühl Anspruch machen will, wird
mit Buchenbergerschem Maße zu messen sein, denn alles das, was darüber
hinaus beansprucht wird, ist endgiltig zu den „agrarischen Übergriffen" zu
rechnen, denen die Negierung nicht nachgeben kann und nicht nachgeben darf.
Leider hat sich die agrarische Presse beeilt, die heilsame Wirkung der Schrift
möglichst zu vereiteln. Wer unsre Landwirte kennt, wird begreifen, daß das
nicht allzu schwer war. Aber umso schwerer ist die Verantwortlichkeit derer,
die es veranlaßt haben, und wenn die Negierung noch weiter auf sie Rücksicht
nehmen wollte, dann würde sie den Vorwurf der Schwäche verdienen, dann
würde sie selbst die unsinnige Opposition des deutschen Landmanns gegen die
kaiserliche Politik fördern. Gegen Leute, die Buchenbergers wohlwollende Be¬
lehrung über die Agrarpolitik der Regierung den dentschen Landwirten vor¬
enthalten, ist jede Rücksicht von Übel. Er selbst bezeichnet die Aufgabe, die
er sich gestellt hat, wie folgt: „Die vorliegende Schrift soll gegenüber manchen
irreleitenden Ausführungen den dreifachen Nachweis führen: einmal, daß ange¬
sichts der unzweifelhaft gegebnen sehr schwierigen Lage des landwirtschaftlichen
Gewerbes die landwirtschaftliche Staatsfürsorge zu keiner Zeit kräftiger und
planmäßiger ihres Amtes gewaltet hat als in der Gegenwart; zum andern,
daß die neuerdings so sehr verschmähten oder geringschätzig beurteilten kleinen
Mittel in ihrer Gesamtheit eine große Heilkraft in sich schließen und bewiesen
haben; zum dritten, daß mindestens ein Teil jener Vorschläge, die man als
große Mittel zu bezeichnen pflegt, entweder überhaupt unerfüllbare Anforderungen
an die Staatsgewalt stellt oder doch nur unter starker Schädigung der Interessen
andrer Berufsstünde zu verwirklichen ist." Am 6. Dezember hat bei der ersten
Lesung des Flottengesetzentwurfs im Reichstag der Sprecher der deutsch-
konservativen Partei, Graf zu Limburg-Stirnen, die Behauptung wiederholt,
die Landwirtschaft habe seit dem Rücktritt des Fürsten Bismarck zu ihrem
schweren Schaden nicht die gebührende Berücksichtigung bei den verbündeten
Regierungen erfahren. Das ist jetzt die Form der agrarischen Opposition gegen
die kaiserliche Politik, und sie hofft auf Wirkung an Stelle der ältern Lesart
des Herrn von Miquel: seit dreißig Jahren habe der Staat die Landwirte
vernachlässigt und nur für Kaufleute und Industrielle Gesetze gemacht. Wo ist
die Wahrheit? muß man da doch fragen, und für die Gegenwart giebt Vuchen-
berger ebenso gründlich wie treffend die Antwort. Wollen die Agrarier diese
Antwort gern tot schweigen, so ist es Pflicht, alle, die sich selbst ein Urteil
bilden und nicht blind den unberechtigten Anschuldigungen gegen die Agrar¬
politik der Negierung glauben wollen, aufs nachdrücklichste auf sie auf¬
merksam zu machen. Das ist der Hauptzweck dieser Zeilen. Es kann hier
nicht daran gedacht werden, den Inhalt der Buchenbergerschen Schrift auch
nur in kurzen Zügen darzulegen. Es sollen hier nur die in ihr dargelegten


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[0564] Buchenbergers Agrarpolitik zur ausgesprochnen Voreingenommenheit; und wer fortan noch auf politische Reife und volkswirtschaftliches Gerechtigkeitsgefühl Anspruch machen will, wird mit Buchenbergerschem Maße zu messen sein, denn alles das, was darüber hinaus beansprucht wird, ist endgiltig zu den „agrarischen Übergriffen" zu rechnen, denen die Negierung nicht nachgeben kann und nicht nachgeben darf. Leider hat sich die agrarische Presse beeilt, die heilsame Wirkung der Schrift möglichst zu vereiteln. Wer unsre Landwirte kennt, wird begreifen, daß das nicht allzu schwer war. Aber umso schwerer ist die Verantwortlichkeit derer, die es veranlaßt haben, und wenn die Negierung noch weiter auf sie Rücksicht nehmen wollte, dann würde sie den Vorwurf der Schwäche verdienen, dann würde sie selbst die unsinnige Opposition des deutschen Landmanns gegen die kaiserliche Politik fördern. Gegen Leute, die Buchenbergers wohlwollende Be¬ lehrung über die Agrarpolitik der Regierung den dentschen Landwirten vor¬ enthalten, ist jede Rücksicht von Übel. Er selbst bezeichnet die Aufgabe, die er sich gestellt hat, wie folgt: „Die vorliegende Schrift soll gegenüber manchen irreleitenden Ausführungen den dreifachen Nachweis führen: einmal, daß ange¬ sichts der unzweifelhaft gegebnen sehr schwierigen Lage des landwirtschaftlichen Gewerbes die landwirtschaftliche Staatsfürsorge zu keiner Zeit kräftiger und planmäßiger ihres Amtes gewaltet hat als in der Gegenwart; zum andern, daß die neuerdings so sehr verschmähten oder geringschätzig beurteilten kleinen Mittel in ihrer Gesamtheit eine große Heilkraft in sich schließen und bewiesen haben; zum dritten, daß mindestens ein Teil jener Vorschläge, die man als große Mittel zu bezeichnen pflegt, entweder überhaupt unerfüllbare Anforderungen an die Staatsgewalt stellt oder doch nur unter starker Schädigung der Interessen andrer Berufsstünde zu verwirklichen ist." Am 6. Dezember hat bei der ersten Lesung des Flottengesetzentwurfs im Reichstag der Sprecher der deutsch- konservativen Partei, Graf zu Limburg-Stirnen, die Behauptung wiederholt, die Landwirtschaft habe seit dem Rücktritt des Fürsten Bismarck zu ihrem schweren Schaden nicht die gebührende Berücksichtigung bei den verbündeten Regierungen erfahren. Das ist jetzt die Form der agrarischen Opposition gegen die kaiserliche Politik, und sie hofft auf Wirkung an Stelle der ältern Lesart des Herrn von Miquel: seit dreißig Jahren habe der Staat die Landwirte vernachlässigt und nur für Kaufleute und Industrielle Gesetze gemacht. Wo ist die Wahrheit? muß man da doch fragen, und für die Gegenwart giebt Vuchen- berger ebenso gründlich wie treffend die Antwort. Wollen die Agrarier diese Antwort gern tot schweigen, so ist es Pflicht, alle, die sich selbst ein Urteil bilden und nicht blind den unberechtigten Anschuldigungen gegen die Agrar¬ politik der Negierung glauben wollen, aufs nachdrücklichste auf sie auf¬ merksam zu machen. Das ist der Hauptzweck dieser Zeilen. Es kann hier nicht daran gedacht werden, den Inhalt der Buchenbergerschen Schrift auch nur in kurzen Zügen darzulegen. Es sollen hier nur die in ihr dargelegten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/564>, abgerufen am 26.06.2024.