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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die landwirtschaftlichen Betriebe im dentschen Reiche

Da ist zunächst als erfreuliche Thatsache zu begrüßen, daß die landwirtschaftlich
benutzte Fläche im ganzen nicht zurückgegangen ist, sondern um 642927 Hektar
zugenommen hat. Leider stehen uns über die Anbauverhältnisse keine genau
vergleichbaren Zahlen zur Verfügung, und wir sehen deshalb hier von weitern
Zahlen darüber aus früherer Zeit überhaupt ab. Von der Zunahme un¬
bebauten Landes, von der Aufforstung ackerbaufähigen Bodens oder von der
Überhandnähme von Weideland als schon wahrgenommnen Anzeichen landwirt¬
schaftlichen Verfalls wagt man ja auch Gott sei dank in Deutschland uoch
nicht zu reden, wenn auch hie und dn die Zahlen auf dem Papier, deren Wert
wir schon gekennzeichnet haben, ein Plus an Wald oder auch Ödland aus¬
weisen mögen. Was die Zahl der Betriebe angeht, so haben sie sich in allen
fünf Größenklassen vermehrt, absolut am meisten natürlich die Parzellenbetriebe
bis zu 2 Hektar. Aber hier hat die Flüche abgenommen. Das ist sonst nur
noch geschehen bei den Großbauergütern (20 bis 100 Hektar). Zugenommen
hat neben der Zahl auch die Fläche bei den Großbetrieben um 43744 Hektar,
bei den kleinen Bauergütern um 95517 Hektar und bei den mittlern Bauer¬
gütern um 562537 Hektar. Die amtliche Statistik zieht aus unsern Zahlen
den Schluß: "Der mittlere Grundbesitz hat sich also auf Kosten der Parzellen-
und der Großbetriebe verstärkt."

Man hat bisher namentlich mit zwei Gespenstern gedroht, je nachdem man
Eindruck machen wollte: mit der Zersplitterung auf der einen Seite, mit der
Latifundienbildung auf der audern; der Bauernstand sei verloren. Der
Schwerpunkt aller theoretischen Erörterungen auf agrarpolitischem Gebiete war
seit Jahren der zu rettende Bauer, und auch die ganz praktische Politik der
Agrarier im engern Sinne schob den todkranken Bauer vor. wenn es Hilfe für
den kranken Großgrundbesitz zu erlangen galt. Die Bauern selbst hatten
natürlich nichts dagegen, wenn für sie dabei ein Profit in Aussicht stand.
Wir haben den Bauernrettungssport der Berliner Theoretiker wiederholt in
den Grenzboten kritisirt, wir haben wiederholt die Herren gebeten, die Bauern
in Schlesien und andern östlichen Bezirken, die unter ähnlichen Verhältnissen
wirtschaften, mit ihren Rezepten in Ruhe zu lassen, und uns gefreut, daß recht
angesehene Leute unter den deutscheu Nationalökonomen dieselbe Bitte sür die
süd- und südwestdeutsche Bauerschaft ausspmchen. Es ist klar, daß der Berliner
Bauernrettungsmanie, an der die Universität und das landwirtschaftliche Mini¬
sterium ziemlich gleichmäßig zu leiden scheinen, durch den schlichte" Satz des
Statistischen Amts über das Ergebnis der Betriebszählung, den wir mitgeteilt
haben, der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Wir wollen abwarten,
wie man sich mit diesen Zahlen und Thatsachen abfinden wird. Vorläufig
werden sie wohl kaum viel Einfluß bilden, die herrschende Strömung trägt die
Bciuernretterei auch ohne alle und jede thatsächliche Unterlage. Doch das
nebenbei. Die Freude an der Gesundheit des Bauernstandes, die uns durch


Die landwirtschaftlichen Betriebe im dentschen Reiche

Da ist zunächst als erfreuliche Thatsache zu begrüßen, daß die landwirtschaftlich
benutzte Fläche im ganzen nicht zurückgegangen ist, sondern um 642927 Hektar
zugenommen hat. Leider stehen uns über die Anbauverhältnisse keine genau
vergleichbaren Zahlen zur Verfügung, und wir sehen deshalb hier von weitern
Zahlen darüber aus früherer Zeit überhaupt ab. Von der Zunahme un¬
bebauten Landes, von der Aufforstung ackerbaufähigen Bodens oder von der
Überhandnähme von Weideland als schon wahrgenommnen Anzeichen landwirt¬
schaftlichen Verfalls wagt man ja auch Gott sei dank in Deutschland uoch
nicht zu reden, wenn auch hie und dn die Zahlen auf dem Papier, deren Wert
wir schon gekennzeichnet haben, ein Plus an Wald oder auch Ödland aus¬
weisen mögen. Was die Zahl der Betriebe angeht, so haben sie sich in allen
fünf Größenklassen vermehrt, absolut am meisten natürlich die Parzellenbetriebe
bis zu 2 Hektar. Aber hier hat die Flüche abgenommen. Das ist sonst nur
noch geschehen bei den Großbauergütern (20 bis 100 Hektar). Zugenommen
hat neben der Zahl auch die Fläche bei den Großbetrieben um 43744 Hektar,
bei den kleinen Bauergütern um 95517 Hektar und bei den mittlern Bauer¬
gütern um 562537 Hektar. Die amtliche Statistik zieht aus unsern Zahlen
den Schluß: „Der mittlere Grundbesitz hat sich also auf Kosten der Parzellen-
und der Großbetriebe verstärkt."

