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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Fünfundzwanzig Jahre deutscher Reichsstatistik

bieten neben einander her, greifen vielfach in einander über, hängen von ein¬
ander ab, sodaß nur ein mit größter Umsicht ausgebauter und mit vollster
Sachkunde und Gewissenhaftigkeit geleiteter Apparat und ein besonders tüchtiges
Personal eine glatte, schnelle und zuverlässige Erledigung der vielerlei Ge¬
schäfte ermöglicht. Dabei verbindet sich -- abgesehen von den subalternen
Rechnereien -- bei diesen Arbeiten wissenschaftliche und technische Leistung so
unausgesetzt und innig, daß, trotz alles unentbehrlichen Tabellenkrams und
Schablonenwerks in der Statistik, auch bei den sogenannten Bureauarbeiten,
gedankenloses Schreibcrtum nirgends so wenig einreißen darf wie hier. Wenn
man sich als Nichtfachmann die Mühe nimmt, dieses Getriebe zu studiren, so
gewinnt man die Überzeugung, eine der eigentümlichsten und großartigsten
bureaukratisch-wissenschaftlichen Leistungen des deutschen Beamtentums vor sich
zu haben. Und das hat das Amt erreicht ganz aus sich heraus, ohne orga-
nisirende Einwirkungen von außen. Nur der Wille und der Zwang, den Jahr
für Jahr sich steigernden Ansprüchen an die Reichsstatistik zu genügen, hat es
auf der bescheidnen Grundlage von 1872 zuwege gebracht, daß die amtliche
Pflegstatte für die Statistik des deutschen Reichs heute unbestritten unter den
statistischen Ämtern der Welt mit die erste Stelle einnimmt. Bismarck hat
unsre Reichsstatistik mit den wenigsten Umständen aufs Pferd gesetzt, sie hat in
den fünfundzwanzig Jahren von selbst reiten lernen, besser als vieles andre im
deutschen Reiche, dem die sorgsamste Pflege von oben zu teil geworden ist.

Wird das so weiter gehen? Die Frage drängt sich auch dem Nichtfach¬
mann auf. Die Gegenwart und die nächste Zukunft stellen neue große statistische
Aufgaben in Aussicht; erfordert doch der unaufhaltsam sich vollziehende
Fortschritt in Ackerbau, Industrie und Handel gebieterisch eine weit all¬
gemeinere und eingehendere Beobachtung und Klärung unsrer wirtschaftlichen
und sozialen Verhältnisse, die in der Hauptsache aus neue statistische Leistungen
hinausläuft, ist doch das große Gebiet der Sozialstatistik überhaupt erst zum
kleinen Teil amtlich bestellt! Wer die praktische Politik und die politischen
Wissenschaften im letzten Jahrzehnt verfolgt hat, der muß zu der Ansicht
kommen, daß der Ncichsstatistik ein neues Vierteljahrhundert voll gewaltiger
Aufgaben bevorsteht. Wird dazu die vorhandne Organisation des Amts ge¬
nügen? Die Vergangenheit spricht in der Hauptsache dafür. Sie schließt
eigentlich grundsätzlich Neuorganisationen aus. Wenn es nur gelingt, dem
Körper die alte Lebens- und Arbeitskraft, die alte Elastizität zu erhalten,
ihm den Ersatz und die Gewinnung neuer Kräfte zu sichern, dann soll man
nicht daran rütteln. Seine Leistungsfähigkeit ist zum größten Teil begründet
in dem in fünfundzwanzig Jahren angesammelten Schatz von Wissen und
Können in dem hundertköpfigen Personal, in der durch die Praxis zur
zweiten Natur gewordnen Methode, in einem gewaltigen Material von Hcmd-
und Druckschriften aller Art, dessen Wert wesentlich davon abhängt, daß die


Fünfundzwanzig Jahre deutscher Reichsstatistik

bieten neben einander her, greifen vielfach in einander über, hängen von ein¬
ander ab, sodaß nur ein mit größter Umsicht ausgebauter und mit vollster
Sachkunde und Gewissenhaftigkeit geleiteter Apparat und ein besonders tüchtiges
Personal eine glatte, schnelle und zuverlässige Erledigung der vielerlei Ge¬
schäfte ermöglicht. Dabei verbindet sich — abgesehen von den subalternen
Rechnereien — bei diesen Arbeiten wissenschaftliche und technische Leistung so
unausgesetzt und innig, daß, trotz alles unentbehrlichen Tabellenkrams und
Schablonenwerks in der Statistik, auch bei den sogenannten Bureauarbeiten,
gedankenloses Schreibcrtum nirgends so wenig einreißen darf wie hier. Wenn
man sich als Nichtfachmann die Mühe nimmt, dieses Getriebe zu studiren, so
gewinnt man die Überzeugung, eine der eigentümlichsten und großartigsten
bureaukratisch-wissenschaftlichen Leistungen des deutschen Beamtentums vor sich
zu haben. Und das hat das Amt erreicht ganz aus sich heraus, ohne orga-
nisirende Einwirkungen von außen. Nur der Wille und der Zwang, den Jahr
für Jahr sich steigernden Ansprüchen an die Reichsstatistik zu genügen, hat es
auf der bescheidnen Grundlage von 1872 zuwege gebracht, daß die amtliche
Pflegstatte für die Statistik des deutschen Reichs heute unbestritten unter den
statistischen Ämtern der Welt mit die erste Stelle einnimmt. Bismarck hat
unsre Reichsstatistik mit den wenigsten Umständen aufs Pferd gesetzt, sie hat in
den fünfundzwanzig Jahren von selbst reiten lernen, besser als vieles andre im
deutschen Reiche, dem die sorgsamste Pflege von oben zu teil geworden ist.

