Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die landwirtschaftlichen Betriebe im deutschen Reiche

die Zahlen vor Augen geführt wird, wollen wir uns dadurch nicht verbittern
lassen. Sehr erwünscht kommt unsrer Ansicht auch der Rückgang der Gro߬
bauern. In den fruchtbaren Gegenden des Westens sind die Landwirte mit
25 Hektar keine Bauern mehr, und die mit 100 noch weniger. In Schlesien
sind die bei der Gründung der deutschen Dörfer mit 1 Hufe -- das waren
damals je nach dem Boden einige 30 oder einige 70 Morgen zu etwa
0,25 Hektar -- angesetzten Vollbauern im Laufe der Jahrhunderte vielfach
auf die Hälfte der Zahl zusammengeschrumpft, die Güter aber auf 2 Hufen
angewachsen, und in vielen Bauergemeinden, namentlich wo man die Leute mit
dem Danaergeschenk des Zuckerrübenbaues beglückt hat, konnte man auch in
den letzten Jahrzehnten eine bedenkliche Neigung zu weiterer Vergrößerung der
Bauergüter wahrnehmen. Eine Teilung der zweihufigen Güter unter zwei
Erben faud niemals statt; war der Vater ein Zweihüfner, mußte jeder Sohn
auch einer sein, auch wenn die Schulden ihm über den Kopf wuchsen. Und
doch ist heute noch, ja heute erst recht, die Hufe das richtige Flächenmaß für
die bäuerliche Wirtschaft und das bäuerliche Leben, wo der Bauer selbst und
seine Familie, nicht teures Gesinde, das Beste thun in Hof und Feld.

Aber es ist nötig, die Veränderungen in den einzelnen Gebieten des
Reichs zu verfolgen, um die Bedeutung der mitgeteilten Zahlen richtig zu
würdigen. Das lehrreichste Bild bieten die zwölf preußischen Provinzen mit
ihrer zwischen Ost und West so verschiednen Grundbesitzverteiluug. Westpreußen,
Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, alle mit mehr als 30 Prozent der
landwirtschaftlichen Flüche im Besitz von Großbetrieben (100 Hektar und mehr),
serner Schleswig-Holstein mit 16 Prozent der Fläche im Großbetrieb haben
eine Abnahme der Großbetriebe zu verzeichnen sowohl der Zahl wie der Fläche
nach. (Nur Ostpreußen und Sachsen, die 39 und 27 Prozent der Fläche im
Großbetrieb haben, weisen vor den altpreußischen Provinzen eine Zunahme
dieser Besitzklasse auf.) Dagegen haben Hannover, Westfalen, Hessen-Nassau
und Rheinland, alle mit weniger als 10 Prozent der Flüche im Großbetrieb,
überall eine Zunahme der Großbetriebe aufzuweisen. Umgekehrt steht es
mit dem Parzellenbesitz: im Osten hat er zugenommen, im Westen abgenommen.
Über die Verschiebungen im bäuerlichen Besitz in Preußen und zugleich von
seinem recht erfreulichen Bestände giebt folgende kleine Übersicht ein Bild. Von
100 Hektar der landwirtschaftlichen Fläche jeder Provinz kommen auf

kleinen Besitzmittlern BesitzGroßbauergüter
(2--5 Ils.)(5--20 Ks,)(20--100 ti--,)
1882 18951882 18951882 1895
in Ostpreußen .3,51 8,8613,98 14,9641,81 39,36
in Westpreußen3,10 IM14,03 17,2233,22 32,72
in Brandenburg4,02 5,3519,42 20,7335,37 34,58
in Pommern ,3,50 3,4413,44 15,6422,85 22,82

Die landwirtschaftlichen Betriebe im deutschen Reiche

die Zahlen vor Augen geführt wird, wollen wir uns dadurch nicht verbittern
lassen. Sehr erwünscht kommt unsrer Ansicht auch der Rückgang der Gro߬
bauern. In den fruchtbaren Gegenden des Westens sind die Landwirte mit
25 Hektar keine Bauern mehr, und die mit 100 noch weniger. In Schlesien
sind die bei der Gründung der deutschen Dörfer mit 1 Hufe — das waren
damals je nach dem Boden einige 30 oder einige 70 Morgen zu etwa
0,25 Hektar — angesetzten Vollbauern im Laufe der Jahrhunderte vielfach
auf die Hälfte der Zahl zusammengeschrumpft, die Güter aber auf 2 Hufen
angewachsen, und in vielen Bauergemeinden, namentlich wo man die Leute mit
dem Danaergeschenk des Zuckerrübenbaues beglückt hat, konnte man auch in
den letzten Jahrzehnten eine bedenkliche Neigung zu weiterer Vergrößerung der
Bauergüter wahrnehmen. Eine Teilung der zweihufigen Güter unter zwei
Erben faud niemals statt; war der Vater ein Zweihüfner, mußte jeder Sohn
auch einer sein, auch wenn die Schulden ihm über den Kopf wuchsen. Und
doch ist heute noch, ja heute erst recht, die Hufe das richtige Flächenmaß für
die bäuerliche Wirtschaft und das bäuerliche Leben, wo der Bauer selbst und
seine Familie, nicht teures Gesinde, das Beste thun in Hof und Feld.

