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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Neueste Kunst und Aunstlitteratur

nouvs-ni) Vertretung finden sollen. Der Pan sowohl wie die neue Zeitschrift
enthalten zahlreiche Abbildungen von Mobiliar, Gerät, Teppichen und Schmuck¬
gegenständen, der Text verliert sich nicht ins Unbestimmte, und der gebildete
Leser ist in den Stand gesetzt, sich über diese gegenwärtig viel behandelten
Dinge ein Urteil zu bilden.

Es sind fast genau dreißig Jahre her, seit man bei uns in Deutschland
vom Kunstgewerbe als einer neu zu gestaltenden Sache öffentlich zu sprechen
anfing. Damals war das uns umgebende Gerät, sofern es nicht noch aus
älterer Zeit stammte, entweder nüchtern und schmucklos oder in sinnloser
Weise verziert, und die Technik war nur der Herstellung gröberer Arbeit ge¬
wachsen; auch der Sinn für Farbe und Muster der Stoffe war geschwunden.
Bald suchte mau das Verlorne wieder in der Geschichte, und es gelang be¬
kanntlich, alles, was nur begehrt wurde, in einem der frühern, historischen
Stile gut herzustellen. Man arbeitete in italienischer oder deutscher Renaissance,
in Barock und Rokoko, mau brachte billige Ware, aber auch ausgesuchte für
den feinsten Geschmack und die größten Ansprüche, die Technik vervollkommnete
sich, herstellen ließ sich alles, wenn nur Besteller und Käufer da waren. Und
sie waren da, denn jeder, der hierin etwa dreißig Jahre zurückdenken will, weiß,
wie in Bezug auf häusliche Einrichtung der Anspruch des Publikums in
Deutschland gestiegen ist; was man zunächst noch als unberechtigten und un¬
bescheidnen Luxus einzelner ansah, ist allmählich gewöhnlich und unerläßlich
geworden. Hier ist ohne Frage ein großer Fortschritt gemacht worden, und
die Menschen fühlten sich bisher wohl und behaglich in dem neugewonnenen,
wenn auch die allerklügsten und feinsten über Tapeziererherrschaft und Maugel
an individuellem Geschmack ihre kritischen Nasen zu rümpfen pflegten. So
ging es bis in die letzten Jahre, da plötzlich erhob sich ein Wind, der aus
einer ganz andern Ecke blies. Hatte man sich bisher an die vergangne Kunst
angelehnt und frühere Stile gepflegt, so sollte nnn mit einemmale die Nach¬
ahmung verderblich sein, und eine neue Lehre predigte Abschüttlung aller
solchen Belastung, um einen ganz neuen Anfang zu ermöglichen, in dem wir,
nach der Meinung der Verstündigen, heute bereits stehen! Seltsamerweise
kam die Anregung aus einem Lande, das von jeher viele Kenner und Lieb¬
haber von Kunstwerken, aber keine eigne wirkliche Kunst gehabt hat, das trotz
hoher Technik und gut organisirten technischem Unterricht bis in die neueste
Zeit unsern Markt mit Erzeugnissen seiner Kunstindustrie in Porzellan oder
Majolika zu beschicken pflegte, die unserm an bestimmte, historische Formen
gewöhnten Geschmack einfach schauderhaft vorkamen, mochten sie auch von
einzelnen Kennern als noch so praktisch empfohlen und von wohlhabenden
Liebhabern um ihres höhern Preises willen gern gekauft werden. In England
konnte eben diesem nüchternen, glatten, hansbacknen "Ding an sich" leichter
zum Leben verholfen werden, da man an historischem Erbteil eigentlich nur


Neueste Kunst und Aunstlitteratur

nouvs-ni) Vertretung finden sollen. Der Pan sowohl wie die neue Zeitschrift
enthalten zahlreiche Abbildungen von Mobiliar, Gerät, Teppichen und Schmuck¬
gegenständen, der Text verliert sich nicht ins Unbestimmte, und der gebildete
Leser ist in den Stand gesetzt, sich über diese gegenwärtig viel behandelten
Dinge ein Urteil zu bilden.

