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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Endlich den Beruf gefunden

selbst mit der Zeit die Kosten bestreiten. Ehe ich das in heutiger Zeit nicht
ungefährliche Amt übernahm, hatten mir wohlwollende Freunde eine Schutz¬
impfung gegen den Staatsanwaltsbazillus angedeihen lassen. Ich war ein
eutschiedner Freund des Tabakmouopols und hatte so manches dafür in unserm
Blüttchen geschrieben; als es nun vom Reichstage abgelehnt worden war, hielt
ich ihm eine satirische Leichenrede. Ein paar Tage daraus begegnete mir der
Landrat und gratulirte mir zu dem Artikel; ich mußte ihm jedoch mitteilen,
daß vor der Hand kein Anlaß zum Gratuliren sei, da ich wegen Beleidigung
Bismarcks, des deutschen Heeres und des preußischen Offizierstandes denunzirt
und schon vor den Untersuchungsrichter geladen sei; worauf dem Landrat ein
Ausruf entfuhr, der nicht eben wie eine Schmeichelei klang. Dem Unter¬
suchungsrichter machte ich klar, daß nach dem, was ich die ganze Zeit über
geschrieben Hütte, die Absicht einer Verhöhnung Bismarcks mindestens höchst
unwahrscheinlich sei, und da er mit dem Protokoll nicht zurecht kam, so sagte
ich: erlauben Sie vielleicht, daß ich das Protokoll diktire? Er erlaubte es mit
Vergnügen, und ich diktirte nun ein Protokoll ungefähr in dem Stile, in dem
ich bei ein paar Gelegenheiten einem als geistlichen Untersuchungsrichter er¬
schienenen alten ErzPriester oiktirt hatte; der hatte mit Händen und Füßen
protestirt und sich wie ein Regenwurm gewunden, was ihm aber nichts genutzt
hatte. Diesmal schrieb der Gerichtsschreiber ganz gleichmütig nieder, was ich
ihm sagte, aber die Staatsanwaltschaft mag wohl beim Lesen den Gleichmut
ein wenig verloren haben, und diesem Umstände schreibe ich es zu, daß sie
mich später niemals beim Ohre genommen hat, wenn ich Dinge sagte, die von
ihrem Standpunkt aus wirklich nicht ganz "einwandfrei" waren; sie wird gedacht
haben: am Ende fragt uns der Kerl wieder, ob wir denn nicht wüßten, was
Ironie ist? Besonders da auch das Zentrumsblatt geschrieben hatte: I. ver¬
spottet die Gegner Bismarcks und stellt sie als Tröpfe hin und soll wegen
Bismarckbeleidigung angeklagt werden? Nein, so etwas ist doch noch nicht
dagewesen! Übrigens war der Denunziant ein viel zu gescheiter Mann, als
daß er selbst mich mißverstanden haben könnte; er hat, denke ich mir, sich
selbst durch den Artikel beleidigt gefühlt und, auf den berühmten Juristeu¬
scharfsinn rechnend, mir auf diesem Wege eins zu versetzen versucht.

Wenn ich nun über meine Redaktivnsthätigkeit berichten soll, so muß ich
mein Verhältnis*) zu Bismarck darlegen. Damit soll natürlich nicht etwa ein
Beitrag zu einer zukünftigen Biographie Bismarcks, sondern nur ein Stück Welt¬
geschichte in Hinterwinkel geliefert werden. Hinterwinkel ist eine Gegend, die
von den Staatsmännern nicht vernachlässigt werden sollte. Frankreich aus¬
genommen, dessen Geschicke ein paar hundert Jahre lang auf dem Pariser



") Lik vonia, vsrbo! Eigentlich kann jn von einem Verhältnis zwischen zweien, von denen
einer den andern nicht mal dem Namen nach kennt, keine Rede sein.
Endlich den Beruf gefunden

selbst mit der Zeit die Kosten bestreiten. Ehe ich das in heutiger Zeit nicht
ungefährliche Amt übernahm, hatten mir wohlwollende Freunde eine Schutz¬
impfung gegen den Staatsanwaltsbazillus angedeihen lassen. Ich war ein
eutschiedner Freund des Tabakmouopols und hatte so manches dafür in unserm
Blüttchen geschrieben; als es nun vom Reichstage abgelehnt worden war, hielt
ich ihm eine satirische Leichenrede. Ein paar Tage daraus begegnete mir der
Landrat und gratulirte mir zu dem Artikel; ich mußte ihm jedoch mitteilen,
daß vor der Hand kein Anlaß zum Gratuliren sei, da ich wegen Beleidigung
Bismarcks, des deutschen Heeres und des preußischen Offizierstandes denunzirt
und schon vor den Untersuchungsrichter geladen sei; worauf dem Landrat ein
Ausruf entfuhr, der nicht eben wie eine Schmeichelei klang. Dem Unter¬
suchungsrichter machte ich klar, daß nach dem, was ich die ganze Zeit über
geschrieben Hütte, die Absicht einer Verhöhnung Bismarcks mindestens höchst
unwahrscheinlich sei, und da er mit dem Protokoll nicht zurecht kam, so sagte
ich: erlauben Sie vielleicht, daß ich das Protokoll diktire? Er erlaubte es mit
Vergnügen, und ich diktirte nun ein Protokoll ungefähr in dem Stile, in dem
ich bei ein paar Gelegenheiten einem als geistlichen Untersuchungsrichter er¬
schienenen alten ErzPriester oiktirt hatte; der hatte mit Händen und Füßen
protestirt und sich wie ein Regenwurm gewunden, was ihm aber nichts genutzt
hatte. Diesmal schrieb der Gerichtsschreiber ganz gleichmütig nieder, was ich
ihm sagte, aber die Staatsanwaltschaft mag wohl beim Lesen den Gleichmut
ein wenig verloren haben, und diesem Umstände schreibe ich es zu, daß sie
mich später niemals beim Ohre genommen hat, wenn ich Dinge sagte, die von
ihrem Standpunkt aus wirklich nicht ganz „einwandfrei" waren; sie wird gedacht
haben: am Ende fragt uns der Kerl wieder, ob wir denn nicht wüßten, was
Ironie ist? Besonders da auch das Zentrumsblatt geschrieben hatte: I. ver¬
spottet die Gegner Bismarcks und stellt sie als Tröpfe hin und soll wegen
Bismarckbeleidigung angeklagt werden? Nein, so etwas ist doch noch nicht
dagewesen! Übrigens war der Denunziant ein viel zu gescheiter Mann, als
daß er selbst mich mißverstanden haben könnte; er hat, denke ich mir, sich
selbst durch den Artikel beleidigt gefühlt und, auf den berühmten Juristeu¬
scharfsinn rechnend, mir auf diesem Wege eins zu versetzen versucht.

Wenn ich nun über meine Redaktivnsthätigkeit berichten soll, so muß ich
mein Verhältnis*) zu Bismarck darlegen. Damit soll natürlich nicht etwa ein
Beitrag zu einer zukünftigen Biographie Bismarcks, sondern nur ein Stück Welt¬
geschichte in Hinterwinkel geliefert werden. Hinterwinkel ist eine Gegend, die
von den Staatsmännern nicht vernachlässigt werden sollte. Frankreich aus¬
genommen, dessen Geschicke ein paar hundert Jahre lang auf dem Pariser



") Lik vonia, vsrbo! Eigentlich kann jn von einem Verhältnis zwischen zweien, von denen
einer den andern nicht mal dem Namen nach kennt, keine Rede sein.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/536>, abgerufen am 26.06.2024.