Aber es ist nötig, die Veränderungen in den einzelnen Gebieten des
Reichs zu verfolgen, um die Bedeutung der mitgeteilten Zahlen richtig zu
würdigen. Das lehrreichste Bild bieten die zwölf preußischen Provinzen mit
ihrer zwischen Ost und West so verschiednen Grundbesitzverteiluug. Westpreußen,
Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, alle mit mehr als 30 Prozent der
landwirtschaftlichen Flüche im Besitz von Großbetrieben (100 Hektar und mehr),
serner Schleswig-Holstein mit 16 Prozent der Fläche im Großbetrieb haben
eine Abnahme der Großbetriebe zu verzeichnen sowohl der Zahl wie der Fläche
nach. (Nur Ostpreußen und Sachsen, die 39 und 27 Prozent der Fläche im
Großbetrieb haben, weisen vor den altpreußischen Provinzen eine Zunahme
dieser Besitzklasse auf.) Dagegen haben Hannover, Westfalen, Hessen-Nassau
und Rheinland, alle mit weniger als 10 Prozent der Flüche im Großbetrieb,
überall eine Zunahme der Großbetriebe aufzuweisen. Umgekehrt steht es
mit dem Parzellenbesitz: im Osten hat er zugenommen, im Westen abgenommen.
Über die Verschiebungen im bäuerlichen Besitz in Preußen und zugleich von
seinem recht erfreulichen Bestände giebt folgende kleine Übersicht ein Bild. Von
100 Hektar der landwirtschaftlichen Fläche jeder Provinz kommen auf

kleinen Besitzmittlern BesitzGroßbauergüter
(2—5 Ils.)(5—20 Ks,)(20—100 ti--,)
1882 18951882 18951882 1895
in Ostpreußen .3,51 8,8613,98 14,9641,81 39,36
in Westpreußen3,10 IM14,03 17,2233,22 32,72
in Brandenburg4,02 5,3519,42 20,7335,37 34,58
in Pommern ,3,50 3,4413,44 15,6422,85 22,82