Es sind fast genau dreißig Jahre her, seit man bei uns in Deutschland
vom Kunstgewerbe als einer neu zu gestaltenden Sache öffentlich zu sprechen
anfing. Damals war das uns umgebende Gerät, sofern es nicht noch aus
älterer Zeit stammte, entweder nüchtern und schmucklos oder in sinnloser
Weise verziert, und die Technik war nur der Herstellung gröberer Arbeit ge¬
wachsen; auch der Sinn für Farbe und Muster der Stoffe war geschwunden.
Bald suchte mau das Verlorne wieder in der Geschichte, und es gelang be¬
kanntlich, alles, was nur begehrt wurde, in einem der frühern, historischen
Stile gut herzustellen. Man arbeitete in italienischer oder deutscher Renaissance,
in Barock und Rokoko, mau brachte billige Ware, aber auch ausgesuchte für
den feinsten Geschmack und die größten Ansprüche, die Technik vervollkommnete
sich, herstellen ließ sich alles, wenn nur Besteller und Käufer da waren. Und
sie waren da, denn jeder, der hierin etwa dreißig Jahre zurückdenken will, weiß,
wie in Bezug auf häusliche Einrichtung der Anspruch des Publikums in
Deutschland gestiegen ist; was man zunächst noch als unberechtigten und un¬
bescheidnen Luxus einzelner ansah, ist allmählich gewöhnlich und unerläßlich
geworden. Hier ist ohne Frage ein großer Fortschritt gemacht worden, und
die Menschen fühlten sich bisher wohl und behaglich in dem neugewonnenen,
wenn auch die allerklügsten und feinsten über Tapeziererherrschaft und Maugel
an individuellem Geschmack ihre kritischen Nasen zu rümpfen pflegten. So
ging es bis in die letzten Jahre, da plötzlich erhob sich ein Wind, der aus
einer ganz andern Ecke blies. Hatte man sich bisher an die vergangne Kunst
angelehnt und frühere Stile gepflegt, so sollte nnn mit einemmale die Nach¬
ahmung verderblich sein, und eine neue Lehre predigte Abschüttlung aller
solchen Belastung, um einen ganz neuen Anfang zu ermöglichen, in dem wir,
nach der Meinung der Verstündigen, heute bereits stehen! Seltsamerweise
kam die Anregung aus einem Lande, das von jeher viele Kenner und Lieb¬
haber von Kunstwerken, aber keine eigne wirkliche Kunst gehabt hat, das trotz
hoher Technik und gut organisirten technischem Unterricht bis in die neueste
Zeit unsern Markt mit Erzeugnissen seiner Kunstindustrie in Porzellan oder
Majolika zu beschicken pflegte, die unserm an bestimmte, historische Formen
gewöhnten Geschmack einfach schauderhaft vorkamen, mochten sie auch von
einzelnen Kennern als noch so praktisch empfohlen und von wohlhabenden
Liebhabern um ihres höhern Preises willen gern gekauft werden. In England
konnte eben diesem nüchternen, glatten, hansbacknen „Ding an sich" leichter
zum Leben verholfen werden, da man an historischem Erbteil eigentlich nur


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[0549] Neueste Kunst und Aunstlitteratur nouvs-ni) Vertretung finden sollen. Der Pan sowohl wie die neue Zeitschrift enthalten zahlreiche Abbildungen von Mobiliar, Gerät, Teppichen und Schmuck¬ gegenständen, der Text verliert sich nicht ins Unbestimmte, und der gebildete Leser ist in den Stand gesetzt, sich über diese gegenwärtig viel behandelten Dinge ein Urteil zu bilden. Es sind fast genau dreißig Jahre her, seit man bei uns in Deutschland vom Kunstgewerbe als einer neu zu gestaltenden Sache öffentlich zu sprechen anfing. Damals war das uns umgebende Gerät, sofern es nicht noch aus älterer Zeit stammte, entweder nüchtern und schmucklos oder in sinnloser Weise verziert, und die Technik war nur der Herstellung gröberer Arbeit ge¬ wachsen; auch der Sinn für Farbe und Muster der Stoffe war geschwunden. Bald suchte mau das Verlorne wieder in der Geschichte, und es gelang be¬ kanntlich, alles, was nur begehrt wurde, in einem der frühern, historischen Stile gut herzustellen. Man arbeitete in italienischer oder deutscher Renaissance, in Barock und Rokoko, mau brachte billige Ware, aber auch ausgesuchte für den feinsten Geschmack und die größten Ansprüche, die Technik vervollkommnete sich, herstellen ließ sich alles, wenn nur Besteller und Käufer da waren. Und sie waren da, denn jeder, der hierin etwa dreißig Jahre zurückdenken will, weiß, wie in Bezug auf häusliche Einrichtung der Anspruch des Publikums in Deutschland gestiegen ist; was man zunächst noch als unberechtigten und un¬ bescheidnen Luxus einzelner ansah, ist allmählich gewöhnlich und unerläßlich geworden. Hier ist ohne Frage ein großer Fortschritt gemacht worden, und die Menschen fühlten sich bisher wohl und behaglich in dem neugewonnenen, wenn auch die allerklügsten und feinsten über Tapeziererherrschaft und Maugel an individuellem Geschmack ihre kritischen Nasen zu rümpfen pflegten. So ging es bis in die letzten Jahre, da plötzlich erhob sich ein Wind, der aus einer ganz andern Ecke blies. Hatte man sich bisher an die vergangne Kunst angelehnt und frühere Stile gepflegt, so sollte nnn mit einemmale die Nach¬ ahmung verderblich sein, und eine neue Lehre predigte Abschüttlung aller solchen Belastung, um einen ganz neuen Anfang zu ermöglichen, in dem wir, nach der Meinung der Verstündigen, heute bereits stehen! Seltsamerweise kam die Anregung aus einem Lande, das von jeher viele Kenner und Lieb¬ haber von Kunstwerken, aber keine eigne wirkliche Kunst gehabt hat, das trotz hoher Technik und gut organisirten technischem Unterricht bis in die neueste Zeit unsern Markt mit Erzeugnissen seiner Kunstindustrie in Porzellan oder Majolika zu beschicken pflegte, die unserm an bestimmte, historische Formen gewöhnten Geschmack einfach schauderhaft vorkamen, mochten sie auch von einzelnen Kennern als noch so praktisch empfohlen und von wohlhabenden Liebhabern um ihres höhern Preises willen gern gekauft werden. In England konnte eben diesem nüchternen, glatten, hansbacknen „Ding an sich" leichter zum Leben verholfen werden, da man an historischem Erbteil eigentlich nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/549>, abgerufen am 26.06.2024.