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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Kiao-dschau

berührt als durch die Feststellung der Zahl der Bataillone, Schwadronen und
Batterien des Reichsheeres, die auch nicht jedes Jahr geändert werden kann,
ohne die ganze Organisation zu gefährden, und schließlich steht höher als das
formelle Budgetrecht des Reichstages das Recht der Nation auf die Befriedigung
ihrer dringendsten Bedürfnisse. Vollends die Genehmigung der Vorlage von
irgendwelchen Zugeständnissen der Regierung an Parteiwünsche abhängig machen
wollen, das heißt einen unwürdigen Schacher mit den höchsten Interessen treiben
und sich auf den kindischen Standpunkt stellen, daß die Regierung um ihretwillen
solche Vorlagen mache, etwa wie Schüler zu sagen Pflegen, daß sie für den Lehrer
zu arbeiten Hütten. Unsre wackern Blaujacken aber auf ungenügenden Schiffen
hinausschicken, das ist ebenso gut ein Verbrechen, als wenn man unsre Armee
mit veralteten Waffen ausstatten wollte. Es scheint auch, als ob sich die
Einsicht in die Notwendigkeit der Flottenvorlage allmählich in weitern Kreisen
verbreitete. Zwar ist die Presse oft lau, und der Wert der darin enthaltnen
Ansichten steht gewöhnlich in keinem Verhältnis zu dem Aufwand an Drucker¬
schwärze und Papier; aber im Volke regt sich neben der Tagespresse eine
rührige Agitation in Wort und Schrift, um den Willen der Reichsboten zu
stärken oder zu korrigiren. Lehrt doch der Konflikt mit der verfaulten Neger-
republick Haiti, die uns wochenlang zu trotzen wagte, und die Notwendigkeit
der Besetzung von Kiao-dschau, wie dringend wir einer schlagfertigen Flotte
bedürfen, und wie schwach wir zur See sind, denn wir haben unsre einheimischen
Gewässer von Kreuzern entblößen müssen, um dort mit Nachdruck auftreten
zu können.

Jedenfalls steht Deutschland an einem entscheidenden Wendepunkt seiner
Geschichte. Das deutsche Volk soll durch seine Vertreter entscheiden, ob es
reif genug ist, seine Zukunft zu begreifen, und entschlossen genug, die Strömung
zu benutzen, die es vorwärts treibt, und die kein einzelner Mensch, auch der
mächtigste nicht, gemacht hat oder machen kann. Ana-i. ehrt use re^lor.
Von der Regierung aber erwarten und hoffen wir bestimmt, daß sie nicht
zurückweicht, sondern unter allen Umständen festhält an dem, was sie für not¬
wendig erkannt und erklärt hat; denn die geringste Nachgiebigkeit setzte die ins
Recht, die schachern zu dürfen glauben, und die nichts weiter als einen Sport
in den Marinebestrebungen sehen wollen. Wenn es der hohe Ehrgeiz des
Kaisers ist, für unsre Marine und unsre Weltstellung das zu werden, was
sein Großvater für die Armee und die Einigung Deutschlands gewesen ist, so
können wir uns zu so mannhaften Entschlüsse nur Gluck wünschen. Also
"Volldampf voraus!"




Kiao-dschau

berührt als durch die Feststellung der Zahl der Bataillone, Schwadronen und
Batterien des Reichsheeres, die auch nicht jedes Jahr geändert werden kann,
ohne die ganze Organisation zu gefährden, und schließlich steht höher als das
formelle Budgetrecht des Reichstages das Recht der Nation auf die Befriedigung
ihrer dringendsten Bedürfnisse. Vollends die Genehmigung der Vorlage von
irgendwelchen Zugeständnissen der Regierung an Parteiwünsche abhängig machen
wollen, das heißt einen unwürdigen Schacher mit den höchsten Interessen treiben
und sich auf den kindischen Standpunkt stellen, daß die Regierung um ihretwillen
solche Vorlagen mache, etwa wie Schüler zu sagen Pflegen, daß sie für den Lehrer
zu arbeiten Hütten. Unsre wackern Blaujacken aber auf ungenügenden Schiffen
hinausschicken, das ist ebenso gut ein Verbrechen, als wenn man unsre Armee
mit veralteten Waffen ausstatten wollte. Es scheint auch, als ob sich die
Einsicht in die Notwendigkeit der Flottenvorlage allmählich in weitern Kreisen
verbreitete. Zwar ist die Presse oft lau, und der Wert der darin enthaltnen
Ansichten steht gewöhnlich in keinem Verhältnis zu dem Aufwand an Drucker¬
schwärze und Papier; aber im Volke regt sich neben der Tagespresse eine
rührige Agitation in Wort und Schrift, um den Willen der Reichsboten zu
stärken oder zu korrigiren. Lehrt doch der Konflikt mit der verfaulten Neger-
republick Haiti, die uns wochenlang zu trotzen wagte, und die Notwendigkeit
der Besetzung von Kiao-dschau, wie dringend wir einer schlagfertigen Flotte
bedürfen, und wie schwach wir zur See sind, denn wir haben unsre einheimischen
Gewässer von Kreuzern entblößen müssen, um dort mit Nachdruck auftreten
zu können.

Jedenfalls steht Deutschland an einem entscheidenden Wendepunkt seiner
Geschichte. Das deutsche Volk soll durch seine Vertreter entscheiden, ob es
reif genug ist, seine Zukunft zu begreifen, und entschlossen genug, die Strömung
zu benutzen, die es vorwärts treibt, und die kein einzelner Mensch, auch der
mächtigste nicht, gemacht hat oder machen kann. Ana-i. ehrt use re^lor.
Von der Regierung aber erwarten und hoffen wir bestimmt, daß sie nicht
zurückweicht, sondern unter allen Umständen festhält an dem, was sie für not¬
wendig erkannt und erklärt hat; denn die geringste Nachgiebigkeit setzte die ins
Recht, die schachern zu dürfen glauben, und die nichts weiter als einen Sport
in den Marinebestrebungen sehen wollen. Wenn es der hohe Ehrgeiz des
Kaisers ist, für unsre Marine und unsre Weltstellung das zu werden, was
sein Großvater für die Armee und die Einigung Deutschlands gewesen ist, so
können wir uns zu so mannhaften Entschlüsse nur Gluck wünschen. Also
„Volldampf voraus!"




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/513>, abgerufen am 26.06.2024.