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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Endlich den Beruf gefunden

Pflaster entschieden worden sind, besteht jedes Land aus einigen tausend Hinter¬
winkeln, und was zu guter letzt den Gang der innern Politik und manchmal
auch den der äußern bestimmt, das ist die Resultante der in tausend Richtungen
auseinander strebenden politischen Regungen der verschiednen Hinterwinkel.
Imponderabilien hat Bismarck die unerwarteten Widerstände genannt, auf die
er zuweilen stieß, nicht ganz mit Recht in unsrer Zeit der nenbegründeten
Psychophysik. Die Stärke der Stimmungen läßt sich an ihren Ausdrücken
messen, und die Köpfe, die von einer gewissen Stimmung ergriffen sind, lassen
sich zählen; die Schwierigkeit liegt nur darin, daß der leitende Staatsmann
nicht in jedem Dorf und in jedem Stüdtlein des Reiches einen sicher arbeitenden
Wäg- oder Meß- und Zählapparat aufstellen kann, und daß er daher meistens,
oder sagen wir lieber, da vertuschen doch nichts nützt, daß er stets mangelhaft
unterrichtet ist. Die Widerstände, die von den Damen am Hofe ausgingen,
hat Bismarck unmittelbar und darum sehr lebhaft empfunden, von den Wider¬
ständen im Lande hat er unmittelbar gar nichts gespürt -- wurde er doch
überall, wo er hinkam, umjubelt --, sie konnten sich ihm nur wie aus weiter
Ferne durch die trüben und weitschichtigen Medien der Wahlen, der Parla-
mentsverhandlungen, der Zeituugsprcsse bemerkbar machen; und so hat er sich
denn manchmal gewundert, daß es nicht vorwärts gehen wollte, obwohl, wie
er meinte, das ganze deutsche Volk hinter ihm stand. Es mag gar nicht selten
der Widerstand in Hinterwinkel gewesen sein, was er für Intriguen hoher
Damen gehalten hat. Verehrer Bismarcks meinen nun freilich, daß der Wider¬
stand gegen Bismarck, mag er von Hinterwinkel oder vom Hofe ausgehen, ein
Nichtseinsollendes sei, und sie nennen es schon Anmaßung, wenn jemand in
politischen Dingen auch nur andrer Meinung ist als Bismarck. Ich hingegen
finde diese Auffassung sehr wunderlich. Tadeln doch diese selben Verehrer Bis-
marcks die Anerkennung der Autorität des Papstes, und loben sie doch aufs
höchste einen Katholiken, namentlich einen Geistlichen, der Rom gegenüber seine
selbständige Überzeugung behauptet. Nun ist aber die Anerkennung einer unfehl¬
baren Autorität in religiösen Dingen weit eher zu rechtfertigen als in politischen.
Denn vom Jenseits können wir auf natürlichem Wege keine Kenntnis erlangen;
wollen wir durchans etwas darüber wissen, so müssen wir an die sich so
nennende Offenbarung glauben, und will sich einer ans dem endlosen Zank
über den Sinn der Offenbarung retten, so bleibt ihm nichts übrig, als auch
"och einen unfehlbaren Interpreten der Bibel anzuerkennen. Aber Steuern,
Strafgesetze, Regimenter, Kasernen, geographische Verhältnisse, das sind Dinge,
von denen man ans natürlichem Wege eine hinreichende Kenntnis erlangen
kann, um sich ein Urteil darüber bilden zu können. Freilich ist es bei der
Größe und Verwicklung der heutigen Verhältnisse unmöglich, sich über alles
genan zu unterrichten, aber diese Unmöglichkeit besteht auch für das größte
Genie, mag es ein politisches oder ein Finanzgenie sein, und Bismarck selbst


