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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Neue Romane

Koburger Land, sodann den allgemeinen geschichtlichen Hintergrund des dreißig¬
jährigen Krieges, dessen einzelne Ereignisse aber nnr selten ganz in den Vorder¬
grund treten. Bisweilen werden thüringische Fürsten genannt, auch adliche
Herren kommen mit vor, aber die handelnden Personen, die uns ausführlich
geschildert werden, sind bürgerliche, zum Teil recht bescheidne Leute, zwischen
denen unser Held sein junges Dasein verbringt, erst auf der Schule in Koburg,
dann in Jena auf der Universität, nachher als Informator und endlich als
Bräutigam in Heldburg; nach der Hochzeit thun wir nur noch einen kurzen
Blick in das eben bezogne Haus der ersten Pfarrstelle, wo das Ganze mit
einem sehr rührenden Vorgange schließt. Der Schulmeisterssohn Martin
Bötzinger hatte nämlich einst einen Spielkameraden, dessen Mutter bei den
Dvrfleuten im Geruch stand, eine Hexe zu sein. Sie war mit auf die Anzeige
der Schulmeistersleute hin dem Konsistorium überliefert und dann auf dem
Markt von Koburg verbrannt worden; der kleine Martin hatte samt seinein
Vater dem letzten traurigen Akte zugesehen. Sein Kamerad; der Haus, auf
den man gleichfalls als auf einen Hexensohn gefahndet hatte, war den Häschern
entflohen. Nach einigen Jahren taucht er wieder auf als Roßkuecht, baun als
Stallmeister des Herzogs, als Straßenräuber oder als Landsknechtsührer, und
immer kreuzt er Martins Wege, setzt ihn in tätlichen Schrecken, spielt mit dem
in seine Hand gegebnen Leben des Freundes, ohne ihm doch ernstlich etwas
zu Leide zu thun. Unter diesem Drucke steht Martins Leben, der wie ein
andrer Simplicius die einzelnen Stationen mit Kümmernis zurücklegt. Sogar
in der Liebe ist der wilde Hans sein Gegner infolge eines seltsame" Mi߬
verständnisses. Martin und seine Erwählte, die Tochter eines Heldburger
Natsschöffen, quälen sich jahrelang in Eifersucht, weil er denkt, sie liebe den
Hans, und sie meint, er sei der Braut des Hans zugethan, einem adlichen
Fräulein, das auch Martin kennen gelernt hat. Die Entwirrung dieser Jrrsal
ist das äußere Ziel der Erzählung. Daß dann Hans als eben verehelichter
Mansfeldischer Rittmeister an einer Wunde in Martins Pfarrhaus stirbt, be¬
siegelt die Versöhnung der getrennten Freunde. Aber Martin hat längst ein¬
gesehen, daß das Recht nicht allein ans der Seite war, wo er selbst gestanden
hat, daß von Aberglauben und Fanatismus die Evangelischen ihr bedeutendes
Teil haben, gegen das er sich nun auflehnt, und das er im innern Kampfe
allmählich überwindet, und dieses ist der tiefer liegende Zweck des Buches,
das uns eine zusammenhängende innere Weltanschauung giebt. Der Verfasser
bedient sich dabei teils der handelnden Personen, teils tritt er mit seinen Be¬
trachtungen selbst hervor, oder er läßt sie wie im Märchen die Blumen und
Vogel verkünden, manchmal in Versen, die dann recht hübsch sind, z. B. das
Lied der heimgekehrten Schwalbe.


