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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Neueste Aunst und Aunstlitteratur

wird für die neue Richtung einige Zugkraft haben. Aber auch er macht allerlei
Vorbehalte, und das letzte Wort sprechen hier nicht kunsttheoretische Erwägungen,
sondern stärkere Kräfte. Bing ist Geschäftsmann, wir sagen das unbeschadet
seiner großen Verdienste und seiner umfassenden Sachkenntnis -- er scheint
mit dem ^.re nouvsau in Paris bisher keinen Erfolg gehabt zu haben, die
historischen Stile sind hier zu stark, und die Technik ist zu vollkommen, so
etwas läßt sich nicht leicht verdrängen. Für die Franzosen hängen auch an
den verschiednen nach Königen benannten Stilreihen zu viel ruhmreiche oder
auch nur angenehme Erinnerungen, als daß sie das alles hingäben für die
nüchternen Chippendalemöbel und das praktische, unschöne englische Gerät.
Und wir in Deutschland? Da wir leichter für alles internationale zu haben
sind, und da manches dieser fremden Dinge seine Vorzüge hat, so werden wir
uns prinzipiell nicht so widerstandsfähig zeigen wie die Franzosen- Aber daß
diese Bewegung die alten Stile ganz beseitigen sollte, glauben wir nun und
nimmermehr. Aus der Geschichte haben wir bis jetzt gelernt, daß sich das
gute und beständige Kunsthandwerk an die hohe Kunst, zunächst an die Archi¬
tektur, anlehnt. Hier will kein neuer Stil erscheinen, und dort, im Kunst-
handwerk, sollte sich nur aus dem Praktischen heraus eine Form entwickeln,
die so beständig wäre, daß sie den Wert eines Stils bekäme, und die bloß
durch ihre innere, natürliche Notwendigkeit den Spieltrieb und die Prnchtliebe
ausstäche, denen die historischen Stile Nahrung geben und wieder selbst Leben
verdanken? Im Kunsthandwerk aller frühern Zeiten, sofern es etwas wert
war, finden wir Eigenschaften der Bilder und Skulpturen ihrer Zeit wieder;
wo aber wäre bei uns die hohe Kunst, ohne die wir uns eine Kunstindustrie
nun einmal bis jetzt nicht vorstellen können? Der angesehenste deutsche Bild¬
hauer, Vegas, greift mit seinem umfassendsten Werke in die Kunst des Barock
zurück. Der erste Maler Norddeutschlands, Menzel, ist stets im Rokoko stecken
geblieben. Böcklin, der in unserm Südwesten angesehenste Künstler, ist zuerst
Landschafter, dann Poet in Farbe, Luft und Licht; die Form tritt bei ihm
zurück, vollends von architektonischen Formen kann kaum die Rede sein. Klinger
endlich, der im mitteldeutschen Strich zur Zeit am meisten gepriesene Künstler,
ist, wenn man ihn auf die Form ansehen will, als Klassizist zu bezeichnen.
Man könnte sich den weitern Verlauf doch nur so denken, daß das Kunst-
Handwerk seine Formen ganz ans sich bezöge, und will man weiter fragen,
ob dieser Aufwand an Erfindung auf die Dauer einem kräftigen Schönheits¬
bedürfnis genügen könne, das an allen Gegenständen befriedigt sein will: so
erwäge man doch aufrichtig, ob man über einem solchen Teppichmuster von
Obrist selbst alles frühere Gewebe und Gespinst vergessen und vermissen
könnte. Wir für unsre Person finden die hier so dringend empfohlnen Vasen
des Münchners Schmuz-Baudiß nicht hübsch und finden auch, daß Tiffanys
dicke Tischlampen, deren Körper man mit zwei Händen umfassen muß, allenfalls


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wird für die neue Richtung einige Zugkraft haben. Aber auch er macht allerlei
Vorbehalte, und das letzte Wort sprechen hier nicht kunsttheoretische Erwägungen,
sondern stärkere Kräfte. Bing ist Geschäftsmann, wir sagen das unbeschadet
seiner großen Verdienste und seiner umfassenden Sachkenntnis — er scheint
mit dem ^.re nouvsau in Paris bisher keinen Erfolg gehabt zu haben, die
historischen Stile sind hier zu stark, und die Technik ist zu vollkommen, so
etwas läßt sich nicht leicht verdrängen. Für die Franzosen hängen auch an
den verschiednen nach Königen benannten Stilreihen zu viel ruhmreiche oder
auch nur angenehme Erinnerungen, als daß sie das alles hingäben für die
nüchternen Chippendalemöbel und das praktische, unschöne englische Gerät.
Und wir in Deutschland? Da wir leichter für alles internationale zu haben
sind, und da manches dieser fremden Dinge seine Vorzüge hat, so werden wir
uns prinzipiell nicht so widerstandsfähig zeigen wie die Franzosen- Aber daß
diese Bewegung die alten Stile ganz beseitigen sollte, glauben wir nun und
nimmermehr. Aus der Geschichte haben wir bis jetzt gelernt, daß sich das
gute und beständige Kunsthandwerk an die hohe Kunst, zunächst an die Archi¬
tektur, anlehnt. Hier will kein neuer Stil erscheinen, und dort, im Kunst-
handwerk, sollte sich nur aus dem Praktischen heraus eine Form entwickeln,
die so beständig wäre, daß sie den Wert eines Stils bekäme, und die bloß
durch ihre innere, natürliche Notwendigkeit den Spieltrieb und die Prnchtliebe
ausstäche, denen die historischen Stile Nahrung geben und wieder selbst Leben
verdanken? Im Kunsthandwerk aller frühern Zeiten, sofern es etwas wert
war, finden wir Eigenschaften der Bilder und Skulpturen ihrer Zeit wieder;
wo aber wäre bei uns die hohe Kunst, ohne die wir uns eine Kunstindustrie
nun einmal bis jetzt nicht vorstellen können? Der angesehenste deutsche Bild¬
hauer, Vegas, greift mit seinem umfassendsten Werke in die Kunst des Barock
zurück. Der erste Maler Norddeutschlands, Menzel, ist stets im Rokoko stecken
geblieben. Böcklin, der in unserm Südwesten angesehenste Künstler, ist zuerst
Landschafter, dann Poet in Farbe, Luft und Licht; die Form tritt bei ihm
zurück, vollends von architektonischen Formen kann kaum die Rede sein. Klinger
endlich, der im mitteldeutschen Strich zur Zeit am meisten gepriesene Künstler,
ist, wenn man ihn auf die Form ansehen will, als Klassizist zu bezeichnen.
Man könnte sich den weitern Verlauf doch nur so denken, daß das Kunst-
Handwerk seine Formen ganz ans sich bezöge, und will man weiter fragen,
ob dieser Aufwand an Erfindung auf die Dauer einem kräftigen Schönheits¬
bedürfnis genügen könne, das an allen Gegenständen befriedigt sein will: so
erwäge man doch aufrichtig, ob man über einem solchen Teppichmuster von
Obrist selbst alles frühere Gewebe und Gespinst vergessen und vermissen
könnte. Wir für unsre Person finden die hier so dringend empfohlnen Vasen
des Münchners Schmuz-Baudiß nicht hübsch und finden auch, daß Tiffanys
dicke Tischlampen, deren Körper man mit zwei Händen umfassen muß, allenfalls


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/552>, abgerufen am 26.06.2024.