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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Kolonisten an der Wolga

mit Ausnahme der Mutterei hat es kein einziges zu wirklich hervorragender
Bedeutung gebracht, wenn auch die Weberei bedeutende Summen ein¬
brachte. Das einzige Produkt von Belang, sowohl der deutschen Kolonien wie
überhaupt der ganzen Gegend, war und ist der Sommerweizen, der namentlich
im südlichen Teil der Wiesenseite, also am östlichen Wolgaufer, von ausge¬
zeichneter Beschaffenheit ist. Andre Getreidearten, wie Roggen usw., wurden
am linken Wolgaufer früher so gut wie gar nicht angebaut, wogegen das
auf der Bergseite schon länger geschah. Erst seit etwa dreißig Jahren,
und auch nur infolge des Befehls der Regierung, die den Folgen des aus¬
schließlichen Weizenanbaues zu steuern suchte, hat man sich auch in den Gebiete
der Wiesenseite zum Anbau dieser Getreidenrt bequemt, die aber dem Weizen
gegenüber immer noch nur als Nebensache behandelt wird. Zu diesem Unter¬
schiede trug neben der Verschiedenheit des Klimas, das auf der tiefliegenden
Wiesenseite heißer und trockner als ans der hochliegenden Bergseite ist, auch
die Verschiedenheit des Bodens bei. Auf der Wieseuseite, die ohne Zweifel
ein ausgetrockneter Meeresboden ist, eignet er sich entschieden mehr zum Weizen-
als zum Noggenbau, wogegen der Roggen auf dem übrigens ebenso vorzüg¬
lichem Boden der Bergseite sichrer und besser gedeiht als der dort sonst so
bevorzugte Sommerweizen.

Zu diesen natürlichen, dem schnellen Emporkommen einer thätigen und
energischen Bevölkerung äußerst günstigen Verhältnissen kamen nun noch andre
Vorteile. Den Ansiedlern wurde nicht nur Land im Übermaße zugeteilt, sondern
es wurden ihnen auch Häuser, Kirchen und Schulen gebaut, Vieh und Acker¬
geräte nebst den nötigen Sämereien angeschafft, und dazu hatten sie Steuer¬
freiheit auf eine Reihe von Jahren und Befreiung vom Militärdienst auf ein
Jahrhundert, alles Dinge, die schwer ins Gewicht fallen und als außerordentlich
wertvolle Privilegien bezeichnet werden müssen. Wenn trotz alledem der Gang
der Dinge anders war, als erwartet werden konnte, so lohnt es Wohl der Mühe,
einmal nach den tiefer liegenden Ursachen dieser merkwürdigen Erscheinung
zu fragen.

Alles sah gut aus, solange sich die materielle Lage der Kolonien zu
heben schien. Während dieser Zeit, d. h. solange die natürliche Vodenkraft
reichte, entstanden neue schöne Kirchen und Schulen; neue Wohnungen wurden
in Menge gebaut, in denen Komfort und Luxus herrschte, und das alles schien
für den Nichteingeweihten ein Zeichen steigenden Wohlstandes zu sein. Es
war von dem geregelten Ackerbau, dem wachsenden Reichtum und blühenden
Zustande dieser Kolonien in der russischen Presse die Rede, die auf den be¬
stehenden Gemeindebesitz zurückzuführen seien, und doch wußte jeder, der mit den
Zuständen bekannt war, daß der rücksichtsloseste Raubbau getrieben wurde, und
daß es gerade infolge des kommunistischen Gemeindebesitzes früher oder später
zu einer gefährlichen Krisis und schließlich zu einer Katastrophe kommen mußte.


Die deutschen Kolonisten an der Wolga

mit Ausnahme der Mutterei hat es kein einziges zu wirklich hervorragender
Bedeutung gebracht, wenn auch die Weberei bedeutende Summen ein¬
brachte. Das einzige Produkt von Belang, sowohl der deutschen Kolonien wie
überhaupt der ganzen Gegend, war und ist der Sommerweizen, der namentlich
im südlichen Teil der Wiesenseite, also am östlichen Wolgaufer, von ausge¬
zeichneter Beschaffenheit ist. Andre Getreidearten, wie Roggen usw., wurden
am linken Wolgaufer früher so gut wie gar nicht angebaut, wogegen das
auf der Bergseite schon länger geschah. Erst seit etwa dreißig Jahren,
und auch nur infolge des Befehls der Regierung, die den Folgen des aus¬
schließlichen Weizenanbaues zu steuern suchte, hat man sich auch in den Gebiete
der Wiesenseite zum Anbau dieser Getreidenrt bequemt, die aber dem Weizen
gegenüber immer noch nur als Nebensache behandelt wird. Zu diesem Unter¬
schiede trug neben der Verschiedenheit des Klimas, das auf der tiefliegenden
Wiesenseite heißer und trockner als ans der hochliegenden Bergseite ist, auch
die Verschiedenheit des Bodens bei. Auf der Wieseuseite, die ohne Zweifel
ein ausgetrockneter Meeresboden ist, eignet er sich entschieden mehr zum Weizen-
als zum Noggenbau, wogegen der Roggen auf dem übrigens ebenso vorzüg¬
lichem Boden der Bergseite sichrer und besser gedeiht als der dort sonst so
bevorzugte Sommerweizen.

