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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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des Zweibuudes zum Dreibunde war mir sehr angenehm, weil, wie man damals
noch meinen durfte, mit Italien ein liberales Element in den Bund hinein¬
käme. Aber in Skierniewice schien die Heilige Allianz wieder zu erstehen mit
Rußland als Haupt, und die Gefälligkeiten, die unsre Regierung der russischen
bei mehreren Gelegenheiten erwies, z. B. in der bulgarischen Angelegenheit,
erregte mir den ganzen innern Menschen. Und die Art und Weise, wie die
Offiziösen jede an der Haltung der Regierung geübte Kritik zurückmiesen, war
nicht geeignet, mich milder zu stimmen. So hieß es z. B., die ultramontan-
polnisch-fortschrittliche Presse beschwöre einen Krieg mit Rußland herauf.
Darauf sagte ich mir und sagte ich meinen Lesern: wenn man dem Nachbar
in einer faulen Sache nicht gefüllig sein will, so ist das doch noch kein Grund
für diesen, einem ins Haus einzubrechen. Sollte sich aber Nußland vom
türkischen Kriege schon so weit erholt haben, und sollte die Anmaßung seiner
Regierung so hoch gestiegen sein, daß sie Gefälligkeiten fordern zu dürfen
glaubte und die Nichtbewilligung als Kriegsfall behandelte, dann wäre der
Krieg eine unabweisbare Notwendigkeit, wenn wir nicht in schmachvolle Ab¬
hängigkeit geraten wollten, und die Verschiebung der Entscheidung würde unsre
Lage nur verschlimmern, weil die Macht Rußlands viel schneller wächst als
die unsre. Mir war die Intimität mit Rußland auch deshalb verhaßt, weil
sie die Stärkung der absolutistischen Richtung in unsrer innern Politik be¬
deuten konnte. Nicht daß ich ein grundsätzlicher Gegner des Absolutismus
gewesen wäre; alle im Laufe der Zeit hervorgetretenen Staatsformen sind be¬
rechtigt, jede dort, wo sie auf natürliche Weise entsteht. Passive Völker können
nicht anders als absolutistisch regiert werden. Und wenn eine Menge von
Hans aus aktiver Völker zu einem Riesenreiche verschmilzt, wie im alten orbis
tsi-rarum, so bleibt für die Zentralgewalt keine andre Form übrig als der
Absolutismus, nur daß er sich nicht vermessen darf, auch das Kleinste und
seinem Sitz Entfernteste bureaukratisch regeln zu wollen, sondern ein reichliches
Maß landschaftlicher, nationaler und munizipciler Selbstverwaltung gestatten
muß, wie das ja auch im kaiserlichen Rom geschah. Aber für die aktiven
Völker oder für die Völker in ihrer aktiven Periode bedeutet der Absolutismus,
wenn er nicht bloß, wie im Europa des siebzehnten und achtzehnten Jahr¬
hunderts, vorübergehend als Totengräber veralteter Einrichtungen waltet, den
Tod, denn die kulturschaffende Thätigkeit ist nur in der freien Wechselwirkung
selbständiger Geister möglich, von denen jeder seine eignen Gedanken hat und seine
eignen Ziele verfolgt, sodaß ohne obrigkeitliche Hilfe und ohne obrigkeitlichen
Zwang an jedem Orte des Vaterlandes Leben hervorsprießt. Es ist nun sehr
wohl denkbar, daß in einem kleinern Lande, das sich solches Lebens noch er¬
freut, dieses durch den rein mechanischen Druck eines auf ihm lastenden ver¬
bündeten Kolosses erstickt wird. Deshalb habe ich trotz der scharfen Kritik, die
ich an den englischen Zuständen geübt habe, und die mir den Vorwurf fana-


des Zweibuudes zum Dreibunde war mir sehr angenehm, weil, wie man damals
noch meinen durfte, mit Italien ein liberales Element in den Bund hinein¬
käme. Aber in Skierniewice schien die Heilige Allianz wieder zu erstehen mit
Rußland als Haupt, und die Gefälligkeiten, die unsre Regierung der russischen
bei mehreren Gelegenheiten erwies, z. B. in der bulgarischen Angelegenheit,
erregte mir den ganzen innern Menschen. Und die Art und Weise, wie die
Offiziösen jede an der Haltung der Regierung geübte Kritik zurückmiesen, war
nicht geeignet, mich milder zu stimmen. So hieß es z. B., die ultramontan-
polnisch-fortschrittliche Presse beschwöre einen Krieg mit Rußland herauf.
