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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Neueste Kunst und Aunstlitteratur

mit dem (juvLii ^uus-Stil aufzuräumen hatte, und selbst der war einst importirt
worden. Ju England eiferte schon vor fünfzig Jahren ein bedeutender, durch
seine ganz eigentümliche Begabung hinreißender Schriftsteller, Nuskin, gegen
das historische Ornament im Kunsthandwerk, von dem Hause, das wir bewohnen,
an bis herunter zum einfachsten Gerät, dessen wir uns bedienen. Nuskin war
Volksmnnn, Sozialist in gewissem Sinne und persönlich durchdrungen von der
Wahrheit und Wichtigkeit seiner Lehre. Das Volk versteht die Karyatiden
oder Atlanten oder die allegorischen Relieffriese nicht; auch dem Arbeiter, der
sie herstellt, sind sie fremd, denn er erfindet sie ja nicht, er ist nur Teilarbeiter
daran, ohne Verständnis des Ganzen, nicht Künstler, den das Werk interessiren
könnte. Giebt man das unuerstandne Ornament und die alten Stilformen auf
zu Gunsten einer rein sachlichen Darstellung des Nützlichen, und sucht man
nun dieses Nützliche so hübsch und nett zu gestalten, wie es sich mit Rücksicht
auf das Material und den Gebrauchszweck thun läßt, so bekommt man zweck¬
mäßige Gegenstände, deren Schönheit auch der einfachste Manu nicht nur
empfindet, sondern sogar selbst verbessern, herstellen, erfinden kann. Das ist
nun nach Ruskin die wahre Kunst fürs Volk, die dem Menschen eine auf seine
Stimmung wirkende Einrichtung schafft, und die die verschiednen Menschen¬
klassen mit einander verbindet. Fehlt sie, und versteht der kleine Mann das
Ornament nicht, das an seinem Lehnstuhl oder an seinem Nachtleuchter sitzt,
so zerreißt diese Harmonie, die Kunst aber wird äußerlicher Luxus weniger
wohlhabenden Menschen und verfällt unrettbar! Eine schöne Lehre, die nur
vergißt, daß das Kunsthandwerk in den Zeiten, wo es wirklich groß war,
z. B. in Italien seit dem fünfzehnten Jahrhundert, bei uns im sechzehnten,
wo nichts in Europa über Augsburger Gold- und Silberarbeit ging, daß es
sich damals herzlich wenig um die Kreise gekümmert hat, die Nuskin und seine
Leute unter "Volk" verstehen. Aber in England gelang die Sache. Ruskins
Liebe zur Natur, die keine fremde Kultur und keinen frühern Stil als Vor¬
bild duldete, warb einen hervorragenden Anhänger, William Morris, an den
sich dann zahlreiche tüchtige Einzelkräfte, Architekten, Maler, Industrielle, an¬
schlössen. Man machte Gebrauchsgegenstände aller Art, solid und gefällig,
schlicht oder mit einem möglichst gemeinverständlichen Ornament. Vom Möbel
ging man zum Vorhang über, zum Teppich, zu der Wand, endlich kam man
an das Äußere des Hauses, wenn auch das Prinzip hier an der Mietwohnung
Halt machen mußte und sich nur dem Privathause der Besitzer, namentlich auf
dem Lande, zuwenden kounte. So hat sich in England, wenn auch nicht all¬
gemein, doch gelegentlich ein Sinn für häusliche Einrichtung ausgebildet, der
von dem unsern sehr verschieden ist. Unser Großkaufmann vertauscht seinen
dürftigen Komtoirraum abends mit Privatzimmern, in denen sich zusammen¬
gefunden hat, was nur fremde oder längst vergangne Kultur zur Behaglichkeit
oder zum Schmuck der Menschen hervorgebracht hat. In England giebt es


Neueste Kunst und Aunstlitteratur

mit dem (juvLii ^uus-Stil aufzuräumen hatte, und selbst der war einst importirt
worden. Ju England eiferte schon vor fünfzig Jahren ein bedeutender, durch
seine ganz eigentümliche Begabung hinreißender Schriftsteller, Nuskin, gegen
das historische Ornament im Kunsthandwerk, von dem Hause, das wir bewohnen,
an bis herunter zum einfachsten Gerät, dessen wir uns bedienen. Nuskin war
Volksmnnn, Sozialist in gewissem Sinne und persönlich durchdrungen von der
Wahrheit und Wichtigkeit seiner Lehre. Das Volk versteht die Karyatiden
oder Atlanten oder die allegorischen Relieffriese nicht; auch dem Arbeiter, der
sie herstellt, sind sie fremd, denn er erfindet sie ja nicht, er ist nur Teilarbeiter
daran, ohne Verständnis des Ganzen, nicht Künstler, den das Werk interessiren
könnte. Giebt man das unuerstandne Ornament und die alten Stilformen auf
zu Gunsten einer rein sachlichen Darstellung des Nützlichen, und sucht man
nun dieses Nützliche so hübsch und nett zu gestalten, wie es sich mit Rücksicht
auf das Material und den Gebrauchszweck thun läßt, so bekommt man zweck¬
mäßige Gegenstände, deren Schönheit auch der einfachste Manu nicht nur
empfindet, sondern sogar selbst verbessern, herstellen, erfinden kann. Das ist
nun nach Ruskin die wahre Kunst fürs Volk, die dem Menschen eine auf seine
Stimmung wirkende Einrichtung schafft, und die die verschiednen Menschen¬
klassen mit einander verbindet. Fehlt sie, und versteht der kleine Mann das
Ornament nicht, das an seinem Lehnstuhl oder an seinem Nachtleuchter sitzt,
so zerreißt diese Harmonie, die Kunst aber wird äußerlicher Luxus weniger
wohlhabenden Menschen und verfällt unrettbar! Eine schöne Lehre, die nur
vergißt, daß das Kunsthandwerk in den Zeiten, wo es wirklich groß war,
z. B. in Italien seit dem fünfzehnten Jahrhundert, bei uns im sechzehnten,
wo nichts in Europa über Augsburger Gold- und Silberarbeit ging, daß es
sich damals herzlich wenig um die Kreise gekümmert hat, die Nuskin und seine
Leute unter „Volk" verstehen. Aber in England gelang die Sache. Ruskins
Liebe zur Natur, die keine fremde Kultur und keinen frühern Stil als Vor¬
bild duldete, warb einen hervorragenden Anhänger, William Morris, an den
sich dann zahlreiche tüchtige Einzelkräfte, Architekten, Maler, Industrielle, an¬
schlössen. Man machte Gebrauchsgegenstände aller Art, solid und gefällig,
schlicht oder mit einem möglichst gemeinverständlichen Ornament. Vom Möbel
ging man zum Vorhang über, zum Teppich, zu der Wand, endlich kam man
an das Äußere des Hauses, wenn auch das Prinzip hier an der Mietwohnung
Halt machen mußte und sich nur dem Privathause der Besitzer, namentlich auf
dem Lande, zuwenden kounte. So hat sich in England, wenn auch nicht all¬
gemein, doch gelegentlich ein Sinn für häusliche Einrichtung ausgebildet, der
von dem unsern sehr verschieden ist. Unser Großkaufmann vertauscht seinen
dürftigen Komtoirraum abends mit Privatzimmern, in denen sich zusammen¬
gefunden hat, was nur fremde oder längst vergangne Kultur zur Behaglichkeit
oder zum Schmuck der Menschen hervorgebracht hat. In England giebt es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/550>, abgerufen am 26.06.2024.