Man hat bisher namentlich mit zwei Gespenstern gedroht, je nachdem man
Eindruck machen wollte: mit der Zersplitterung auf der einen Seite, mit der
Latifundienbildung auf der audern; der Bauernstand sei verloren. Der
Schwerpunkt aller theoretischen Erörterungen auf agrarpolitischem Gebiete war
seit Jahren der zu rettende Bauer, und auch die ganz praktische Politik der
Agrarier im engern Sinne schob den todkranken Bauer vor. wenn es Hilfe für
den kranken Großgrundbesitz zu erlangen galt. Die Bauern selbst hatten
natürlich nichts dagegen, wenn für sie dabei ein Profit in Aussicht stand.
Wir haben den Bauernrettungssport der Berliner Theoretiker wiederholt in
den Grenzboten kritisirt, wir haben wiederholt die Herren gebeten, die Bauern
in Schlesien und andern östlichen Bezirken, die unter ähnlichen Verhältnissen
wirtschaften, mit ihren Rezepten in Ruhe zu lassen, und uns gefreut, daß recht
angesehene Leute unter den deutscheu Nationalökonomen dieselbe Bitte sür die
süd- und südwestdeutsche Bauerschaft ausspmchen. Es ist klar, daß der Berliner
Bauernrettungsmanie, an der die Universität und das landwirtschaftliche Mini¬
sterium ziemlich gleichmäßig zu leiden scheinen, durch den schlichte» Satz des
Statistischen Amts über das Ergebnis der Betriebszählung, den wir mitgeteilt
haben, der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Wir wollen abwarten,
wie man sich mit diesen Zahlen und Thatsachen abfinden wird. Vorläufig
werden sie wohl kaum viel Einfluß bilden, die herrschende Strömung trägt die
Bciuernretterei auch ohne alle und jede thatsächliche Unterlage. Doch das
nebenbei. Die Freude an der Gesundheit des Bauernstandes, die uns durch


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[0055] Die landwirtschaftlichen Betriebe im dentschen Reiche Da ist zunächst als erfreuliche Thatsache zu begrüßen, daß die landwirtschaftlich benutzte Fläche im ganzen nicht zurückgegangen ist, sondern um 642927 Hektar zugenommen hat. Leider stehen uns über die Anbauverhältnisse keine genau vergleichbaren Zahlen zur Verfügung, und wir sehen deshalb hier von weitern Zahlen darüber aus früherer Zeit überhaupt ab. Von der Zunahme un¬ bebauten Landes, von der Aufforstung ackerbaufähigen Bodens oder von der Überhandnähme von Weideland als schon wahrgenommnen Anzeichen landwirt¬ schaftlichen Verfalls wagt man ja auch Gott sei dank in Deutschland uoch nicht zu reden, wenn auch hie und dn die Zahlen auf dem Papier, deren Wert wir schon gekennzeichnet haben, ein Plus an Wald oder auch Ödland aus¬ weisen mögen. Was die Zahl der Betriebe angeht, so haben sie sich in allen fünf Größenklassen vermehrt, absolut am meisten natürlich die Parzellenbetriebe bis zu 2 Hektar. Aber hier hat die Flüche abgenommen. Das ist sonst nur noch geschehen bei den Großbauergütern (20 bis 100 Hektar). Zugenommen hat neben der Zahl auch die Fläche bei den Großbetrieben um 43744 Hektar, bei den kleinen Bauergütern um 95517 Hektar und bei den mittlern Bauer¬ gütern um 562537 Hektar. Die amtliche Statistik zieht aus unsern Zahlen den Schluß: „Der mittlere Grundbesitz hat sich also auf Kosten der Parzellen- und der Großbetriebe verstärkt." Man hat bisher namentlich mit zwei Gespenstern gedroht, je nachdem man Eindruck machen wollte: mit der Zersplitterung auf der einen Seite, mit der Latifundienbildung auf der audern; der Bauernstand sei verloren. Der Schwerpunkt aller theoretischen Erörterungen auf agrarpolitischem Gebiete war seit Jahren der zu rettende Bauer, und auch die ganz praktische Politik der Agrarier im engern Sinne schob den todkranken Bauer vor. wenn es Hilfe für den kranken Großgrundbesitz zu erlangen galt. Die Bauern selbst hatten natürlich nichts dagegen, wenn für sie dabei ein Profit in Aussicht stand. Wir haben den Bauernrettungssport der Berliner Theoretiker wiederholt in den Grenzboten kritisirt, wir haben wiederholt die Herren gebeten, die Bauern in Schlesien und andern östlichen Bezirken, die unter ähnlichen Verhältnissen wirtschaften, mit ihren Rezepten in Ruhe zu lassen, und uns gefreut, daß recht angesehene Leute unter den deutscheu Nationalökonomen dieselbe Bitte sür die süd- und südwestdeutsche Bauerschaft ausspmchen. Es ist klar, daß der Berliner Bauernrettungsmanie, an der die Universität und das landwirtschaftliche Mini¬ sterium ziemlich gleichmäßig zu leiden scheinen, durch den schlichte» Satz des Statistischen Amts über das Ergebnis der Betriebszählung, den wir mitgeteilt haben, der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Wir wollen abwarten, wie man sich mit diesen Zahlen und Thatsachen abfinden wird. Vorläufig werden sie wohl kaum viel Einfluß bilden, die herrschende Strömung trägt die Bciuernretterei auch ohne alle und jede thatsächliche Unterlage. Doch das nebenbei. Die Freude an der Gesundheit des Bauernstandes, die uns durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/55>, abgerufen am 01.10.2024.