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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Neueste Kunst und Aunstlitteratur

Leute, die sich den Arbeitsraum ohne einen angemessenen Schmuck nicht denken
mögen, und die dann die Stätte ihrer Ruhe und ihres Lebensgenusses im
Anschluß an jenen und im Einklang mit ihrer Berufsart und ihren Neigungen
zu gestalten und zu verschönen suchen. Alles stimmt zu einander, nichts glänzt
oder protzt, das giebt Gesamteindrücke: so ist ein Arbeitszimmer, so ein E߬
zimmer, so ein Vorsaal, und was den Palast des Großen füllt, bringt man
nicht in einzelnen Stücken in die Zimmer des Kleinen, weil eben jeder sein
eignes Maß und seine eigne Art hat.

Zu den englischen Möbeln, Vorhängen, Beleuchtungskörpern, als da sind
Wandleuchter für Gas und elektrisches Licht, Handleuchter, Tischlampen, kommen
die Erzeugnisse einer rasch empvrgeblühten amerikanischen Industrie für teil¬
weise ganz neue Bedürfnisse. Das Glas ist hier ganz eigenartig angewendet
worden für dekorative Fenster, durchscheinende Wände, aber auch für Gefäße,
Vasen und Lampen aller Art (Lafcirge und Tiffany), und das dortige Publikum
wendet sich den verhältnismäßig recht kostspieligen Gegenständen mit solchem
Verlangen zu, daß die wenigen Produzenten nicht genug schassen können. Auch
anderwärts zeigen sich Anfänge eines von der Überlieferung unabhängigen,
freien, auf natürliche Bedingungen gegründeten Geschmacks, so für Mobiliar
namentlich in Belgien (van de Velde, Pcmkok), wo auch bereits ganze Häuser
in dieser Art und einheitlich ausgestattet wordeu sind. Proben davon haben
die Ausstellungen, vor allen die Dresdner, gegeben, doch ist man mit den Ein¬
drücken nicht durchaus zufrieden gewesen, worüber sich unsre Gewährsmänner
sehr verschieden aussprechen. Innerhalb Deutschlands stellt man in Kenner¬
kreisen sehr hoch die Erfindungen des jetzt in München angesiedelten schweize¬
rischen Bildhauers Obrist für Teppiche und überhaupt Stoffmuster, und sowohl
in derartigen Arbeiten als in Geräten, Leuchtern, Vasen, Gläsern suchen einzelne
deutsche Künstler auf diesem, sagen wir: nach dem Urteil der Kenner natür¬
lichen Wege den Pfadfindern und Bahnbrechern, wie sie bezeichnet werden,
nachzufolgen.

Wir möchten nicht mehr Thatsachen und Namen häufen; unsre Leser
können sich durch Abbildungen leicht näher unterrichten. Es liegt hier jeden¬
falls eine kulturgeschichtlich sehr merkwürdige Erscheinung vor, gleichviel ob
die Bewegung bei uns durchbricht oder nicht, wie wir glauben. Das Publikum
verlangt offenbar nicht nach neustilisirter Ware, es ist mit der alten lauge
zufrieden; aber die Kenner halten ihm die fremden Muster vor und suchen es
glauben zu machen, daß jedes Zögern hier berechenbarer Verlust sei. Bode
hat vollkommen recht, wenn er die vielen Bildhauer und Maler, die nicht
genug können, um in der hohen Kunst auch nur mit den handwerksmüßig
geschulten Künstlern früherer Zeiten zu wetteifern, auf die Dekoration hinweist,
sür die ihre Begabung noch ausreicht. Daß er, der die historische Kunst am
besten von allen kennt, den unhistorischen Stil im Kunstgewerbe befürwortet,


Neueste Kunst und Aunstlitteratur

Leute, die sich den Arbeitsraum ohne einen angemessenen Schmuck nicht denken
mögen, und die dann die Stätte ihrer Ruhe und ihres Lebensgenusses im
Anschluß an jenen und im Einklang mit ihrer Berufsart und ihren Neigungen
zu gestalten und zu verschönen suchen. Alles stimmt zu einander, nichts glänzt
oder protzt, das giebt Gesamteindrücke: so ist ein Arbeitszimmer, so ein E߬
zimmer, so ein Vorsaal, und was den Palast des Großen füllt, bringt man
nicht in einzelnen Stücken in die Zimmer des Kleinen, weil eben jeder sein
eignes Maß und seine eigne Art hat.

Zu den englischen Möbeln, Vorhängen, Beleuchtungskörpern, als da sind
Wandleuchter für Gas und elektrisches Licht, Handleuchter, Tischlampen, kommen
die Erzeugnisse einer rasch empvrgeblühten amerikanischen Industrie für teil¬
weise ganz neue Bedürfnisse. Das Glas ist hier ganz eigenartig angewendet
worden für dekorative Fenster, durchscheinende Wände, aber auch für Gefäße,
Vasen und Lampen aller Art (Lafcirge und Tiffany), und das dortige Publikum
wendet sich den verhältnismäßig recht kostspieligen Gegenständen mit solchem
Verlangen zu, daß die wenigen Produzenten nicht genug schassen können. Auch
anderwärts zeigen sich Anfänge eines von der Überlieferung unabhängigen,
freien, auf natürliche Bedingungen gegründeten Geschmacks, so für Mobiliar
namentlich in Belgien (van de Velde, Pcmkok), wo auch bereits ganze Häuser
in dieser Art und einheitlich ausgestattet wordeu sind. Proben davon haben
die Ausstellungen, vor allen die Dresdner, gegeben, doch ist man mit den Ein¬
drücken nicht durchaus zufrieden gewesen, worüber sich unsre Gewährsmänner
sehr verschieden aussprechen. Innerhalb Deutschlands stellt man in Kenner¬
kreisen sehr hoch die Erfindungen des jetzt in München angesiedelten schweize¬
rischen Bildhauers Obrist für Teppiche und überhaupt Stoffmuster, und sowohl
in derartigen Arbeiten als in Geräten, Leuchtern, Vasen, Gläsern suchen einzelne
deutsche Künstler auf diesem, sagen wir: nach dem Urteil der Kenner natür¬
lichen Wege den Pfadfindern und Bahnbrechern, wie sie bezeichnet werden,
nachzufolgen.

