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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Neue Romane

sein, und die neuerdings aufkommende häßliche elektrotechnische Metapher
"auslösen" (für hervorrufen) sollte sich die Verfasserin nicht extra angewöhnen.
"Nein, mein gnädiges Fräulein, das scheint nur so. Die hilfsbedürftige
Situation lost stets Leben und zielbewußtes) Bewegung bei ihm aus." Wenn
man jemanden so im Leben sprechen hörte, würde man denken: Affektirter
Mops! Das also wären etwa die Ausstellungen, die wir an dem übrigens
erfreulichen, tüchtigen Buche zu machen Hütten.

Leichtere Ware bietet uns eine Erzählung von Bernhardine Schulze-
Smidt (Dresden und Leipzig, Carl Reißner). Sie beginnt mit der Kindheit
eines feinen Geschwisterpaares in einer ungenannten norddeutschen Stadt, etwa
Lübeck. Das Mädchen lernt den Spielkameraden ihres Bruders, einen Kunst-
rciterknaben, kennen und verliebt sich in ihn. Der kleine Liebhaber geht nach
einigen Jahren, nachdem sein Vater Bankrott gemacht hat, nach dem damals
noch französischen Straßburg und wird Soldat. Einige Zeit darnach trifft in
Begleitung ihres Bruders die Schwester auf einer Reise nach der Schweiz mit
dem Geliebten ihrer Kinderzeit in Straßbnrg zusammen, um die bereits vorher
gefaßte Meinung zur Gewißheit werden zu lassen, daß sie beide nicht für ein¬
ander passen; er ist nur Sergeant, und keine Kinderphantasie kann mehr über
das Trennende des gesellschaftlichen Unterschiedes hinwegtäuschen. Diese Schil¬
derung des Strnßburger Lebens mit dem hübschen, stattlichen und doch in
seinem Beuehme" unsichern Unteroffizier ist die gelungenste Partie des Buches.
Etwas absichtsvoll und gesucht ist der Schluß, wo der Bruder als Militärarzt
und die Schwester als Pflegerin auf dem Schlachtfelde von Gravelotte den
jungen Freund als Sousleutncmt mit durchschossener Brust unter vielen andern
Toten seines Regiments liegen sehen. Das Ganze hat lange Zeit nachher der
Bruder aufgezeichnet und der Verfasserin zur Benutzung überlassen. Ist das,
wie wir annehmen, eine Fiktion, so ist es eine recht gute, und daß auf diese
Weise das ganze Buch hindurch die Erzählung in der ersten Person gegeben
ist, macht den Roman höchst lebendig. Die Ausstattung ist besonders fein, der
Titel jedoch: Kein Gitter hindert Cupido, ist für das ernstgemeinte Buch
zu tündelhaft und nicht einmal dem Inhalt angemessen, denn in Wirklichkeit
hat das Gitter des Standesnnterschiedes Cupido ja doch endgiltig gehindert.

Nicht so unterhaltend ist die in demselben Verlage erschienene Novelle von
Sophie Junghans: Lore Fay, aber als Kunstwerk möchten wir sie höher
stellen. Sie versetzt uns in die Stadt Hannover und in das Jahr 1708.
Fast bis zur Mitte des Buches werden wir von der Häuslichkeit des kurfürst¬
lichen Rats Bube unterhalte", nicht kurzweilig, denn das waren die Menschen
damals auch nicht in der kleinen, bereits stark englisirten Residenz, aber stil¬
getreu. Wir sehen die Menschen leibhaftig vor uns; es gehört aber schon
etwas historischer Geschmack dazu, um das umständliche Vergnügen ihrer
Gesellschaft als eine Annehmlichkeit zu empfinden. Es ist darum gut. daß
bald ein wirklicher Gedanke unsre Teilnahme ganz allein in Anspruch nimmt.


Neue Romane

sein, und die neuerdings aufkommende häßliche elektrotechnische Metapher
„auslösen" (für hervorrufen) sollte sich die Verfasserin nicht extra angewöhnen.
„Nein, mein gnädiges Fräulein, das scheint nur so. Die hilfsbedürftige
Situation lost stets Leben und zielbewußtes) Bewegung bei ihm aus." Wenn
man jemanden so im Leben sprechen hörte, würde man denken: Affektirter
Mops! Das also wären etwa die Ausstellungen, die wir an dem übrigens
erfreulichen, tüchtigen Buche zu machen Hütten.

Leichtere Ware bietet uns eine Erzählung von Bernhardine Schulze-
Smidt (Dresden und Leipzig, Carl Reißner). Sie beginnt mit der Kindheit
eines feinen Geschwisterpaares in einer ungenannten norddeutschen Stadt, etwa
Lübeck. Das Mädchen lernt den Spielkameraden ihres Bruders, einen Kunst-
rciterknaben, kennen und verliebt sich in ihn. Der kleine Liebhaber geht nach
einigen Jahren, nachdem sein Vater Bankrott gemacht hat, nach dem damals
noch französischen Straßburg und wird Soldat. Einige Zeit darnach trifft in
Begleitung ihres Bruders die Schwester auf einer Reise nach der Schweiz mit
dem Geliebten ihrer Kinderzeit in Straßbnrg zusammen, um die bereits vorher
gefaßte Meinung zur Gewißheit werden zu lassen, daß sie beide nicht für ein¬
ander passen; er ist nur Sergeant, und keine Kinderphantasie kann mehr über
das Trennende des gesellschaftlichen Unterschiedes hinwegtäuschen. Diese Schil¬
derung des Strnßburger Lebens mit dem hübschen, stattlichen und doch in
seinem Beuehme» unsichern Unteroffizier ist die gelungenste Partie des Buches.
Etwas absichtsvoll und gesucht ist der Schluß, wo der Bruder als Militärarzt
und die Schwester als Pflegerin auf dem Schlachtfelde von Gravelotte den
jungen Freund als Sousleutncmt mit durchschossener Brust unter vielen andern
Toten seines Regiments liegen sehen. Das Ganze hat lange Zeit nachher der
Bruder aufgezeichnet und der Verfasserin zur Benutzung überlassen. Ist das,
wie wir annehmen, eine Fiktion, so ist es eine recht gute, und daß auf diese
Weise das ganze Buch hindurch die Erzählung in der ersten Person gegeben
ist, macht den Roman höchst lebendig. Die Ausstattung ist besonders fein, der
Titel jedoch: Kein Gitter hindert Cupido, ist für das ernstgemeinte Buch
zu tündelhaft und nicht einmal dem Inhalt angemessen, denn in Wirklichkeit
hat das Gitter des Standesnnterschiedes Cupido ja doch endgiltig gehindert.

