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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Lüttich den Beruf gefunden

Neisser Zeitung nur dreimal, die Liberale Neisser Zeitung, die später in
Neisser Presse umgetauft wurde, zweimal in der Woche heraus. Das Wort
liberal bedeutet in katholischen Gegenden weiter nichts als den Gegensatz zur
Zentrumspartei; in der "liberalen" Partei halten alle Nichtkatholiken zusammen
vom starr orthodoxen Pastor bis zum erklärten Freigeist, vom Geheimen
Regierungsrat und vom pensionirten Major bis zum roten Republikaner. Die
zuletzt genannte Spezies ist freilich ausgestorben, seitdem die rote Farbe aus
dem Politischen ins Soziale umgeschlagen ist, aber damals gab es noch einzelne
Fortschrittler, die ein wenig ins rötliche schillerten. So lange der Kultur¬
kampf gedauert hatte, war er hier wie überall der Stofflieferant für die Lokal¬
presse gewesen. Als ich im Herbst 1879 ankam, war der Sturm im Abflauen
begriffen; die selbstverständlich unbezahlten Mitarbeiter des liberalen Blattes
hatten sich einer nach dem andern zurückgezogen, und der Herausgeber, Buch-
druckereibesitzer Letzel, saß auf dem Trocknen. Nur einer war ihm treu ge¬
blieben, ein Staatspfarrer, der nicht gar weit von hier hauste -- er ist schon
lange tot --, dessen Schreibweise jedoch ans Unflätige grenzte. Bald nach
meiner Ankunft in Neisse im Herbst 1879 kam Herr Letzel einmal mit einem
solchen Manuskript zu mir und fragte mich um Rat. Ich sagte ihm, er möchte
das lieber nicht aufnehmen, ich wäre bereit, ihm regelmüßig Beiträge zu liefern,
Zeit hätte ich ja genug übrig. Ich schrieb nun meistens über Gegenstände
von allgemeinem Interesse, u. a. naturphilosophische Betrachtungen, deren Über¬
schrift: Hobelspäne aus Philosvphenwerkstätten der Schlesischen Volkszeitung
zu dem Witze verhalf: der altkatholische Pastor in Neisse füttert seine Schafe
mit Hobelspänen. Der Polemik über religiöse und kirchenpolitische Dinge
ging ich nicht aus dem Wege, führte sie aber in anständigem Tone, und dafür
wurde mir sowohl von Protestanten wie vou Katholiken gedankt; denn wenn
zwei Parteien einander in ihren Organen eine Zeit lang die bösesten und er-
bitterudsten Schimpfwörter an den Kopf geworfen haben, so sührt das in einer
Stadt von 20000 Einwohnern, wo von den Honoratioren wenigstens jeder
jeden kennt und die meisten geschäftlich mit einander zu thun haben, in eine
nicht allein ungemütliche, sondern unhaltbare Lage. Herr Letzel war über die
Wendung der Dinge so erfreut, daß er mir, was ich weder gefordert noch er¬
wartet hatte, ein kleines Honorar zahlte. Er war der Redakteur seines Blattes
und hatte die Nedccktionsarbeit satt. Es lag also nahe, daß wir uns auf ein
Kompagniegeschäft einigten. Nur noch eine Kleinigkeit fehlte, der Nedakteur-
gehalt, denn einen solchen, meinte er, werfe sein Blättchen nicht ab; vielleicht
lasse sich aber ein Konsortium gründen, das dafür auskäme. Der Versuch
dieser Gründung mißlang, und so sah ich mich denn mit meinen Plänen ans
auswärtige Blätter angewiesen. Ich begann nun, an allerlei Zeitungen und
Zeitschriften Manuskripte zu schicken, die ich allesamt wiederbekam, was sehr
anständig von den Redaktionen war, denn sie hätten ja das Zeug in den


Lüttich den Beruf gefunden

Neisser Zeitung nur dreimal, die Liberale Neisser Zeitung, die später in
Neisser Presse umgetauft wurde, zweimal in der Woche heraus. Das Wort
liberal bedeutet in katholischen Gegenden weiter nichts als den Gegensatz zur
Zentrumspartei; in der „liberalen" Partei halten alle Nichtkatholiken zusammen
vom starr orthodoxen Pastor bis zum erklärten Freigeist, vom Geheimen
Regierungsrat und vom pensionirten Major bis zum roten Republikaner. Die
zuletzt genannte Spezies ist freilich ausgestorben, seitdem die rote Farbe aus
dem Politischen ins Soziale umgeschlagen ist, aber damals gab es noch einzelne
Fortschrittler, die ein wenig ins rötliche schillerten. So lange der Kultur¬
kampf gedauert hatte, war er hier wie überall der Stofflieferant für die Lokal¬
presse gewesen. Als ich im Herbst 1879 ankam, war der Sturm im Abflauen
begriffen; die selbstverständlich unbezahlten Mitarbeiter des liberalen Blattes
hatten sich einer nach dem andern zurückgezogen, und der Herausgeber, Buch-
druckereibesitzer Letzel, saß auf dem Trocknen. Nur einer war ihm treu ge¬
blieben, ein Staatspfarrer, der nicht gar weit von hier hauste — er ist schon
lange tot —, dessen Schreibweise jedoch ans Unflätige grenzte. Bald nach
meiner Ankunft in Neisse im Herbst 1879 kam Herr Letzel einmal mit einem
solchen Manuskript zu mir und fragte mich um Rat. Ich sagte ihm, er möchte
das lieber nicht aufnehmen, ich wäre bereit, ihm regelmüßig Beiträge zu liefern,
Zeit hätte ich ja genug übrig. Ich schrieb nun meistens über Gegenstände
von allgemeinem Interesse, u. a. naturphilosophische Betrachtungen, deren Über¬
schrift: Hobelspäne aus Philosvphenwerkstätten der Schlesischen Volkszeitung
zu dem Witze verhalf: der altkatholische Pastor in Neisse füttert seine Schafe
mit Hobelspänen. Der Polemik über religiöse und kirchenpolitische Dinge
ging ich nicht aus dem Wege, führte sie aber in anständigem Tone, und dafür
wurde mir sowohl von Protestanten wie vou Katholiken gedankt; denn wenn
zwei Parteien einander in ihren Organen eine Zeit lang die bösesten und er-
bitterudsten Schimpfwörter an den Kopf geworfen haben, so sührt das in einer
Stadt von 20000 Einwohnern, wo von den Honoratioren wenigstens jeder
jeden kennt und die meisten geschäftlich mit einander zu thun haben, in eine
nicht allein ungemütliche, sondern unhaltbare Lage. Herr Letzel war über die
Wendung der Dinge so erfreut, daß er mir, was ich weder gefordert noch er¬
wartet hatte, ein kleines Honorar zahlte. Er war der Redakteur seines Blattes
und hatte die Nedccktionsarbeit satt. Es lag also nahe, daß wir uns auf ein
Kompagniegeschäft einigten. Nur noch eine Kleinigkeit fehlte, der Nedakteur-
gehalt, denn einen solchen, meinte er, werfe sein Blättchen nicht ab; vielleicht
lasse sich aber ein Konsortium gründen, das dafür auskäme. Der Versuch
dieser Gründung mißlang, und so sah ich mich denn mit meinen Plänen ans
auswärtige Blätter angewiesen. Ich begann nun, an allerlei Zeitungen und
Zeitschriften Manuskripte zu schicken, die ich allesamt wiederbekam, was sehr
anständig von den Redaktionen war, denn sie hätten ja das Zeug in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/534>, abgerufen am 26.06.2024.