Neue Romane

Koburger Land, sodann den allgemeinen geschichtlichen Hintergrund des dreißig¬
jährigen Krieges, dessen einzelne Ereignisse aber nnr selten ganz in den Vorder¬
grund treten. Bisweilen werden thüringische Fürsten genannt, auch adliche
Herren kommen mit vor, aber die handelnden Personen, die uns ausführlich
geschildert werden, sind bürgerliche, zum Teil recht bescheidne Leute, zwischen
denen unser Held sein junges Dasein verbringt, erst auf der Schule in Koburg,
dann in Jena auf der Universität, nachher als Informator und endlich als
Bräutigam in Heldburg; nach der Hochzeit thun wir nur noch einen kurzen
Blick in das eben bezogne Haus der ersten Pfarrstelle, wo das Ganze mit
einem sehr rührenden Vorgange schließt. Der Schulmeisterssohn Martin
Bötzinger hatte nämlich einst einen Spielkameraden, dessen Mutter bei den
Dvrfleuten im Geruch stand, eine Hexe zu sein. Sie war mit auf die Anzeige
der Schulmeistersleute hin dem Konsistorium überliefert und dann auf dem
Markt von Koburg verbrannt worden; der kleine Martin hatte samt seinein
Vater dem letzten traurigen Akte zugesehen. Sein Kamerad; der Haus, auf
den man gleichfalls als auf einen Hexensohn gefahndet hatte, war den Häschern
entflohen. Nach einigen Jahren taucht er wieder auf als Roßkuecht, baun als
Stallmeister des Herzogs, als Straßenräuber oder als Landsknechtsührer, und
immer kreuzt er Martins Wege, setzt ihn in tätlichen Schrecken, spielt mit dem
in seine Hand gegebnen Leben des Freundes, ohne ihm doch ernstlich etwas
zu Leide zu thun. Unter diesem Drucke steht Martins Leben, der wie ein
andrer Simplicius die einzelnen Stationen mit Kümmernis zurücklegt. Sogar
in der Liebe ist der wilde Hans sein Gegner infolge eines seltsame» Mi߬
verständnisses. Martin und seine Erwählte, die Tochter eines Heldburger
Natsschöffen, quälen sich jahrelang in Eifersucht, weil er denkt, sie liebe den
Hans, und sie meint, er sei der Braut des Hans zugethan, einem adlichen
Fräulein, das auch Martin kennen gelernt hat. Die Entwirrung dieser Jrrsal
ist das äußere Ziel der Erzählung. Daß dann Hans als eben verehelichter
Mansfeldischer Rittmeister an einer Wunde in Martins Pfarrhaus stirbt, be¬
siegelt die Versöhnung der getrennten Freunde. Aber Martin hat längst ein¬
gesehen, daß das Recht nicht allein ans der Seite war, wo er selbst gestanden
hat, daß von Aberglauben und Fanatismus die Evangelischen ihr bedeutendes
Teil haben, gegen das er sich nun auflehnt, und das er im innern Kampfe
allmählich überwindet, und dieses ist der tiefer liegende Zweck des Buches,
das uns eine zusammenhängende innere Weltanschauung giebt. Der Verfasser
bedient sich dabei teils der handelnden Personen, teils tritt er mit seinen Be¬
trachtungen selbst hervor, oder er läßt sie wie im Märchen die Blumen und
Vogel verkünden, manchmal in Versen, die dann recht hübsch sind, z. B. das
Lied der heimgekehrten Schwalbe.


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[0495] Neue Romane Koburger Land, sodann den allgemeinen geschichtlichen Hintergrund des dreißig¬ jährigen Krieges, dessen einzelne Ereignisse aber nnr selten ganz in den Vorder¬ grund treten. Bisweilen werden thüringische Fürsten genannt, auch adliche Herren kommen mit vor, aber die handelnden Personen, die uns ausführlich geschildert werden, sind bürgerliche, zum Teil recht bescheidne Leute, zwischen denen unser Held sein junges Dasein verbringt, erst auf der Schule in Koburg, dann in Jena auf der Universität, nachher als Informator und endlich als Bräutigam in Heldburg; nach der Hochzeit thun wir nur noch einen kurzen Blick in das eben bezogne Haus der ersten Pfarrstelle, wo das Ganze mit einem sehr rührenden Vorgange schließt. Der Schulmeisterssohn Martin Bötzinger hatte nämlich einst einen Spielkameraden, dessen Mutter bei den Dvrfleuten im Geruch stand, eine Hexe zu sein. Sie war mit auf die Anzeige der Schulmeistersleute hin dem Konsistorium überliefert und dann auf dem Markt von Koburg verbrannt worden; der kleine Martin hatte samt seinein Vater dem letzten traurigen Akte zugesehen. Sein Kamerad; der Haus, auf den man gleichfalls als auf einen Hexensohn gefahndet hatte, war den Häschern entflohen. Nach einigen Jahren taucht er wieder auf als Roßkuecht, baun als Stallmeister des Herzogs, als Straßenräuber oder als Landsknechtsührer, und immer kreuzt er Martins Wege, setzt ihn in tätlichen Schrecken, spielt mit dem in seine Hand gegebnen Leben des Freundes, ohne ihm doch ernstlich etwas zu Leide zu thun. Unter diesem Drucke steht Martins Leben, der wie ein andrer Simplicius die einzelnen Stationen mit Kümmernis zurücklegt. Sogar in der Liebe ist der wilde Hans sein Gegner infolge eines seltsame» Mi߬ verständnisses. Martin und seine Erwählte, die Tochter eines Heldburger Natsschöffen, quälen sich jahrelang in Eifersucht, weil er denkt, sie liebe den Hans, und sie meint, er sei der Braut des Hans zugethan, einem adlichen Fräulein, das auch Martin kennen gelernt hat. Die Entwirrung dieser Jrrsal ist das äußere Ziel der Erzählung. Daß dann Hans als eben verehelichter Mansfeldischer Rittmeister an einer Wunde in Martins Pfarrhaus stirbt, be¬ siegelt die Versöhnung der getrennten Freunde. Aber Martin hat längst ein¬ gesehen, daß das Recht nicht allein ans der Seite war, wo er selbst gestanden hat, daß von Aberglauben und Fanatismus die Evangelischen ihr bedeutendes Teil haben, gegen das er sich nun auflehnt, und das er im innern Kampfe allmählich überwindet, und dieses ist der tiefer liegende Zweck des Buches, das uns eine zusammenhängende innere Weltanschauung giebt. Der Verfasser bedient sich dabei teils der handelnden Personen, teils tritt er mit seinen Be¬ trachtungen selbst hervor, oder er läßt sie wie im Märchen die Blumen und Vogel verkünden, manchmal in Versen, die dann recht hübsch sind, z. B. das Lied der heimgekehrten Schwalbe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/495>, abgerufen am 26.06.2024.