Zu diesen natürlichen, dem schnellen Emporkommen einer thätigen und
energischen Bevölkerung äußerst günstigen Verhältnissen kamen nun noch andre
Vorteile. Den Ansiedlern wurde nicht nur Land im Übermaße zugeteilt, sondern
es wurden ihnen auch Häuser, Kirchen und Schulen gebaut, Vieh und Acker¬
geräte nebst den nötigen Sämereien angeschafft, und dazu hatten sie Steuer¬
freiheit auf eine Reihe von Jahren und Befreiung vom Militärdienst auf ein
Jahrhundert, alles Dinge, die schwer ins Gewicht fallen und als außerordentlich
wertvolle Privilegien bezeichnet werden müssen. Wenn trotz alledem der Gang
der Dinge anders war, als erwartet werden konnte, so lohnt es Wohl der Mühe,
einmal nach den tiefer liegenden Ursachen dieser merkwürdigen Erscheinung
zu fragen.

Alles sah gut aus, solange sich die materielle Lage der Kolonien zu
heben schien. Während dieser Zeit, d. h. solange die natürliche Vodenkraft
reichte, entstanden neue schöne Kirchen und Schulen; neue Wohnungen wurden
in Menge gebaut, in denen Komfort und Luxus herrschte, und das alles schien
für den Nichteingeweihten ein Zeichen steigenden Wohlstandes zu sein. Es
war von dem geregelten Ackerbau, dem wachsenden Reichtum und blühenden
Zustande dieser Kolonien in der russischen Presse die Rede, die auf den be¬
stehenden Gemeindebesitz zurückzuführen seien, und doch wußte jeder, der mit den
Zuständen bekannt war, daß der rücksichtsloseste Raubbau getrieben wurde, und
daß es gerade infolge des kommunistischen Gemeindebesitzes früher oder später
zu einer gefährlichen Krisis und schließlich zu einer Katastrophe kommen mußte.


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[0521] Die deutschen Kolonisten an der Wolga mit Ausnahme der Mutterei hat es kein einziges zu wirklich hervorragender Bedeutung gebracht, wenn auch die Weberei bedeutende Summen ein¬ brachte. Das einzige Produkt von Belang, sowohl der deutschen Kolonien wie überhaupt der ganzen Gegend, war und ist der Sommerweizen, der namentlich im südlichen Teil der Wiesenseite, also am östlichen Wolgaufer, von ausge¬ zeichneter Beschaffenheit ist. Andre Getreidearten, wie Roggen usw., wurden am linken Wolgaufer früher so gut wie gar nicht angebaut, wogegen das auf der Bergseite schon länger geschah. Erst seit etwa dreißig Jahren, und auch nur infolge des Befehls der Regierung, die den Folgen des aus¬ schließlichen Weizenanbaues zu steuern suchte, hat man sich auch in den Gebiete der Wiesenseite zum Anbau dieser Getreidenrt bequemt, die aber dem Weizen gegenüber immer noch nur als Nebensache behandelt wird. Zu diesem Unter¬ schiede trug neben der Verschiedenheit des Klimas, das auf der tiefliegenden Wiesenseite heißer und trockner als ans der hochliegenden Bergseite ist, auch die Verschiedenheit des Bodens bei. Auf der Wieseuseite, die ohne Zweifel ein ausgetrockneter Meeresboden ist, eignet er sich entschieden mehr zum Weizen- als zum Noggenbau, wogegen der Roggen auf dem übrigens ebenso vorzüg¬ lichem Boden der Bergseite sichrer und besser gedeiht als der dort sonst so bevorzugte Sommerweizen. Zu diesen natürlichen, dem schnellen Emporkommen einer thätigen und energischen Bevölkerung äußerst günstigen Verhältnissen kamen nun noch andre Vorteile. Den Ansiedlern wurde nicht nur Land im Übermaße zugeteilt, sondern es wurden ihnen auch Häuser, Kirchen und Schulen gebaut, Vieh und Acker¬ geräte nebst den nötigen Sämereien angeschafft, und dazu hatten sie Steuer¬ freiheit auf eine Reihe von Jahren und Befreiung vom Militärdienst auf ein Jahrhundert, alles Dinge, die schwer ins Gewicht fallen und als außerordentlich wertvolle Privilegien bezeichnet werden müssen. Wenn trotz alledem der Gang der Dinge anders war, als erwartet werden konnte, so lohnt es Wohl der Mühe, einmal nach den tiefer liegenden Ursachen dieser merkwürdigen Erscheinung zu fragen. Alles sah gut aus, solange sich die materielle Lage der Kolonien zu heben schien. Während dieser Zeit, d. h. solange die natürliche Vodenkraft reichte, entstanden neue schöne Kirchen und Schulen; neue Wohnungen wurden in Menge gebaut, in denen Komfort und Luxus herrschte, und das alles schien für den Nichteingeweihten ein Zeichen steigenden Wohlstandes zu sein. Es war von dem geregelten Ackerbau, dem wachsenden Reichtum und blühenden Zustande dieser Kolonien in der russischen Presse die Rede, die auf den be¬ stehenden Gemeindebesitz zurückzuführen seien, und doch wußte jeder, der mit den Zuständen bekannt war, daß der rücksichtsloseste Raubbau getrieben wurde, und daß es gerade infolge des kommunistischen Gemeindebesitzes früher oder später zu einer gefährlichen Krisis und schließlich zu einer Katastrophe kommen mußte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/521>, abgerufen am 26.06.2024.