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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Verhältnisse wesentlich genügenden Flotte eingetreten, und was die Kriegs¬
marine nicht vermochte, von der übrigens Fürst Bismarck vorkommenden
Falls jedesmal sehr nachdrücklich Gebrauch gemacht hat, das bewirkte das
gebietende Ansehen, dessen sich Deutschland unter dieser genialen Leitung er¬
freute. Es ist aber klar, daß dieses moralische Gewicht auf die Dauer wesent¬
lich verringert wird, wenn die Mittel, über See die Macht zum thatsächlichen
Ausdruck zu bringen, nicht mehr ausreichend vorhanden sind. Sodann haben
wir in diesem Vierteljahrhundert eben keinen Krieg gehabt, der uns die Mangel-
haftigkeit des Schutzes unsrer überseeischen Interessen schmerzhaft fühlbar ge¬
macht hätte. Soviel steht doch fest: es hat niemals eine große Handelsmacht
gegeben ohne eine entsprechende Kriegsflotte. I"Kö trticlg tollov^s tue üg-Sö,
sagen die Engländer, deren Autorität in diesem Falle wohl niemand bezweifeln
wird. Ihr eigner Handel kam erst durch die Vernichtung der spanischen
Armada empor, und er überflügelte den holländischen erst dann, als die eng¬
lische Flotte die holländische bis zur Vernichtung geschlagen hatte. Der
hansische Handel beherrschte die nordischen Meere und Länder, solange der
Städtebund über eine mächtige Kriegsflotte gebot; als diese verfiel, weil keine
nationale Reichsgewalt hinter den Seestädten stand, ging die deutsche Handels¬
macht zu Grunde, und die Deutschen wurden aus dem Welthandel verdrängt,
wie das neulich der beste Kenner der hansischen Geschichte, Dietrich Schäfer
in Heidelberg, in einer trefflichen kleinen Schrift überzeugend nachgewiesen hat.*)
Es ist ja richtig, daß Hamburg und Bremen ihren transatlantischen Verkehr
ohne den Schutz einer Kriegsflotte gegründet haben, aber das konnten sie nnr,
weil sie sich dem nationalen Leben gänzlich entfremdeten und in allen Kriegen
grundsätzlich neutral blieben, also unter Umständen, die heutzutage gar nicht
mehr eintreten können. Und wie unsicher waren diese Ergebnisse! Als die
Napoleonische Fremdherrschaft über Deutschland hereinbrach, ging der ganze
transatlantische Handel Hamburgs völlig zu Grunde und erreichte erst 1832
wieder den Stand von 1799.

Doch wir versuchen zu beweisen, daß zweimal zwei vier ist. Steht nun
fest, daß unsre Kriegsflotte zu schwach ist, ihren erweiterten Aufgaben zu
genügen, ist also das Bedürfnis vorhanden, sie zu verstärken und neu zu
orgamsiren, so fallen alle Einwände gegen die wahrlich bescheidne Vorlage der
Negierung, der man nur den Vorwurf machen kann, daß sie nicht früher damit
gekommen ist, in sich zusammen. Nicht einmal das beliebte Klagelied über
neue erdrückende Steuerkasten läßt sich mehr anstimmen, denn der Stand der
Reichsfinanzen ist günstig, und selbst wenn das nicht der Fall wäre, die
Nation, die nicht sür ihre Zukunft Opfer bringen wollte, verdiente keine Zukunft.
Das Budgetrecht des Reichstags aber wird durch diese Vorlage nicht mehr



*) Deutschland zur See. Eine historisch-politische Betrachtung. Jena, G. Fischer, 1807.
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Verhältnisse wesentlich genügenden Flotte eingetreten, und was die Kriegs¬
marine nicht vermochte, von der übrigens Fürst Bismarck vorkommenden
Falls jedesmal sehr nachdrücklich Gebrauch gemacht hat, das bewirkte das
gebietende Ansehen, dessen sich Deutschland unter dieser genialen Leitung er¬
freute. Es ist aber klar, daß dieses moralische Gewicht auf die Dauer wesent¬
lich verringert wird, wenn die Mittel, über See die Macht zum thatsächlichen
Ausdruck zu bringen, nicht mehr ausreichend vorhanden sind. Sodann haben
wir in diesem Vierteljahrhundert eben keinen Krieg gehabt, der uns die Mangel-
haftigkeit des Schutzes unsrer überseeischen Interessen schmerzhaft fühlbar ge¬
macht hätte. Soviel steht doch fest: es hat niemals eine große Handelsmacht
gegeben ohne eine entsprechende Kriegsflotte. I"Kö trticlg tollov^s tue üg-Sö,
sagen die Engländer, deren Autorität in diesem Falle wohl niemand bezweifeln
wird. Ihr eigner Handel kam erst durch die Vernichtung der spanischen
Armada empor, und er überflügelte den holländischen erst dann, als die eng¬
lische Flotte die holländische bis zur Vernichtung geschlagen hatte. Der
hansische Handel beherrschte die nordischen Meere und Länder, solange der
Städtebund über eine mächtige Kriegsflotte gebot; als diese verfiel, weil keine
nationale Reichsgewalt hinter den Seestädten stand, ging die deutsche Handels¬
macht zu Grunde, und die Deutschen wurden aus dem Welthandel verdrängt,
wie das neulich der beste Kenner der hansischen Geschichte, Dietrich Schäfer
in Heidelberg, in einer trefflichen kleinen Schrift überzeugend nachgewiesen hat.*)
Es ist ja richtig, daß Hamburg und Bremen ihren transatlantischen Verkehr
ohne den Schutz einer Kriegsflotte gegründet haben, aber das konnten sie nnr,
weil sie sich dem nationalen Leben gänzlich entfremdeten und in allen Kriegen
grundsätzlich neutral blieben, also unter Umständen, die heutzutage gar nicht
mehr eintreten können. Und wie unsicher waren diese Ergebnisse! Als die
Napoleonische Fremdherrschaft über Deutschland hereinbrach, ging der ganze
transatlantische Handel Hamburgs völlig zu Grunde und erreichte erst 1832
wieder den Stand von 1799.

