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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Kolonisten an der Wolga

der Bauern niemals etwas werden könne, aber wie die Bauern im allgemeinen,
so spekulirten doch auch die Wolgakolonisten fortwährend auf weitere Zuteilung
von "Neuland," das man in der früher so lange gewohnten Weise unter Um¬
ständen für das zehnfache des Preises an Spekulanten verpachten konnte, den
man der Krone als Auskaufssumme zu zahlen hatte, und nach den Ent¬
täuschungen, die sowohl die Krönung des jetzigen Kaisers wie die Revision
gebracht hatten, hielten sie es für zweckmäßig, nicht länger zu warten, sondern
ihr Heil in Sibirien zu suchen, wo es immer noch Neuland und keine Re¬
gierungsbeamten giebt, die in nicht ganz feiner Weise Steuern und Abgaben
verlangen.

Es ist unberechenbar, welche Verluste dem russischen Staat und Volke
seit sechsunddreißig Jahren durch diese fortwährende Spekulation auf kaiser¬
liche Gnadengeschenke erwachsen sind. Wie ein Bleigewicht und zehnmal schlimmer
als alle Folgen der Leibeigenschaft lasteten die Wirkungen der fortwährenden
Versetzungen der angeblichen Bauernfreunde mit ihrem ewigen Refrain: Den
Bauern muß auf Kosten des Adels und des Staates geholfen werden! auf der
russischen Volkswirtschaft. Nicht allem daß der Adel hierdurch an den Rand
des Untergangs geführt wurde, anch mit den Bauern stand es nicht besser,
als Alexander III. den Thron bestieg, und das unvergängliche Verdienst dieses
Kaisers wird es bleiben, seinem Lande wieder notdürftig geordnete wirtschaft¬
liche und soziale Zustünde gegeben und das Reich vor einer Katastrophe bewahrt
zu haben. Der verstorbne Kaiser hat sich um Nußland ein Verdienst erworben,
wie keiner seiner Vorgänger. Jeder muß das anerkennen, der Gelegenheit gehabt
hat, die Entwicklung der Dinge unter Alexander II. und Alexander III. mit
anzusehen. Am Ende der Negierung Alexanders II. waren die Zustünde auf
dem flachen Lande ein reines Chaos, wo keiner wußte, was die nächste Zukunft
bringen würde; am Ende der Regierungszeit feines Sohnes herrschten wieder
Ruhe und Sicherheit überall, wenn auch noch Generationen unter den mate¬
riellen und sittlichen Schäden, die die Jahre der Selbstverwaltung der Bauern
dem ganzen Volksleben gebracht haben, werden leiden müssen.

In einer Beziehung sind aber diese Jahre doch von Nutzen gewesen. Man
sieht nun ein, was aus einer Bevölkerung wird, wenn deren ganzes wirtschaft¬
liches und sittliches Leben der Willkür und den rohen Instinkten des großen
Haufens preisgegeben ist; man wird es nicht noch einmal auf einen Versuch
ankommen lassen. Viele Tausende, die früher noch im Zweifel darüber waren,
ob nicht der kommunistische Gemeindebesitz doch vielleicht auch seine guten
Seiten habe, sind durch die Erfahrungen von allen "liberalen" Anwandlungen
kurirt, und die Negierung wird ihre Absicht, die Angelegenheiten der Bailern
so zu ordnen, wie es deren eigne, wie die Interessen des Staates verlangen,
mit der Zustimmung der ungeheuern Mehrheit des Volkes verwirklichen können.

Den schlagendsten Beweis aber für die Schädlichkeit des kommunistischen


Die deutschen Kolonisten an der Wolga

der Bauern niemals etwas werden könne, aber wie die Bauern im allgemeinen,
so spekulirten doch auch die Wolgakolonisten fortwährend auf weitere Zuteilung
von „Neuland," das man in der früher so lange gewohnten Weise unter Um¬
ständen für das zehnfache des Preises an Spekulanten verpachten konnte, den
man der Krone als Auskaufssumme zu zahlen hatte, und nach den Ent¬
täuschungen, die sowohl die Krönung des jetzigen Kaisers wie die Revision
gebracht hatten, hielten sie es für zweckmäßig, nicht länger zu warten, sondern
ihr Heil in Sibirien zu suchen, wo es immer noch Neuland und keine Re¬
gierungsbeamten giebt, die in nicht ganz feiner Weise Steuern und Abgaben
verlangen.

Es ist unberechenbar, welche Verluste dem russischen Staat und Volke
seit sechsunddreißig Jahren durch diese fortwährende Spekulation auf kaiser¬
liche Gnadengeschenke erwachsen sind. Wie ein Bleigewicht und zehnmal schlimmer
als alle Folgen der Leibeigenschaft lasteten die Wirkungen der fortwährenden
Versetzungen der angeblichen Bauernfreunde mit ihrem ewigen Refrain: Den
Bauern muß auf Kosten des Adels und des Staates geholfen werden! auf der
russischen Volkswirtschaft. Nicht allem daß der Adel hierdurch an den Rand
des Untergangs geführt wurde, anch mit den Bauern stand es nicht besser,
als Alexander III. den Thron bestieg, und das unvergängliche Verdienst dieses
Kaisers wird es bleiben, seinem Lande wieder notdürftig geordnete wirtschaft¬
liche und soziale Zustünde gegeben und das Reich vor einer Katastrophe bewahrt
zu haben. Der verstorbne Kaiser hat sich um Nußland ein Verdienst erworben,
wie keiner seiner Vorgänger. Jeder muß das anerkennen, der Gelegenheit gehabt
hat, die Entwicklung der Dinge unter Alexander II. und Alexander III. mit
anzusehen. Am Ende der Negierung Alexanders II. waren die Zustünde auf
dem flachen Lande ein reines Chaos, wo keiner wußte, was die nächste Zukunft
bringen würde; am Ende der Regierungszeit feines Sohnes herrschten wieder
Ruhe und Sicherheit überall, wenn auch noch Generationen unter den mate¬
riellen und sittlichen Schäden, die die Jahre der Selbstverwaltung der Bauern
dem ganzen Volksleben gebracht haben, werden leiden müssen.