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226288"/>
          <fw type="header" place="top"> Die landwirtschaftlichen Betriebe im deutschen Reiche</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_126" prev="#ID_125"> die Zahlen vor Augen geführt wird, wollen wir uns dadurch nicht verbittern<lb/>
lassen. Sehr erwünscht kommt unsrer Ansicht auch der Rückgang der Gro߬<lb/>
bauern. In den fruchtbaren Gegenden des Westens sind die Landwirte mit<lb/>
25 Hektar keine Bauern mehr, und die mit 100 noch weniger. In Schlesien<lb/>
sind die bei der Gründung der deutschen Dörfer mit 1 Hufe &#x2014; das waren<lb/>
damals je nach dem Boden einige 30 oder einige 70 Morgen zu etwa<lb/>
0,25 Hektar &#x2014; angesetzten Vollbauern im Laufe der Jahrhunderte vielfach<lb/>
auf die Hälfte der Zahl zusammengeschrumpft, die Güter aber auf 2 Hufen<lb/>
angewachsen, und in vielen Bauergemeinden, namentlich wo man die Leute mit<lb/>
dem Danaergeschenk des Zuckerrübenbaues beglückt hat, konnte man auch in<lb/>
den letzten Jahrzehnten eine bedenkliche Neigung zu weiterer Vergrößerung der<lb/>
Bauergüter wahrnehmen. Eine Teilung der zweihufigen Güter unter zwei<lb/>
Erben faud niemals statt; war der Vater ein Zweihüfner, mußte jeder Sohn<lb/>
auch einer sein, auch wenn die Schulden ihm über den Kopf wuchsen. Und<lb/>
doch ist heute noch, ja heute erst recht, die Hufe das richtige Flächenmaß für<lb/>
die bäuerliche Wirtschaft und das bäuerliche Leben, wo der Bauer selbst und<lb/>
seine Familie, nicht teures Gesinde, das Beste thun in Hof und Feld.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_127"> Aber es ist nötig, die Veränderungen in den einzelnen Gebieten des<lb/>
Reichs zu verfolgen, um die Bedeutung der mitgeteilten Zahlen richtig zu<lb/>
würdigen. Das lehrreichste Bild bieten die zwölf preußischen Provinzen mit<lb/>
ihrer zwischen Ost und West so verschiednen Grundbesitzverteiluug. Westpreußen,<lb/>
Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, alle mit mehr als 30 Prozent der<lb/>
landwirtschaftlichen Flüche im Besitz von Großbetrieben (100 Hektar und mehr),<lb/>
serner Schleswig-Holstein mit 16 Prozent der Fläche im Großbetrieb haben<lb/>
eine Abnahme der Großbetriebe zu verzeichnen sowohl der Zahl wie der Fläche<lb/>
nach. (Nur Ostpreußen und Sachsen, die 39 und 27 Prozent der Fläche im<lb/>
Großbetrieb haben, weisen vor den altpreußischen Provinzen eine Zunahme<lb/>
dieser Besitzklasse auf.) Dagegen haben Hannover, Westfalen, Hessen-Nassau<lb/>
und Rheinland, alle mit weniger als 10 Prozent der Flüche im Großbetrieb,<lb/>
überall eine Zunahme der Großbetriebe aufzuweisen. Umgekehrt steht es<lb/>
mit dem Parzellenbesitz: im Osten hat er zugenommen, im Westen abgenommen.<lb/>
Über die Verschiebungen im bäuerlichen Besitz in Preußen und zugleich von<lb/>
seinem recht erfreulichen Bestände giebt folgende kleine Übersicht ein Bild. Von<lb/>
100 Hektar der landwirtschaftlichen Fläche jeder Provinz kommen auf</p><lb/>
          <list>
            <item> kleinen Besitzmittlern BesitzGroßbauergüter</item>
            <item> (2&#x2014;5 Ils.)(5&#x2014;20 Ks,)(20&#x2014;100 ti--,)</item>
            <item> 1882 18951882 18951882 1895</item>
            <item> in Ostpreußen .3,51 8,8613,98 14,9641,81 39,36</item>
            <item> in Westpreußen3,10 IM14,03 17,2233,22 32,72</item>
            <item> in Brandenburg4,02 5,3519,42 20,7335,37 34,58</item>
            <item> in Pommern ,3,50 3,4413,44 15,6422,85 22,82</item>
          </list><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0056] Die landwirtschaftlichen Betriebe im deutschen Reiche die Zahlen vor Augen geführt wird, wollen wir uns dadurch nicht verbittern lassen. Sehr erwünscht kommt unsrer Ansicht auch der Rückgang der Gro߬ bauern. In den fruchtbaren Gegenden des Westens sind die Landwirte mit 25 Hektar keine Bauern mehr, und die mit 100 noch weniger. In Schlesien sind die bei der Gründung der deutschen Dörfer mit 1 Hufe — das waren damals je nach dem Boden einige 30 oder einige 70 Morgen zu etwa 0,25 Hektar — angesetzten Vollbauern im Laufe der Jahrhunderte vielfach auf die Hälfte der Zahl zusammengeschrumpft, die Güter aber auf 2 Hufen angewachsen, und in vielen Bauergemeinden, namentlich wo man die Leute mit dem Danaergeschenk des Zuckerrübenbaues beglückt hat, konnte man auch in den letzten Jahrzehnten eine bedenkliche Neigung zu weiterer Vergrößerung der Bauergüter wahrnehmen. Eine Teilung der zweihufigen Güter unter zwei Erben faud niemals statt; war der Vater ein Zweihüfner, mußte jeder Sohn auch einer sein, auch wenn die Schulden ihm über den Kopf wuchsen. Und doch ist heute noch, ja heute erst recht, die Hufe das richtige Flächenmaß für die bäuerliche Wirtschaft und das bäuerliche Leben, wo der Bauer selbst und seine Familie, nicht teures Gesinde, das Beste thun in Hof und Feld. Aber es ist nötig, die Veränderungen in den einzelnen Gebieten des Reichs zu verfolgen, um die Bedeutung der mitgeteilten Zahlen richtig zu würdigen. Das lehrreichste Bild bieten die zwölf preußischen Provinzen mit ihrer zwischen Ost und West so verschiednen Grundbesitzverteiluug. Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, alle mit mehr als 30 Prozent der landwirtschaftlichen Flüche im Besitz von Großbetrieben (100 Hektar und mehr), serner Schleswig-Holstein mit 16 Prozent der Fläche im Großbetrieb haben eine Abnahme der Großbetriebe zu verzeichnen sowohl der Zahl wie der Fläche nach. (Nur Ostpreußen und Sachsen, die 39 und 27 Prozent der Fläche im Großbetrieb haben, weisen vor den altpreußischen Provinzen eine Zunahme dieser Besitzklasse auf.) Dagegen haben Hannover, Westfalen, Hessen-Nassau und Rheinland, alle mit weniger als 10 Prozent der Flüche im Großbetrieb, überall eine Zunahme der Großbetriebe aufzuweisen. Umgekehrt steht es mit dem Parzellenbesitz: im Osten hat er zugenommen, im Westen abgenommen. Über die Verschiebungen im bäuerlichen Besitz in Preußen und zugleich von seinem recht erfreulichen Bestände giebt folgende kleine Übersicht ein Bild. Von 100 Hektar der landwirtschaftlichen Fläche jeder Provinz kommen auf kleinen Besitzmittlern BesitzGroßbauergüter (2—5 Ils.)(5—20 Ks,)(20—100 ti--,) 1882 18951882 18951882 1895 in Ostpreußen .3,51 8,8613,98 14,9641,81 39,36 in Westpreußen3,10 IM14,03 17,2233,22 32,72 in Brandenburg4,02 5,3519,42 20,7335,37 34,58 in Pommern ,3,50 3,4413,44 15,6422,85 22,82

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/56
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/56>, abgerufen am 23.07.2024.