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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Neue Romane

dann noch entschädigen könnte, der sich aber durch künstliches Deutsch allein
nicht erreichen läßt.

Kinder der Eifel von C. Viebig (Berlin, Fontane u. Comp.) ist
ebenfalls nicht ein einziger Roman, sondern es sind sieben längere und kürzere
Erzählungen von einem Meister der Schilderung. Uns persönlich sagt die
Anwendung des ganz unverfälschten Moseldialekts nicht zu, wir halten eine
Abtönung, wodurch dann der Abstand von der Sprache der Erzählung zugleich
gemindert wird, für ästhetisch richtiger. Wer sich aber hier dem Standpunkte
der Allermodernsten anbequemen mag, der muß sagen: Ausgezeichnet! Alles
leibt und lebt vor uns. Da ist zuerst der wilde, aber gutherzige Försterssohu,
der Liebling seiner kranken Mutter, die von ihrem Manne mißhandelt wird.
Der Junge dient in Trier, überschreitet einen Sonntagsnrlaub, den er auf
dem Tanzboden mit seiner dort im Dienst stehenden Jugendgespielin verbringt,
und darf zur Strafe dafür nicht nach Hause, als seine Mutter ernstlich er¬
krankt ihn rufen läßt. Endlich kann er gehen, seine Dienstzeit ist um. Er
trifft die Mutter nicht mehr am Leben, und der Vater hat sich ihr kleines
Vermögen verschreiben lassen, auf das der Sohn gehofft hatte. Die Feind¬
schaft zwischen den beiden Männern führt dahin, daß endlich der Sohn den
Bater nachts im Walde erschießt, nachdem er lange mit jenem Mädchen, seiner
"Delila," versteckt die Gegend unsicher gemacht hat. Und als nun das Amt
einen Preis auf seinen Kopf aussetzt, verrät sie ihn an Soldaten feiner frühern
Kompagnie, die die streife haben ausführen müssen- Das ist bloß das
Gerippe einer Erzählung, deren einzelne Vorzüge sich nicht kurz wieder¬
geben lassen. Und sie ist noch nicht einmal die feinste. Dafür möchten wir
den "Osterquell" halten, eine zart und scharf gezeichnete Skizze aus dem
innersten Volksleben, in der sich sehr viel für die dortigen Leute charakte¬
ristisches zusammengefaßt findet. Mann und Frau wollen oben in Vuchholz
bei den Benediktinern Osterwasser schöpfen, sie schleppt sich mit Mühe hinauf
an den Stationsbildern vorbei, und an ihrer Hand hängt ein kranker sechs¬
jähriger Junge. Diesen sollen die Brüder oben behalten, teils weil er unten
stört, wo ein Brüderchen erwartet wird, hoffentlich ein gesünderes! -- teils,
um ihn gesund zu machen, denn sie können es ja. Und oben unter den
Mönchen befindet sich der jüngere, schönere und tingere Bruder des Mannes,
den die Frau lieber geheiratet hätte. Aber es ging uicht, und nun ist der
dort oben geistlicher Herr, schon sieben Jahre lang. Meisterhaft ist nun ge¬
schildert, wie die Bauersleute anklopfen, endlich den Bruder finden, ihn mit
der ganzen Ehrfurcht behandeln, die seiner Stellung zukommt -- trotz der
mehr als intimen Vergangenheit! --, wie nun der Mönch das Kind in Em¬
pfang nimmt, und wie er am Ostermorgen nach der Prozession die Verwandten
entläßt, das blöd grinsende Jusevpchen auf den Armen. "Katrein, sagt er zu
der Schwägerin, geh heim in Frieden. Gesegnet seist du, und wenn du ein
gesundes Kind hast, dann freue dich und preise den Anferstandnen. Wir beide,


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dann noch entschädigen könnte, der sich aber durch künstliches Deutsch allein
nicht erreichen läßt.