In einer Beziehung sind aber diese Jahre doch von Nutzen gewesen. Man
sieht nun ein, was aus einer Bevölkerung wird, wenn deren ganzes wirtschaft¬
liches und sittliches Leben der Willkür und den rohen Instinkten des großen
Haufens preisgegeben ist; man wird es nicht noch einmal auf einen Versuch
ankommen lassen. Viele Tausende, die früher noch im Zweifel darüber waren,
ob nicht der kommunistische Gemeindebesitz doch vielleicht auch seine guten
Seiten habe, sind durch die Erfahrungen von allen „liberalen" Anwandlungen
kurirt, und die Negierung wird ihre Absicht, die Angelegenheiten der Bailern
so zu ordnen, wie es deren eigne, wie die Interessen des Staates verlangen,
mit der Zustimmung der ungeheuern Mehrheit des Volkes verwirklichen können.

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[0529] Die deutschen Kolonisten an der Wolga der Bauern niemals etwas werden könne, aber wie die Bauern im allgemeinen, so spekulirten doch auch die Wolgakolonisten fortwährend auf weitere Zuteilung von „Neuland," das man in der früher so lange gewohnten Weise unter Um¬ ständen für das zehnfache des Preises an Spekulanten verpachten konnte, den man der Krone als Auskaufssumme zu zahlen hatte, und nach den Ent¬ täuschungen, die sowohl die Krönung des jetzigen Kaisers wie die Revision gebracht hatten, hielten sie es für zweckmäßig, nicht länger zu warten, sondern ihr Heil in Sibirien zu suchen, wo es immer noch Neuland und keine Re¬ gierungsbeamten giebt, die in nicht ganz feiner Weise Steuern und Abgaben verlangen. Es ist unberechenbar, welche Verluste dem russischen Staat und Volke seit sechsunddreißig Jahren durch diese fortwährende Spekulation auf kaiser¬ liche Gnadengeschenke erwachsen sind. Wie ein Bleigewicht und zehnmal schlimmer als alle Folgen der Leibeigenschaft lasteten die Wirkungen der fortwährenden Versetzungen der angeblichen Bauernfreunde mit ihrem ewigen Refrain: Den Bauern muß auf Kosten des Adels und des Staates geholfen werden! auf der russischen Volkswirtschaft. Nicht allem daß der Adel hierdurch an den Rand des Untergangs geführt wurde, anch mit den Bauern stand es nicht besser, als Alexander III. den Thron bestieg, und das unvergängliche Verdienst dieses Kaisers wird es bleiben, seinem Lande wieder notdürftig geordnete wirtschaft¬ liche und soziale Zustünde gegeben und das Reich vor einer Katastrophe bewahrt zu haben. Der verstorbne Kaiser hat sich um Nußland ein Verdienst erworben, wie keiner seiner Vorgänger. Jeder muß das anerkennen, der Gelegenheit gehabt hat, die Entwicklung der Dinge unter Alexander II. und Alexander III. mit anzusehen. Am Ende der Negierung Alexanders II. waren die Zustünde auf dem flachen Lande ein reines Chaos, wo keiner wußte, was die nächste Zukunft bringen würde; am Ende der Regierungszeit feines Sohnes herrschten wieder Ruhe und Sicherheit überall, wenn auch noch Generationen unter den mate¬ riellen und sittlichen Schäden, die die Jahre der Selbstverwaltung der Bauern dem ganzen Volksleben gebracht haben, werden leiden müssen. In einer Beziehung sind aber diese Jahre doch von Nutzen gewesen. Man sieht nun ein, was aus einer Bevölkerung wird, wenn deren ganzes wirtschaft¬ liches und sittliches Leben der Willkür und den rohen Instinkten des großen Haufens preisgegeben ist; man wird es nicht noch einmal auf einen Versuch ankommen lassen. Viele Tausende, die früher noch im Zweifel darüber waren, ob nicht der kommunistische Gemeindebesitz doch vielleicht auch seine guten Seiten habe, sind durch die Erfahrungen von allen „liberalen" Anwandlungen kurirt, und die Negierung wird ihre Absicht, die Angelegenheiten der Bailern so zu ordnen, wie es deren eigne, wie die Interessen des Staates verlangen, mit der Zustimmung der ungeheuern Mehrheit des Volkes verwirklichen können. Den schlagendsten Beweis aber für die Schädlichkeit des kommunistischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/529>, abgerufen am 26.06.2024.