Endlich den Beruf gefunden

Pflaster entschieden worden sind, besteht jedes Land aus einigen tausend Hinter¬
winkeln, und was zu guter letzt den Gang der innern Politik und manchmal
auch den der äußern bestimmt, das ist die Resultante der in tausend Richtungen
auseinander strebenden politischen Regungen der verschiednen Hinterwinkel.
Imponderabilien hat Bismarck die unerwarteten Widerstände genannt, auf die
er zuweilen stieß, nicht ganz mit Recht in unsrer Zeit der nenbegründeten
Psychophysik. Die Stärke der Stimmungen läßt sich an ihren Ausdrücken
messen, und die Köpfe, die von einer gewissen Stimmung ergriffen sind, lassen
sich zählen; die Schwierigkeit liegt nur darin, daß der leitende Staatsmann
nicht in jedem Dorf und in jedem Stüdtlein des Reiches einen sicher arbeitenden
Wäg- oder Meß- und Zählapparat aufstellen kann, und daß er daher meistens,
oder sagen wir lieber, da vertuschen doch nichts nützt, daß er stets mangelhaft
unterrichtet ist. Die Widerstände, die von den Damen am Hofe ausgingen,
hat Bismarck unmittelbar und darum sehr lebhaft empfunden, von den Wider¬
ständen im Lande hat er unmittelbar gar nichts gespürt — wurde er doch
überall, wo er hinkam, umjubelt —, sie konnten sich ihm nur wie aus weiter
Ferne durch die trüben und weitschichtigen Medien der Wahlen, der Parla-
mentsverhandlungen, der Zeituugsprcsse bemerkbar machen; und so hat er sich
denn manchmal gewundert, daß es nicht vorwärts gehen wollte, obwohl, wie
er meinte, das ganze deutsche Volk hinter ihm stand. Es mag gar nicht selten
der Widerstand in Hinterwinkel gewesen sein, was er für Intriguen hoher
Damen gehalten hat. Verehrer Bismarcks meinen nun freilich, daß der Wider¬
stand gegen Bismarck, mag er von Hinterwinkel oder vom Hofe ausgehen, ein
Nichtseinsollendes sei, und sie nennen es schon Anmaßung, wenn jemand in
politischen Dingen auch nur andrer Meinung ist als Bismarck. Ich hingegen
finde diese Auffassung sehr wunderlich. Tadeln doch diese selben Verehrer Bis-
marcks die Anerkennung der Autorität des Papstes, und loben sie doch aufs
höchste einen Katholiken, namentlich einen Geistlichen, der Rom gegenüber seine
selbständige Überzeugung behauptet. Nun ist aber die Anerkennung einer unfehl¬
baren Autorität in religiösen Dingen weit eher zu rechtfertigen als in politischen.
Denn vom Jenseits können wir auf natürlichem Wege keine Kenntnis erlangen;
wollen wir durchans etwas darüber wissen, so müssen wir an die sich so
nennende Offenbarung glauben, und will sich einer ans dem endlosen Zank
über den Sinn der Offenbarung retten, so bleibt ihm nichts übrig, als auch
»och einen unfehlbaren Interpreten der Bibel anzuerkennen. Aber Steuern,
Strafgesetze, Regimenter, Kasernen, geographische Verhältnisse, das sind Dinge,
von denen man ans natürlichem Wege eine hinreichende Kenntnis erlangen
kann, um sich ein Urteil darüber bilden zu können. Freilich ist es bei der
Größe und Verwicklung der heutigen Verhältnisse unmöglich, sich über alles
genan zu unterrichten, aber diese Unmöglichkeit besteht auch für das größte
Genie, mag es ein politisches oder ein Finanzgenie sein, und Bismarck selbst


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[0537] Endlich den Beruf gefunden Pflaster entschieden worden sind, besteht jedes Land aus einigen tausend Hinter¬ winkeln, und was zu guter letzt den Gang der innern Politik und manchmal auch den der äußern bestimmt, das ist die Resultante der in tausend Richtungen auseinander strebenden politischen Regungen der verschiednen Hinterwinkel. Imponderabilien hat Bismarck die unerwarteten Widerstände genannt, auf die er zuweilen stieß, nicht ganz mit Recht in unsrer Zeit der nenbegründeten Psychophysik. Die Stärke der Stimmungen läßt sich an ihren Ausdrücken messen, und die Köpfe, die von einer gewissen Stimmung ergriffen sind, lassen sich zählen; die Schwierigkeit liegt nur darin, daß der leitende Staatsmann nicht in jedem Dorf und in jedem Stüdtlein des Reiches einen sicher arbeitenden Wäg- oder Meß- und Zählapparat aufstellen kann, und daß er daher meistens, oder sagen wir lieber, da vertuschen doch nichts nützt, daß er stets mangelhaft unterrichtet ist. Die Widerstände, die von den Damen am Hofe ausgingen, hat Bismarck unmittelbar und darum sehr lebhaft empfunden, von den Wider¬ ständen im Lande hat er unmittelbar gar nichts gespürt — wurde er doch überall, wo er hinkam, umjubelt —, sie konnten sich ihm nur wie aus weiter Ferne durch die trüben und weitschichtigen Medien der Wahlen, der Parla- mentsverhandlungen, der Zeituugsprcsse bemerkbar machen; und so hat er sich denn manchmal gewundert, daß es nicht vorwärts gehen wollte, obwohl, wie er meinte, das ganze deutsche Volk hinter ihm stand. Es mag gar nicht selten der Widerstand in Hinterwinkel gewesen sein, was er für Intriguen hoher Damen gehalten hat. Verehrer Bismarcks meinen nun freilich, daß der Wider¬ stand gegen Bismarck, mag er von Hinterwinkel oder vom Hofe ausgehen, ein Nichtseinsollendes sei, und sie nennen es schon Anmaßung, wenn jemand in politischen Dingen auch nur andrer Meinung ist als Bismarck. Ich hingegen finde diese Auffassung sehr wunderlich. Tadeln doch diese selben Verehrer Bis- marcks die Anerkennung der Autorität des Papstes, und loben sie doch aufs höchste einen Katholiken, namentlich einen Geistlichen, der Rom gegenüber seine selbständige Überzeugung behauptet. Nun ist aber die Anerkennung einer unfehl¬ baren Autorität in religiösen Dingen weit eher zu rechtfertigen als in politischen. Denn vom Jenseits können wir auf natürlichem Wege keine Kenntnis erlangen; wollen wir durchans etwas darüber wissen, so müssen wir an die sich so nennende Offenbarung glauben, und will sich einer ans dem endlosen Zank über den Sinn der Offenbarung retten, so bleibt ihm nichts übrig, als auch »och einen unfehlbaren Interpreten der Bibel anzuerkennen. Aber Steuern, Strafgesetze, Regimenter, Kasernen, geographische Verhältnisse, das sind Dinge, von denen man ans natürlichem Wege eine hinreichende Kenntnis erlangen kann, um sich ein Urteil darüber bilden zu können. Freilich ist es bei der Größe und Verwicklung der heutigen Verhältnisse unmöglich, sich über alles genan zu unterrichten, aber diese Unmöglichkeit besteht auch für das größte Genie, mag es ein politisches oder ein Finanzgenie sein, und Bismarck selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/537>, abgerufen am 26.06.2024.