Nicht so unterhaltend ist die in demselben Verlage erschienene Novelle von
Sophie Junghans: Lore Fay, aber als Kunstwerk möchten wir sie höher
stellen. Sie versetzt uns in die Stadt Hannover und in das Jahr 1708.
Fast bis zur Mitte des Buches werden wir von der Häuslichkeit des kurfürst¬
lichen Rats Bube unterhalte», nicht kurzweilig, denn das waren die Menschen
damals auch nicht in der kleinen, bereits stark englisirten Residenz, aber stil¬
getreu. Wir sehen die Menschen leibhaftig vor uns; es gehört aber schon
etwas historischer Geschmack dazu, um das umständliche Vergnügen ihrer
Gesellschaft als eine Annehmlichkeit zu empfinden. Es ist darum gut. daß
bald ein wirklicher Gedanke unsre Teilnahme ganz allein in Anspruch nimmt.


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[0501] Neue Romane sein, und die neuerdings aufkommende häßliche elektrotechnische Metapher „auslösen" (für hervorrufen) sollte sich die Verfasserin nicht extra angewöhnen. „Nein, mein gnädiges Fräulein, das scheint nur so. Die hilfsbedürftige Situation lost stets Leben und zielbewußtes) Bewegung bei ihm aus." Wenn man jemanden so im Leben sprechen hörte, würde man denken: Affektirter Mops! Das also wären etwa die Ausstellungen, die wir an dem übrigens erfreulichen, tüchtigen Buche zu machen Hütten. Leichtere Ware bietet uns eine Erzählung von Bernhardine Schulze- Smidt (Dresden und Leipzig, Carl Reißner). Sie beginnt mit der Kindheit eines feinen Geschwisterpaares in einer ungenannten norddeutschen Stadt, etwa Lübeck. Das Mädchen lernt den Spielkameraden ihres Bruders, einen Kunst- rciterknaben, kennen und verliebt sich in ihn. Der kleine Liebhaber geht nach einigen Jahren, nachdem sein Vater Bankrott gemacht hat, nach dem damals noch französischen Straßburg und wird Soldat. Einige Zeit darnach trifft in Begleitung ihres Bruders die Schwester auf einer Reise nach der Schweiz mit dem Geliebten ihrer Kinderzeit in Straßbnrg zusammen, um die bereits vorher gefaßte Meinung zur Gewißheit werden zu lassen, daß sie beide nicht für ein¬ ander passen; er ist nur Sergeant, und keine Kinderphantasie kann mehr über das Trennende des gesellschaftlichen Unterschiedes hinwegtäuschen. Diese Schil¬ derung des Strnßburger Lebens mit dem hübschen, stattlichen und doch in seinem Beuehme» unsichern Unteroffizier ist die gelungenste Partie des Buches. Etwas absichtsvoll und gesucht ist der Schluß, wo der Bruder als Militärarzt und die Schwester als Pflegerin auf dem Schlachtfelde von Gravelotte den jungen Freund als Sousleutncmt mit durchschossener Brust unter vielen andern Toten seines Regiments liegen sehen. Das Ganze hat lange Zeit nachher der Bruder aufgezeichnet und der Verfasserin zur Benutzung überlassen. Ist das, wie wir annehmen, eine Fiktion, so ist es eine recht gute, und daß auf diese Weise das ganze Buch hindurch die Erzählung in der ersten Person gegeben ist, macht den Roman höchst lebendig. Die Ausstattung ist besonders fein, der Titel jedoch: Kein Gitter hindert Cupido, ist für das ernstgemeinte Buch zu tündelhaft und nicht einmal dem Inhalt angemessen, denn in Wirklichkeit hat das Gitter des Standesnnterschiedes Cupido ja doch endgiltig gehindert. Nicht so unterhaltend ist die in demselben Verlage erschienene Novelle von Sophie Junghans: Lore Fay, aber als Kunstwerk möchten wir sie höher stellen. Sie versetzt uns in die Stadt Hannover und in das Jahr 1708. Fast bis zur Mitte des Buches werden wir von der Häuslichkeit des kurfürst¬ lichen Rats Bube unterhalte», nicht kurzweilig, denn das waren die Menschen damals auch nicht in der kleinen, bereits stark englisirten Residenz, aber stil¬ getreu. Wir sehen die Menschen leibhaftig vor uns; es gehört aber schon etwas historischer Geschmack dazu, um das umständliche Vergnügen ihrer Gesellschaft als eine Annehmlichkeit zu empfinden. Es ist darum gut. daß bald ein wirklicher Gedanke unsre Teilnahme ganz allein in Anspruch nimmt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/501>, abgerufen am 26.06.2024.