Darauf sagte ich mir und sagte ich meinen Lesern: wenn man dem Nachbar
in einer faulen Sache nicht gefüllig sein will, so ist das doch noch kein Grund
für diesen, einem ins Haus einzubrechen. Sollte sich aber Nußland vom
türkischen Kriege schon so weit erholt haben, und sollte die Anmaßung seiner
Regierung so hoch gestiegen sein, daß sie Gefälligkeiten fordern zu dürfen
glaubte und die Nichtbewilligung als Kriegsfall behandelte, dann wäre der
Krieg eine unabweisbare Notwendigkeit, wenn wir nicht in schmachvolle Ab¬
hängigkeit geraten wollten, und die Verschiebung der Entscheidung würde unsre
Lage nur verschlimmern, weil die Macht Rußlands viel schneller wächst als
die unsre. Mir war die Intimität mit Rußland auch deshalb verhaßt, weil
sie die Stärkung der absolutistischen Richtung in unsrer innern Politik be¬
deuten konnte. Nicht daß ich ein grundsätzlicher Gegner des Absolutismus
gewesen wäre; alle im Laufe der Zeit hervorgetretenen Staatsformen sind be¬
rechtigt, jede dort, wo sie auf natürliche Weise entsteht. Passive Völker können
nicht anders als absolutistisch regiert werden. Und wenn eine Menge von
Hans aus aktiver Völker zu einem Riesenreiche verschmilzt, wie im alten orbis
tsi-rarum, so bleibt für die Zentralgewalt keine andre Form übrig als der
Absolutismus, nur daß er sich nicht vermessen darf, auch das Kleinste und
seinem Sitz Entfernteste bureaukratisch regeln zu wollen, sondern ein reichliches
Maß landschaftlicher, nationaler und munizipciler Selbstverwaltung gestatten
muß, wie das ja auch im kaiserlichen Rom geschah. Aber für die aktiven
Völker oder für die Völker in ihrer aktiven Periode bedeutet der Absolutismus,
wenn er nicht bloß, wie im Europa des siebzehnten und achtzehnten Jahr¬
hunderts, vorübergehend als Totengräber veralteter Einrichtungen waltet, den
Tod, denn die kulturschaffende Thätigkeit ist nur in der freien Wechselwirkung
selbständiger Geister möglich, von denen jeder seine eignen Gedanken hat und seine
eignen Ziele verfolgt, sodaß ohne obrigkeitliche Hilfe und ohne obrigkeitlichen
Zwang an jedem Orte des Vaterlandes Leben hervorsprießt. Es ist nun sehr
wohl denkbar, daß in einem kleinern Lande, das sich solches Lebens noch er¬
freut, dieses durch den rein mechanischen Druck eines auf ihm lastenden ver¬
bündeten Kolosses erstickt wird. Deshalb habe ich trotz der scharfen Kritik, die
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[0542] des Zweibuudes zum Dreibunde war mir sehr angenehm, weil, wie man damals noch meinen durfte, mit Italien ein liberales Element in den Bund hinein¬ käme. Aber in Skierniewice schien die Heilige Allianz wieder zu erstehen mit Rußland als Haupt, und die Gefälligkeiten, die unsre Regierung der russischen bei mehreren Gelegenheiten erwies, z. B. in der bulgarischen Angelegenheit, erregte mir den ganzen innern Menschen. Und die Art und Weise, wie die Offiziösen jede an der Haltung der Regierung geübte Kritik zurückmiesen, war nicht geeignet, mich milder zu stimmen. So hieß es z. B., die ultramontan- polnisch-fortschrittliche Presse beschwöre einen Krieg mit Rußland herauf. Darauf sagte ich mir und sagte ich meinen Lesern: wenn man dem Nachbar in einer faulen Sache nicht gefüllig sein will, so ist das doch noch kein Grund für diesen, einem ins Haus einzubrechen. Sollte sich aber Nußland vom türkischen Kriege schon so weit erholt haben, und sollte die Anmaßung seiner Regierung so hoch gestiegen sein, daß sie Gefälligkeiten fordern zu dürfen glaubte und die Nichtbewilligung als Kriegsfall behandelte, dann wäre der Krieg eine unabweisbare Notwendigkeit, wenn wir nicht in schmachvolle Ab¬ hängigkeit geraten wollten, und die Verschiebung der Entscheidung würde unsre Lage nur verschlimmern, weil die Macht Rußlands viel schneller wächst als die unsre. Mir war die Intimität mit Rußland auch deshalb verhaßt, weil sie die Stärkung der absolutistischen Richtung in unsrer innern Politik be¬ deuten konnte. Nicht daß ich ein grundsätzlicher Gegner des Absolutismus gewesen wäre; alle im Laufe der Zeit hervorgetretenen Staatsformen sind be¬ rechtigt, jede dort, wo sie auf natürliche Weise entsteht. Passive Völker können nicht anders als absolutistisch regiert werden. Und wenn eine Menge von Hans aus aktiver Völker zu einem Riesenreiche verschmilzt, wie im alten orbis tsi-rarum, so bleibt für die Zentralgewalt keine andre Form übrig als der Absolutismus, nur daß er sich nicht vermessen darf, auch das Kleinste und seinem Sitz Entfernteste bureaukratisch regeln zu wollen, sondern ein reichliches Maß landschaftlicher, nationaler und munizipciler Selbstverwaltung gestatten muß, wie das ja auch im kaiserlichen Rom geschah. Aber für die aktiven Völker oder für die Völker in ihrer aktiven Periode bedeutet der Absolutismus, wenn er nicht bloß, wie im Europa des siebzehnten und achtzehnten Jahr¬ hunderts, vorübergehend als Totengräber veralteter Einrichtungen waltet, den Tod, denn die kulturschaffende Thätigkeit ist nur in der freien Wechselwirkung selbständiger Geister möglich, von denen jeder seine eignen Gedanken hat und seine eignen Ziele verfolgt, sodaß ohne obrigkeitliche Hilfe und ohne obrigkeitlichen Zwang an jedem Orte des Vaterlandes Leben hervorsprießt. Es ist nun sehr wohl denkbar, daß in einem kleinern Lande, das sich solches Lebens noch er¬ freut, dieses durch den rein mechanischen Druck eines auf ihm lastenden ver¬ bündeten Kolosses erstickt wird. Deshalb habe ich trotz der scharfen Kritik, die ich an den englischen Zuständen geübt habe, und die mir den Vorwurf fana-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/542>, abgerufen am 26.06.2024.