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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Endlich den Beruf gefunden

Papierkorb werfen können. Ich war damals noch so naiv, daß ich an ein
paar Orten nach dem Grunde der Ablehnung fragte, worauf ich natürlich keine
Antwort bekam. An ein paar Stellen, zu denen ich besondres Vertrauen
hegte, wandte ich mich mit Anfragen über das Schriftstellergewerbe, und von
beiden erhielt ich freundliche und ausführliche Antworten. Ein Redakteur der
Schlesischen Zeitung schrieb mir, ich möchte nur den unglücklichen Gedanken
aufgeben, mich auf solche Weise durchschlagen zu wollen, mit Leitartikeln und
Feuilletons würden alle Redaktionen überschwemmt; nur die journalistische
Handlangerarbeit nähre ihren Mann, Reporter fänden stets lohnende Arbeit.
An Paul Lindall hatte ich die Frage gerichtet, ob vielleicht mit Übersetzungen
aus dem Englischen und Französischen etwas zu verdienen sei; an Übersetzern
fehle es ja gewiß nicht, aber ich funde, daß die meisten ihre Sache herzlich
schlecht machten, und um klassische Werke, wie die von Mcicaulay, sei es doch
schade, wenn sie von Übersetzern verhunzt würden. Er antwortete, das Über¬
setzungselend werde allgemein anerkannt, aber es sei nichts dagegen zu machen;
Studenten und Damen hätten die Preise so verdorben, daß tüchtige Übersetzer
dabei nicht bestehen konnten; aber sich durch selbständige Beiträge an Zeit¬
schriften eine Existenz zu gründen, das sei durchaus nicht unmöglich. Einen
Artikel jedoch, den ich daraufhin an die Gegenwart einschickte, lehnte auch er
ab. Wegen des Übersetzens fragte ich noch bei einem Verleger an mit der
Begründung, daß ich die kürzlich bei ihm erschienene Übersetzung eines be¬
deutenden Werkes recht schlecht funde; er antwortete, er sei mit seinen Über¬
setzern ganz zufrieden. Später hat mir auch Eduard von Hartmann, mit dem
ich durch die Besprechung einiger feiner Bücher in Briefwechsel gekommen war,
einige freundliche Ratschläge gegeben.

Der 1. Oktober 1882 kam immer näher, und es eröffnete sich noch keine
Aussicht. Ich beschloß, nach Berlin überzusiedeln und dort mein Glück zu
versuchen; so viel hatte ich in den Neisfer drei Jahren erspart, daß ich davon
ein paar Monate leben konnte, und übrigens war ich aufs schlimmste gefaßt.
Von alledem sagte ich niemandem ein Wort, und wenn man mich fragte, was
ich denn eigentlich anzusaugen gedächte, so antwortete ich, ich würde mir eine
Drehorgel kaufen. Ich war die ganze Zeit über sehr heiter, denn ich hatte
mir zwei Herzkammern eingerichtet: in die eine verschloß ich die Sorge um die
Zukunft, die nicht übertrieben groß war, da es sich bloß um meine Person
handelte, und niemand mehr lebte, gegen den ich strenge Verpflichtungen gehabt
hätte; in der andern genoß ich das Glück der Gegenwart; ich war gesund,
das Wetter war schön, auf weiten Spaziergängen erlabte ich mich an der
schönen Natur, und die Kinder meiner Quasifamilie, deren Vater damals noch
lebte, machten mir Freude. Kurz vor Thorschluß erklärte mir Herr Letzel, er
wolle es auf eignes Risiko mit mir wagen; mein Eintritt in die Redaktion
werde doch gewiß die Abonnentenzahl erhöhen, und so werde wohl das Blatt


Endlich den Beruf gefunden

Papierkorb werfen können. Ich war damals noch so naiv, daß ich an ein
paar Orten nach dem Grunde der Ablehnung fragte, worauf ich natürlich keine
Antwort bekam. An ein paar Stellen, zu denen ich besondres Vertrauen
hegte, wandte ich mich mit Anfragen über das Schriftstellergewerbe, und von
beiden erhielt ich freundliche und ausführliche Antworten. Ein Redakteur der
Schlesischen Zeitung schrieb mir, ich möchte nur den unglücklichen Gedanken
aufgeben, mich auf solche Weise durchschlagen zu wollen, mit Leitartikeln und
Feuilletons würden alle Redaktionen überschwemmt; nur die journalistische
Handlangerarbeit nähre ihren Mann, Reporter fänden stets lohnende Arbeit.
An Paul Lindall hatte ich die Frage gerichtet, ob vielleicht mit Übersetzungen
aus dem Englischen und Französischen etwas zu verdienen sei; an Übersetzern
fehle es ja gewiß nicht, aber ich funde, daß die meisten ihre Sache herzlich
schlecht machten, und um klassische Werke, wie die von Mcicaulay, sei es doch
schade, wenn sie von Übersetzern verhunzt würden. Er antwortete, das Über¬
setzungselend werde allgemein anerkannt, aber es sei nichts dagegen zu machen;
Studenten und Damen hätten die Preise so verdorben, daß tüchtige Übersetzer
dabei nicht bestehen konnten; aber sich durch selbständige Beiträge an Zeit¬
schriften eine Existenz zu gründen, das sei durchaus nicht unmöglich. Einen
Artikel jedoch, den ich daraufhin an die Gegenwart einschickte, lehnte auch er
ab. Wegen des Übersetzens fragte ich noch bei einem Verleger an mit der
Begründung, daß ich die kürzlich bei ihm erschienene Übersetzung eines be¬
deutenden Werkes recht schlecht funde; er antwortete, er sei mit seinen Über¬
setzern ganz zufrieden. Später hat mir auch Eduard von Hartmann, mit dem
ich durch die Besprechung einiger feiner Bücher in Briefwechsel gekommen war,
einige freundliche Ratschläge gegeben.

Der 1. Oktober 1882 kam immer näher, und es eröffnete sich noch keine
Aussicht. Ich beschloß, nach Berlin überzusiedeln und dort mein Glück zu
versuchen; so viel hatte ich in den Neisfer drei Jahren erspart, daß ich davon
ein paar Monate leben konnte, und übrigens war ich aufs schlimmste gefaßt.
Von alledem sagte ich niemandem ein Wort, und wenn man mich fragte, was
ich denn eigentlich anzusaugen gedächte, so antwortete ich, ich würde mir eine
Drehorgel kaufen. Ich war die ganze Zeit über sehr heiter, denn ich hatte
mir zwei Herzkammern eingerichtet: in die eine verschloß ich die Sorge um die
Zukunft, die nicht übertrieben groß war, da es sich bloß um meine Person
handelte, und niemand mehr lebte, gegen den ich strenge Verpflichtungen gehabt
hätte; in der andern genoß ich das Glück der Gegenwart; ich war gesund,
das Wetter war schön, auf weiten Spaziergängen erlabte ich mich an der
schönen Natur, und die Kinder meiner Quasifamilie, deren Vater damals noch
lebte, machten mir Freude. Kurz vor Thorschluß erklärte mir Herr Letzel, er
wolle es auf eignes Risiko mit mir wagen; mein Eintritt in die Redaktion
werde doch gewiß die Abonnentenzahl erhöhen, und so werde wohl das Blatt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/535>, abgerufen am 26.06.2024.