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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Neueste Kunst und Runstlitteratur

Wirklichkeit und Phantasie, von Natur und Kunst, Leben und Dichtung auf¬
stellt und in einer höhern Einheit zusammenschließt, was bisher getrennt aus
einander stand." Viele Leser sind froh und zufrieden, wenn sie etwas philo¬
sophisches nur dem Wortsinne uach zu verstehen meinen. Für solche schreiben,
ist ja immerhin ein Beruf. Daß aber mit dem Auffärben dieser alten, längst
vergilbten Identität irgend einem nachdenkenden Menschen gedient wäre, wird
außer dem Verfasser wohl kaum jemand glauben. Es gehört zu den Spiele¬
reien der Gedanken, die dem einfachsten Aufmerken auf die Wirklichkeit nicht
standhalten-

Unter den Kunstbeilagen des Pan ist zuerst eine Heliographie des Stand¬
spiegels zu nennen, den E. M. Geyger im Auftrage des Kaisers entworfen
und in Bronze ansgeführt hat in einem an altertümlich griechische, auch wohl
an etruskische Formen erinnernden Stil. Gehger ist ein sehr talentvoller und
vielseitiger junger Künstler, dem es aber nicht leicht geworden ist, seinen Weg
zum Publikum zu finden. Umso erfreulicher ist es, daß er in Bode einen ein¬
flußreichen Fürsprecher gewonnen hat, der uns im Text über die Vorzüge der
Geygerschen Kunst zu belehren unternimmt, obwohl er im übrigen gegen diese
strenge Anlehnung des Kunsthandwerks an den historischen Stil ist und den
ganz modernen, von aller Historie absehenden, ans dem Gebrauche und dem
Stoff eines Geräth abgeleiteten Stil begünstigt, auf den wir gleich zurück¬
kommen werden. Wir erhalten ferner eine Abbildung von Arthur Volkmanns
Relief einer Amazone, einem tüchtigen, angenehmen Kunstwerke, nach Form
und Stil gemischt durch seine Auslese älterer Erscheinungen und ausgeführt
mit einer das Ganze empfehlenden Sorgfalt. In dem Gegenteil von dieser
Sorgfalt scheint eine gewisse Art moderner Radirungen immer mehr ihre Eigen¬
tümlichkeit zu entwickeln. Früher meinte man, die Radirtechnik könnte durch
die Beschränkung auf das Herausarbeiten einzelner Züge ein einseitiges, augen¬
blickliches, aber doch getreues Bild eines Gegenstandes besonders wirkungsvoll
wiedergeben. Jetzt, so scheint es, macht man die Gegenstände so unnatürlich
wie möglich, damit man sieht, daß es kein Baum, kein Wald, kein Wasser,
sondern eine "Originalradirung" ist. Alle Naturform geht verloren, dafür ein
entfernt ähnlicher Ersatz durch allerlei Liuiengeschlängel. als ob die Nadirnadel
uns zeigen wollte, daß sie nicht näher an die Natur hinankönnte. Sie braucht
sich aber in der That diese Mühe anch gar nicht zu nehmen, wenn die Redakteure
und die Leser des Pan so gefällig sind, eine schwarze Fläche und darüber
einige abgebrochne mit Watte umwickelte Schwcfelhölzer für einen "Waldsee
von Leistikvw" zu halten oder zu erklären. Alsdann dürfen wir uns anch
nicht mehr über Felix Hollenbergs "Bauernhäuser auf bewaldeten Hügel"
verwundern, denn warum soll sich der junge Künstler die Zeit nehmen, wirk¬
liche Bäume und Büsche zu zeichnen, diese zusammengeschobnen Heubündel
thun es ja gerade so gut und sind jedenfalls leichter zu schaffen. Max Lieber-


Neueste Kunst und Runstlitteratur

Wirklichkeit und Phantasie, von Natur und Kunst, Leben und Dichtung auf¬
stellt und in einer höhern Einheit zusammenschließt, was bisher getrennt aus
einander stand." Viele Leser sind froh und zufrieden, wenn sie etwas philo¬
sophisches nur dem Wortsinne uach zu verstehen meinen. Für solche schreiben,
ist ja immerhin ein Beruf. Daß aber mit dem Auffärben dieser alten, längst
vergilbten Identität irgend einem nachdenkenden Menschen gedient wäre, wird
außer dem Verfasser wohl kaum jemand glauben. Es gehört zu den Spiele¬
reien der Gedanken, die dem einfachsten Aufmerken auf die Wirklichkeit nicht
standhalten-