Doch wir versuchen zu beweisen, daß zweimal zwei vier ist. Steht nun
fest, daß unsre Kriegsflotte zu schwach ist, ihren erweiterten Aufgaben zu
genügen, ist also das Bedürfnis vorhanden, sie zu verstärken und neu zu
orgamsiren, so fallen alle Einwände gegen die wahrlich bescheidne Vorlage der
Negierung, der man nur den Vorwurf machen kann, daß sie nicht früher damit
gekommen ist, in sich zusammen. Nicht einmal das beliebte Klagelied über
neue erdrückende Steuerkasten läßt sich mehr anstimmen, denn der Stand der
Reichsfinanzen ist günstig, und selbst wenn das nicht der Fall wäre, die
Nation, die nicht sür ihre Zukunft Opfer bringen wollte, verdiente keine Zukunft.
Das Budgetrecht des Reichstags aber wird durch diese Vorlage nicht mehr



*) Deutschland zur See. Eine historisch-politische Betrachtung. Jena, G. Fischer, 1807.
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[0512] Uiao-dschau Verhältnisse wesentlich genügenden Flotte eingetreten, und was die Kriegs¬ marine nicht vermochte, von der übrigens Fürst Bismarck vorkommenden Falls jedesmal sehr nachdrücklich Gebrauch gemacht hat, das bewirkte das gebietende Ansehen, dessen sich Deutschland unter dieser genialen Leitung er¬ freute. Es ist aber klar, daß dieses moralische Gewicht auf die Dauer wesent¬ lich verringert wird, wenn die Mittel, über See die Macht zum thatsächlichen Ausdruck zu bringen, nicht mehr ausreichend vorhanden sind. Sodann haben wir in diesem Vierteljahrhundert eben keinen Krieg gehabt, der uns die Mangel- haftigkeit des Schutzes unsrer überseeischen Interessen schmerzhaft fühlbar ge¬ macht hätte. Soviel steht doch fest: es hat niemals eine große Handelsmacht gegeben ohne eine entsprechende Kriegsflotte. I"Kö trticlg tollov^s tue üg-Sö, sagen die Engländer, deren Autorität in diesem Falle wohl niemand bezweifeln wird. Ihr eigner Handel kam erst durch die Vernichtung der spanischen Armada empor, und er überflügelte den holländischen erst dann, als die eng¬ lische Flotte die holländische bis zur Vernichtung geschlagen hatte. Der hansische Handel beherrschte die nordischen Meere und Länder, solange der Städtebund über eine mächtige Kriegsflotte gebot; als diese verfiel, weil keine nationale Reichsgewalt hinter den Seestädten stand, ging die deutsche Handels¬ macht zu Grunde, und die Deutschen wurden aus dem Welthandel verdrängt, wie das neulich der beste Kenner der hansischen Geschichte, Dietrich Schäfer in Heidelberg, in einer trefflichen kleinen Schrift überzeugend nachgewiesen hat.*) Es ist ja richtig, daß Hamburg und Bremen ihren transatlantischen Verkehr ohne den Schutz einer Kriegsflotte gegründet haben, aber das konnten sie nnr, weil sie sich dem nationalen Leben gänzlich entfremdeten und in allen Kriegen grundsätzlich neutral blieben, also unter Umständen, die heutzutage gar nicht mehr eintreten können. Und wie unsicher waren diese Ergebnisse! Als die Napoleonische Fremdherrschaft über Deutschland hereinbrach, ging der ganze transatlantische Handel Hamburgs völlig zu Grunde und erreichte erst 1832 wieder den Stand von 1799. Doch wir versuchen zu beweisen, daß zweimal zwei vier ist. Steht nun fest, daß unsre Kriegsflotte zu schwach ist, ihren erweiterten Aufgaben zu genügen, ist also das Bedürfnis vorhanden, sie zu verstärken und neu zu orgamsiren, so fallen alle Einwände gegen die wahrlich bescheidne Vorlage der Negierung, der man nur den Vorwurf machen kann, daß sie nicht früher damit gekommen ist, in sich zusammen. Nicht einmal das beliebte Klagelied über neue erdrückende Steuerkasten läßt sich mehr anstimmen, denn der Stand der Reichsfinanzen ist günstig, und selbst wenn das nicht der Fall wäre, die Nation, die nicht sür ihre Zukunft Opfer bringen wollte, verdiente keine Zukunft. Das Budgetrecht des Reichstags aber wird durch diese Vorlage nicht mehr *) Deutschland zur See. Eine historisch-politische Betrachtung. Jena, G. Fischer, 1807.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/512>, abgerufen am 26.06.2024.