Kinder der Eifel von C. Viebig (Berlin, Fontane u. Comp.) ist
ebenfalls nicht ein einziger Roman, sondern es sind sieben längere und kürzere
Erzählungen von einem Meister der Schilderung. Uns persönlich sagt die
Anwendung des ganz unverfälschten Moseldialekts nicht zu, wir halten eine
Abtönung, wodurch dann der Abstand von der Sprache der Erzählung zugleich
gemindert wird, für ästhetisch richtiger. Wer sich aber hier dem Standpunkte
der Allermodernsten anbequemen mag, der muß sagen: Ausgezeichnet! Alles
leibt und lebt vor uns. Da ist zuerst der wilde, aber gutherzige Försterssohu,
der Liebling seiner kranken Mutter, die von ihrem Manne mißhandelt wird.
Der Junge dient in Trier, überschreitet einen Sonntagsnrlaub, den er auf
dem Tanzboden mit seiner dort im Dienst stehenden Jugendgespielin verbringt,
und darf zur Strafe dafür nicht nach Hause, als seine Mutter ernstlich er¬
krankt ihn rufen läßt. Endlich kann er gehen, seine Dienstzeit ist um. Er
trifft die Mutter nicht mehr am Leben, und der Vater hat sich ihr kleines
Vermögen verschreiben lassen, auf das der Sohn gehofft hatte. Die Feind¬
schaft zwischen den beiden Männern führt dahin, daß endlich der Sohn den
Bater nachts im Walde erschießt, nachdem er lange mit jenem Mädchen, seiner
„Delila," versteckt die Gegend unsicher gemacht hat. Und als nun das Amt
einen Preis auf seinen Kopf aussetzt, verrät sie ihn an Soldaten feiner frühern
Kompagnie, die die streife haben ausführen müssen- Das ist bloß das
Gerippe einer Erzählung, deren einzelne Vorzüge sich nicht kurz wieder¬
geben lassen. Und sie ist noch nicht einmal die feinste. Dafür möchten wir
den „Osterquell" halten, eine zart und scharf gezeichnete Skizze aus dem
innersten Volksleben, in der sich sehr viel für die dortigen Leute charakte¬
ristisches zusammengefaßt findet. Mann und Frau wollen oben in Vuchholz
bei den Benediktinern Osterwasser schöpfen, sie schleppt sich mit Mühe hinauf
an den Stationsbildern vorbei, und an ihrer Hand hängt ein kranker sechs¬
jähriger Junge. Diesen sollen die Brüder oben behalten, teils weil er unten
stört, wo ein Brüderchen erwartet wird, hoffentlich ein gesünderes! — teils,
um ihn gesund zu machen, denn sie können es ja. Und oben unter den
Mönchen befindet sich der jüngere, schönere und tingere Bruder des Mannes,
den die Frau lieber geheiratet hätte. Aber es ging uicht, und nun ist der
dort oben geistlicher Herr, schon sieben Jahre lang. Meisterhaft ist nun ge¬
schildert, wie die Bauersleute anklopfen, endlich den Bruder finden, ihn mit
der ganzen Ehrfurcht behandeln, die seiner Stellung zukommt — trotz der
mehr als intimen Vergangenheit! —, wie nun der Mönch das Kind in Em¬
pfang nimmt, und wie er am Ostermorgen nach der Prozession die Verwandten
entläßt, das blöd grinsende Jusevpchen auf den Armen. „Katrein, sagt er zu
der Schwägerin, geh heim in Frieden. Gesegnet seist du, und wenn du ein
gesundes Kind hast, dann freue dich und preise den Anferstandnen. Wir beide,


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[0498] Neue Romane dann noch entschädigen könnte, der sich aber durch künstliches Deutsch allein nicht erreichen läßt. Kinder der Eifel von C. Viebig (Berlin, Fontane u. Comp.) ist ebenfalls nicht ein einziger Roman, sondern es sind sieben längere und kürzere Erzählungen von einem Meister der Schilderung. Uns persönlich sagt die Anwendung des ganz unverfälschten Moseldialekts nicht zu, wir halten eine Abtönung, wodurch dann der Abstand von der Sprache der Erzählung zugleich gemindert wird, für ästhetisch richtiger. Wer sich aber hier dem Standpunkte der Allermodernsten anbequemen mag, der muß sagen: Ausgezeichnet! Alles leibt und lebt vor uns. Da ist zuerst der wilde, aber gutherzige Försterssohu, der Liebling seiner kranken Mutter, die von ihrem Manne mißhandelt wird. Der Junge dient in Trier, überschreitet einen Sonntagsnrlaub, den er auf dem Tanzboden mit seiner dort im Dienst stehenden Jugendgespielin verbringt, und darf zur Strafe dafür nicht nach Hause, als seine Mutter ernstlich er¬ krankt ihn rufen läßt. Endlich kann er gehen, seine Dienstzeit ist um. Er trifft die Mutter nicht mehr am Leben, und der Vater hat sich ihr kleines Vermögen verschreiben lassen, auf das der Sohn gehofft hatte. Die Feind¬ schaft zwischen den beiden Männern führt dahin, daß endlich der Sohn den Bater nachts im Walde erschießt, nachdem er lange mit jenem Mädchen, seiner „Delila," versteckt die Gegend unsicher gemacht hat. Und als nun das Amt einen Preis auf seinen Kopf aussetzt, verrät sie ihn an Soldaten feiner frühern Kompagnie, die die streife haben ausführen müssen- Das ist bloß das Gerippe einer Erzählung, deren einzelne Vorzüge sich nicht kurz wieder¬ geben lassen. Und sie ist noch nicht einmal die feinste. Dafür möchten wir den „Osterquell" halten, eine zart und scharf gezeichnete Skizze aus dem innersten Volksleben, in der sich sehr viel für die dortigen Leute charakte¬ ristisches zusammengefaßt findet. Mann und Frau wollen oben in Vuchholz bei den Benediktinern Osterwasser schöpfen, sie schleppt sich mit Mühe hinauf an den Stationsbildern vorbei, und an ihrer Hand hängt ein kranker sechs¬ jähriger Junge. Diesen sollen die Brüder oben behalten, teils weil er unten stört, wo ein Brüderchen erwartet wird, hoffentlich ein gesünderes! — teils, um ihn gesund zu machen, denn sie können es ja. Und oben unter den Mönchen befindet sich der jüngere, schönere und tingere Bruder des Mannes, den die Frau lieber geheiratet hätte. Aber es ging uicht, und nun ist der dort oben geistlicher Herr, schon sieben Jahre lang. Meisterhaft ist nun ge¬ schildert, wie die Bauersleute anklopfen, endlich den Bruder finden, ihn mit der ganzen Ehrfurcht behandeln, die seiner Stellung zukommt — trotz der mehr als intimen Vergangenheit! —, wie nun der Mönch das Kind in Em¬ pfang nimmt, und wie er am Ostermorgen nach der Prozession die Verwandten entläßt, das blöd grinsende Jusevpchen auf den Armen. „Katrein, sagt er zu der Schwägerin, geh heim in Frieden. Gesegnet seist du, und wenn du ein gesundes Kind hast, dann freue dich und preise den Anferstandnen. Wir beide,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/498>, abgerufen am 26.06.2024.