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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Neue Romane

Martina Steffens, einer klugen, vermögenden und sehr sympathischen jungen
Dame aus Nasenburg. Abgesehen von dieser Herzensangelegenheit befindet er
sich also jetzt wieder ungefähr da, wo er anfangs war, allerdings bereichert
durch die in Nasenburg gemachten Erfahrungen. Er hat die feste Überzeugung,
daß er nun etwas nützliches leisten könne, und seine junge Frau, die sein
ganzes Leben in Rasenbnrg verfolgt hat, teilt diese Ansicht, worin zugleich die
Tendenz des Romans ausgesprochen ist. Dieser ist seinem Hauptinhalte nach
weit mehr belehrend als unterhaltend, und zwar ist es erstaunlich, mit
welcher Sicherheit die Verfasserin das ganze Zeitungswesen und seinen poli¬
tischen Untergrund mit allen Einzelheiten richtig und treu nach dem Bilde
seiner heutigen Entwicklung darstellt; keine ihrer vielen journalistischen Figuren
vergißt auch nur ein einzigesmal ihre Rolle. Sodann finden wir ihre An¬
sichten über soziale Fragen der Gegenwart vernünftig und auf selbständige
Kenntnisse gegründet. Es ist nicht etwa dies oberflächliche Hin- und Herreden
der Nomanfiguren über dergleichen, weil das nun einmal heute so die Mode
ist, sondern die Verfasserin handelt von ihren Gegenstünden mit einem Ernst,
der beinahe den Unterhaltungswert ihres Buches gefährden könnte. Was
diesen betrifft, so behandelt sie sehr gut die gesellschaftlichen Verhältnisse auf
dem Walde, das idyllische, aber auch leicht ins komische zu ziehende Leben der
vornehmen Bürgerfamilien, sehr gut hat sie auch einzelne Charaktere geschildert,
so außer Oldenhoven die Familie seines Prinzipals, ferner Martina und die
Ihrigen, während von den übrigen Naseuburgern zu viele über die Szene ge¬
führt werden und immer wieder erscheinen und uns doch nicht bekannt werden.
Sehr gut sind endlich die Schilderungen von Örtlichkeiten und Naturvorgängen,
z. B. einer Überschwemmung in dem Bezirk, wo Oldenhoven gerade Landrat
geworden ist. Die Verfasserin hat ein schönes, gesundes, frisches Talent, das
ist keine Frage. Aber weil ein Roman ein möglichst vollkommnes Kunstwerk
sein soll, so möchten wir auch andeuten, worin uns ihre Begabung noch der
Schule zu bedürfen scheint. Zuerst handelt es sich um die Ökonomie: die
Welt der Zeitungsschreiber in den ersten zwei Bänden nimmt einen viel zu
großen Raum ein, und der Hauptpunkt des eigentlichen Romans, daß Olden¬
hoven und Martina für einander bestimmt sind, tritt zu spät aus Licht; lange
kann der Leser noch denken, das energische adliche Gutsfränlein, die Schwester
seines Freundes, wäre seine Erwählte, und als sie es schließlich nicht ist,
kommt nicht deutlich genug zum Ausdruck, warum denn so viel von dem Ver¬
hältnis der beiden die Rede war, wenn sie doch kein Paar werden sollten.
Das ist ein Mangel der Exposition. Übrigens ist die Erzählung ausführlich,
sorgfältig und deutlich. Es fehlt aber am dramatischen, und wirkungsvolle
einzelne Szenen, wie die am Sterbebette der Mutter Märtirers, sind selten.
Der Dialog ist sehr häufig zu studirt; so schlagfertig sind die Menschen in
Wirklichkeit nicht. Man muß bisweilen in der That einen Augenblick nach¬
denken, um die Pointen ganz zu würdigen. Also das alles müßte natürlicher


Neue Romane

Martina Steffens, einer klugen, vermögenden und sehr sympathischen jungen
Dame aus Nasenburg. Abgesehen von dieser Herzensangelegenheit befindet er
sich also jetzt wieder ungefähr da, wo er anfangs war, allerdings bereichert
durch die in Nasenburg gemachten Erfahrungen. Er hat die feste Überzeugung,
daß er nun etwas nützliches leisten könne, und seine junge Frau, die sein
ganzes Leben in Rasenbnrg verfolgt hat, teilt diese Ansicht, worin zugleich die
Tendenz des Romans ausgesprochen ist. Dieser ist seinem Hauptinhalte nach
weit mehr belehrend als unterhaltend, und zwar ist es erstaunlich, mit
welcher Sicherheit die Verfasserin das ganze Zeitungswesen und seinen poli¬
tischen Untergrund mit allen Einzelheiten richtig und treu nach dem Bilde
seiner heutigen Entwicklung darstellt; keine ihrer vielen journalistischen Figuren
vergißt auch nur ein einzigesmal ihre Rolle. Sodann finden wir ihre An¬
sichten über soziale Fragen der Gegenwart vernünftig und auf selbständige
Kenntnisse gegründet. Es ist nicht etwa dies oberflächliche Hin- und Herreden
der Nomanfiguren über dergleichen, weil das nun einmal heute so die Mode
ist, sondern die Verfasserin handelt von ihren Gegenstünden mit einem Ernst,
der beinahe den Unterhaltungswert ihres Buches gefährden könnte. Was
diesen betrifft, so behandelt sie sehr gut die gesellschaftlichen Verhältnisse auf
dem Walde, das idyllische, aber auch leicht ins komische zu ziehende Leben der
vornehmen Bürgerfamilien, sehr gut hat sie auch einzelne Charaktere geschildert,
so außer Oldenhoven die Familie seines Prinzipals, ferner Martina und die
Ihrigen, während von den übrigen Naseuburgern zu viele über die Szene ge¬
führt werden und immer wieder erscheinen und uns doch nicht bekannt werden.
Sehr gut sind endlich die Schilderungen von Örtlichkeiten und Naturvorgängen,
z. B. einer Überschwemmung in dem Bezirk, wo Oldenhoven gerade Landrat
geworden ist. Die Verfasserin hat ein schönes, gesundes, frisches Talent, das
ist keine Frage. Aber weil ein Roman ein möglichst vollkommnes Kunstwerk
sein soll, so möchten wir auch andeuten, worin uns ihre Begabung noch der
Schule zu bedürfen scheint. Zuerst handelt es sich um die Ökonomie: die
Welt der Zeitungsschreiber in den ersten zwei Bänden nimmt einen viel zu
großen Raum ein, und der Hauptpunkt des eigentlichen Romans, daß Olden¬
hoven und Martina für einander bestimmt sind, tritt zu spät aus Licht; lange
kann der Leser noch denken, das energische adliche Gutsfränlein, die Schwester
seines Freundes, wäre seine Erwählte, und als sie es schließlich nicht ist,
kommt nicht deutlich genug zum Ausdruck, warum denn so viel von dem Ver¬
hältnis der beiden die Rede war, wenn sie doch kein Paar werden sollten.
Das ist ein Mangel der Exposition. Übrigens ist die Erzählung ausführlich,
sorgfältig und deutlich. Es fehlt aber am dramatischen, und wirkungsvolle
einzelne Szenen, wie die am Sterbebette der Mutter Märtirers, sind selten.
Der Dialog ist sehr häufig zu studirt; so schlagfertig sind die Menschen in
Wirklichkeit nicht. Man muß bisweilen in der That einen Augenblick nach¬
denken, um die Pointen ganz zu würdigen. Also das alles müßte natürlicher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/500>, abgerufen am 26.06.2024.