Wird das so weiter gehen? Die Frage drängt sich auch dem Nichtfach¬
mann auf. Die Gegenwart und die nächste Zukunft stellen neue große statistische
Aufgaben in Aussicht; erfordert doch der unaufhaltsam sich vollziehende
Fortschritt in Ackerbau, Industrie und Handel gebieterisch eine weit all¬
gemeinere und eingehendere Beobachtung und Klärung unsrer wirtschaftlichen
und sozialen Verhältnisse, die in der Hauptsache aus neue statistische Leistungen
hinausläuft, ist doch das große Gebiet der Sozialstatistik überhaupt erst zum
kleinen Teil amtlich bestellt! Wer die praktische Politik und die politischen
Wissenschaften im letzten Jahrzehnt verfolgt hat, der muß zu der Ansicht
kommen, daß der Ncichsstatistik ein neues Vierteljahrhundert voll gewaltiger
Aufgaben bevorsteht. Wird dazu die vorhandne Organisation des Amts ge¬
nügen? Die Vergangenheit spricht in der Hauptsache dafür. Sie schließt
eigentlich grundsätzlich Neuorganisationen aus. Wenn es nur gelingt, dem
Körper die alte Lebens- und Arbeitskraft, die alte Elastizität zu erhalten,
ihm den Ersatz und die Gewinnung neuer Kräfte zu sichern, dann soll man
nicht daran rütteln. Seine Leistungsfähigkeit ist zum größten Teil begründet
in dem in fünfundzwanzig Jahren angesammelten Schatz von Wissen und
Können in dem hundertköpfigen Personal, in der durch die Praxis zur
zweiten Natur gewordnen Methode, in einem gewaltigen Material von Hcmd-
und Druckschriften aller Art, dessen Wert wesentlich davon abhängt, daß die


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[0517] Fünfundzwanzig Jahre deutscher Reichsstatistik bieten neben einander her, greifen vielfach in einander über, hängen von ein¬ ander ab, sodaß nur ein mit größter Umsicht ausgebauter und mit vollster Sachkunde und Gewissenhaftigkeit geleiteter Apparat und ein besonders tüchtiges Personal eine glatte, schnelle und zuverlässige Erledigung der vielerlei Ge¬ schäfte ermöglicht. Dabei verbindet sich — abgesehen von den subalternen Rechnereien — bei diesen Arbeiten wissenschaftliche und technische Leistung so unausgesetzt und innig, daß, trotz alles unentbehrlichen Tabellenkrams und Schablonenwerks in der Statistik, auch bei den sogenannten Bureauarbeiten, gedankenloses Schreibcrtum nirgends so wenig einreißen darf wie hier. Wenn man sich als Nichtfachmann die Mühe nimmt, dieses Getriebe zu studiren, so gewinnt man die Überzeugung, eine der eigentümlichsten und großartigsten bureaukratisch-wissenschaftlichen Leistungen des deutschen Beamtentums vor sich zu haben. Und das hat das Amt erreicht ganz aus sich heraus, ohne orga- nisirende Einwirkungen von außen. Nur der Wille und der Zwang, den Jahr für Jahr sich steigernden Ansprüchen an die Reichsstatistik zu genügen, hat es auf der bescheidnen Grundlage von 1872 zuwege gebracht, daß die amtliche Pflegstatte für die Statistik des deutschen Reichs heute unbestritten unter den statistischen Ämtern der Welt mit die erste Stelle einnimmt. Bismarck hat unsre Reichsstatistik mit den wenigsten Umständen aufs Pferd gesetzt, sie hat in den fünfundzwanzig Jahren von selbst reiten lernen, besser als vieles andre im deutschen Reiche, dem die sorgsamste Pflege von oben zu teil geworden ist. Wird das so weiter gehen? Die Frage drängt sich auch dem Nichtfach¬ mann auf. Die Gegenwart und die nächste Zukunft stellen neue große statistische Aufgaben in Aussicht; erfordert doch der unaufhaltsam sich vollziehende Fortschritt in Ackerbau, Industrie und Handel gebieterisch eine weit all¬ gemeinere und eingehendere Beobachtung und Klärung unsrer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die in der Hauptsache aus neue statistische Leistungen hinausläuft, ist doch das große Gebiet der Sozialstatistik überhaupt erst zum kleinen Teil amtlich bestellt! Wer die praktische Politik und die politischen Wissenschaften im letzten Jahrzehnt verfolgt hat, der muß zu der Ansicht kommen, daß der Ncichsstatistik ein neues Vierteljahrhundert voll gewaltiger Aufgaben bevorsteht. Wird dazu die vorhandne Organisation des Amts ge¬ nügen? Die Vergangenheit spricht in der Hauptsache dafür. Sie schließt eigentlich grundsätzlich Neuorganisationen aus. Wenn es nur gelingt, dem Körper die alte Lebens- und Arbeitskraft, die alte Elastizität zu erhalten, ihm den Ersatz und die Gewinnung neuer Kräfte zu sichern, dann soll man nicht daran rütteln. Seine Leistungsfähigkeit ist zum größten Teil begründet in dem in fünfundzwanzig Jahren angesammelten Schatz von Wissen und Können in dem hundertköpfigen Personal, in der durch die Praxis zur zweiten Natur gewordnen Methode, in einem gewaltigen Material von Hcmd- und Druckschriften aller Art, dessen Wert wesentlich davon abhängt, daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/517>, abgerufen am 26.06.2024.