Wir möchten nicht mehr Thatsachen und Namen häufen; unsre Leser
können sich durch Abbildungen leicht näher unterrichten. Es liegt hier jeden¬
falls eine kulturgeschichtlich sehr merkwürdige Erscheinung vor, gleichviel ob
die Bewegung bei uns durchbricht oder nicht, wie wir glauben. Das Publikum
verlangt offenbar nicht nach neustilisirter Ware, es ist mit der alten lauge
zufrieden; aber die Kenner halten ihm die fremden Muster vor und suchen es
glauben zu machen, daß jedes Zögern hier berechenbarer Verlust sei. Bode
hat vollkommen recht, wenn er die vielen Bildhauer und Maler, die nicht
genug können, um in der hohen Kunst auch nur mit den handwerksmüßig
geschulten Künstlern früherer Zeiten zu wetteifern, auf die Dekoration hinweist,
sür die ihre Begabung noch ausreicht. Daß er, der die historische Kunst am
besten von allen kennt, den unhistorischen Stil im Kunstgewerbe befürwortet,


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[0551] Neueste Kunst und Aunstlitteratur Leute, die sich den Arbeitsraum ohne einen angemessenen Schmuck nicht denken mögen, und die dann die Stätte ihrer Ruhe und ihres Lebensgenusses im Anschluß an jenen und im Einklang mit ihrer Berufsart und ihren Neigungen zu gestalten und zu verschönen suchen. Alles stimmt zu einander, nichts glänzt oder protzt, das giebt Gesamteindrücke: so ist ein Arbeitszimmer, so ein E߬ zimmer, so ein Vorsaal, und was den Palast des Großen füllt, bringt man nicht in einzelnen Stücken in die Zimmer des Kleinen, weil eben jeder sein eignes Maß und seine eigne Art hat. Zu den englischen Möbeln, Vorhängen, Beleuchtungskörpern, als da sind Wandleuchter für Gas und elektrisches Licht, Handleuchter, Tischlampen, kommen die Erzeugnisse einer rasch empvrgeblühten amerikanischen Industrie für teil¬ weise ganz neue Bedürfnisse. Das Glas ist hier ganz eigenartig angewendet worden für dekorative Fenster, durchscheinende Wände, aber auch für Gefäße, Vasen und Lampen aller Art (Lafcirge und Tiffany), und das dortige Publikum wendet sich den verhältnismäßig recht kostspieligen Gegenständen mit solchem Verlangen zu, daß die wenigen Produzenten nicht genug schassen können. Auch anderwärts zeigen sich Anfänge eines von der Überlieferung unabhängigen, freien, auf natürliche Bedingungen gegründeten Geschmacks, so für Mobiliar namentlich in Belgien (van de Velde, Pcmkok), wo auch bereits ganze Häuser in dieser Art und einheitlich ausgestattet wordeu sind. Proben davon haben die Ausstellungen, vor allen die Dresdner, gegeben, doch ist man mit den Ein¬ drücken nicht durchaus zufrieden gewesen, worüber sich unsre Gewährsmänner sehr verschieden aussprechen. Innerhalb Deutschlands stellt man in Kenner¬ kreisen sehr hoch die Erfindungen des jetzt in München angesiedelten schweize¬ rischen Bildhauers Obrist für Teppiche und überhaupt Stoffmuster, und sowohl in derartigen Arbeiten als in Geräten, Leuchtern, Vasen, Gläsern suchen einzelne deutsche Künstler auf diesem, sagen wir: nach dem Urteil der Kenner natür¬ lichen Wege den Pfadfindern und Bahnbrechern, wie sie bezeichnet werden, nachzufolgen. Wir möchten nicht mehr Thatsachen und Namen häufen; unsre Leser können sich durch Abbildungen leicht näher unterrichten. Es liegt hier jeden¬ falls eine kulturgeschichtlich sehr merkwürdige Erscheinung vor, gleichviel ob die Bewegung bei uns durchbricht oder nicht, wie wir glauben. Das Publikum verlangt offenbar nicht nach neustilisirter Ware, es ist mit der alten lauge zufrieden; aber die Kenner halten ihm die fremden Muster vor und suchen es glauben zu machen, daß jedes Zögern hier berechenbarer Verlust sei. Bode hat vollkommen recht, wenn er die vielen Bildhauer und Maler, die nicht genug können, um in der hohen Kunst auch nur mit den handwerksmüßig geschulten Künstlern früherer Zeiten zu wetteifern, auf die Dekoration hinweist, sür die ihre Begabung noch ausreicht. Daß er, der die historische Kunst am besten von allen kennt, den unhistorischen Stil im Kunstgewerbe befürwortet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/551>, abgerufen am 26.06.2024.