Unter den Kunstbeilagen des Pan ist zuerst eine Heliographie des Stand¬
spiegels zu nennen, den E. M. Geyger im Auftrage des Kaisers entworfen
und in Bronze ansgeführt hat in einem an altertümlich griechische, auch wohl
an etruskische Formen erinnernden Stil. Gehger ist ein sehr talentvoller und
vielseitiger junger Künstler, dem es aber nicht leicht geworden ist, seinen Weg
zum Publikum zu finden. Umso erfreulicher ist es, daß er in Bode einen ein¬
flußreichen Fürsprecher gewonnen hat, der uns im Text über die Vorzüge der
Geygerschen Kunst zu belehren unternimmt, obwohl er im übrigen gegen diese
strenge Anlehnung des Kunsthandwerks an den historischen Stil ist und den
ganz modernen, von aller Historie absehenden, ans dem Gebrauche und dem
Stoff eines Geräth abgeleiteten Stil begünstigt, auf den wir gleich zurück¬
kommen werden. Wir erhalten ferner eine Abbildung von Arthur Volkmanns
Relief einer Amazone, einem tüchtigen, angenehmen Kunstwerke, nach Form
und Stil gemischt durch seine Auslese älterer Erscheinungen und ausgeführt
mit einer das Ganze empfehlenden Sorgfalt. In dem Gegenteil von dieser
Sorgfalt scheint eine gewisse Art moderner Radirungen immer mehr ihre Eigen¬
tümlichkeit zu entwickeln. Früher meinte man, die Radirtechnik könnte durch
die Beschränkung auf das Herausarbeiten einzelner Züge ein einseitiges, augen¬
blickliches, aber doch getreues Bild eines Gegenstandes besonders wirkungsvoll
wiedergeben. Jetzt, so scheint es, macht man die Gegenstände so unnatürlich
wie möglich, damit man sieht, daß es kein Baum, kein Wald, kein Wasser,
sondern eine „Originalradirung" ist. Alle Naturform geht verloren, dafür ein
entfernt ähnlicher Ersatz durch allerlei Liuiengeschlängel. als ob die Nadirnadel
uns zeigen wollte, daß sie nicht näher an die Natur hinankönnte. Sie braucht
sich aber in der That diese Mühe anch gar nicht zu nehmen, wenn die Redakteure
und die Leser des Pan so gefällig sind, eine schwarze Fläche und darüber
einige abgebrochne mit Watte umwickelte Schwcfelhölzer für einen „Waldsee
von Leistikvw" zu halten oder zu erklären. Alsdann dürfen wir uns anch
nicht mehr über Felix Hollenbergs „Bauernhäuser auf bewaldeten Hügel"
verwundern, denn warum soll sich der junge Künstler die Zeit nehmen, wirk¬
liche Bäume und Büsche zu zeichnen, diese zusammengeschobnen Heubündel
thun es ja gerade so gut und sind jedenfalls leichter zu schaffen. Max Lieber-


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[0546] Neueste Kunst und Runstlitteratur Wirklichkeit und Phantasie, von Natur und Kunst, Leben und Dichtung auf¬ stellt und in einer höhern Einheit zusammenschließt, was bisher getrennt aus einander stand." Viele Leser sind froh und zufrieden, wenn sie etwas philo¬ sophisches nur dem Wortsinne uach zu verstehen meinen. Für solche schreiben, ist ja immerhin ein Beruf. Daß aber mit dem Auffärben dieser alten, längst vergilbten Identität irgend einem nachdenkenden Menschen gedient wäre, wird außer dem Verfasser wohl kaum jemand glauben. Es gehört zu den Spiele¬ reien der Gedanken, die dem einfachsten Aufmerken auf die Wirklichkeit nicht standhalten- Unter den Kunstbeilagen des Pan ist zuerst eine Heliographie des Stand¬ spiegels zu nennen, den E. M. Geyger im Auftrage des Kaisers entworfen und in Bronze ansgeführt hat in einem an altertümlich griechische, auch wohl an etruskische Formen erinnernden Stil. Gehger ist ein sehr talentvoller und vielseitiger junger Künstler, dem es aber nicht leicht geworden ist, seinen Weg zum Publikum zu finden. Umso erfreulicher ist es, daß er in Bode einen ein¬ flußreichen Fürsprecher gewonnen hat, der uns im Text über die Vorzüge der Geygerschen Kunst zu belehren unternimmt, obwohl er im übrigen gegen diese strenge Anlehnung des Kunsthandwerks an den historischen Stil ist und den ganz modernen, von aller Historie absehenden, ans dem Gebrauche und dem Stoff eines Geräth abgeleiteten Stil begünstigt, auf den wir gleich zurück¬ kommen werden. Wir erhalten ferner eine Abbildung von Arthur Volkmanns Relief einer Amazone, einem tüchtigen, angenehmen Kunstwerke, nach Form und Stil gemischt durch seine Auslese älterer Erscheinungen und ausgeführt mit einer das Ganze empfehlenden Sorgfalt. In dem Gegenteil von dieser Sorgfalt scheint eine gewisse Art moderner Radirungen immer mehr ihre Eigen¬ tümlichkeit zu entwickeln. Früher meinte man, die Radirtechnik könnte durch die Beschränkung auf das Herausarbeiten einzelner Züge ein einseitiges, augen¬ blickliches, aber doch getreues Bild eines Gegenstandes besonders wirkungsvoll wiedergeben. Jetzt, so scheint es, macht man die Gegenstände so unnatürlich wie möglich, damit man sieht, daß es kein Baum, kein Wald, kein Wasser, sondern eine „Originalradirung" ist. Alle Naturform geht verloren, dafür ein entfernt ähnlicher Ersatz durch allerlei Liuiengeschlängel. als ob die Nadirnadel uns zeigen wollte, daß sie nicht näher an die Natur hinankönnte. Sie braucht sich aber in der That diese Mühe anch gar nicht zu nehmen, wenn die Redakteure und die Leser des Pan so gefällig sind, eine schwarze Fläche und darüber einige abgebrochne mit Watte umwickelte Schwcfelhölzer für einen „Waldsee von Leistikvw" zu halten oder zu erklären. Alsdann dürfen wir uns anch nicht mehr über Felix Hollenbergs „Bauernhäuser auf bewaldeten Hügel" verwundern, denn warum soll sich der junge Künstler die Zeit nehmen, wirk¬ liche Bäume und Büsche zu zeichnen, diese zusammengeschobnen Heubündel thun es ja gerade so gut und sind jedenfalls leichter zu schaffen. Max Lieber-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/546>, abgerufen am 26.06.2024.