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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Anthropologische Fragen

Punkt aus, leidlich zufrieden sein. Wir Deutschen sind keine reinen Germanen
mehr, aber wir zählen genug Männer unter uns, die an Körperkraft und
Größe den alten Germanen nicht viel nachstehen mögen, und wir zählen viele
andre, die durch den Reichtum ihres geistigen Lebens mehr als aufwiegen,
was ihnen an leiblichen Vorzügen abgehen mag. Die einseitige Begabung
der Germanen mußte sich teils mit Begabungen andrer Art mischen, teils
ihnen weichen, wenn eine höhere Kultur neuer Art entstehen sollte. Finden
wir aber Volksschichten unter uns, die unter der Einwirkung ungünstiger
Lebensbedingungen eutcirtet sind, so läßt sich durch Änderung der Lebens-
bedingungen der Entartung steuern. Und dann: es giebt keine reinen Urrassen
in dem Sinne, daß alle spätern Bildungen mit der Bezeichnung unrein als
etwas schlechteres einer gewissen Mißachtung preisgegeben werden dürften.
Indem man die extreme Form für die wahre und reine hält, ist man bei den
Negern dahin gekommen, daß das Gebiet der "echten" Neger zu einem kleinen
Winkel Jnnerafrikas zusammenschrumpft (Ratzel II, 1). Überhaupt zeigt die
Ethnologie der Neger, diese immerwährende Zersetzung und Neubildung von
Völkern recht deutlich, wie alles fließt im Völkerleben. Der mittelgroße, wei߬
häutige, brauuhaarige Mann des mittlern Europa kann, gleichviel ob er einen
länglichen oder einen runden Schädel hat, so gut als ein reiner Rassentypus
bezeichnet werden wie der schwarzhaarige Italiener oder der blonde Norweger.
Die Darwinianer behaupten, es gäbe keine festen Tier- und Pflanzengattungen.
Wir behaupten, daß es solche gebe, wenn sie auch nicht geschaffen, sondern auf
den beschriebnen Wegen geworden sein sollten. Dagegen behaupten wir, daß
es keine festen Menschenrassen gebe, eben weil sie keine Gattungen, sondern
nur Arten derselben Gattung sind. Nie kann aus einem Affen ein Mensch,
aus einem Menschen ein andres Wesen werden, wohl aber können im Laufe
der Jahrtausende durch Verpflanzung in andre Länder aus Kankasiern Neger,
aus Negern Kaukasier werden; innerhalb der Merkmale der Gattung Mensch
ist die von den Darwinianern behauptete unbegrenzte Veränderlichkeit an¬
zuerkennen.

Alle Versuche, ein zukünftiges Ziel der Entwicklung zu konstruiren, führen
zu Ungereimtheiten.*) Vervollkommnung des Menschenleibes über das Ideal
der griechisch-römischen Plastik hinaus**) ist undenkbar, und was das Geistige




Eil? Ende wird die Entwicklung natürlich haben, mit dem Untergange der Organismen
durch Erstarrung oder Verbrennung der Erde, aber nur ein diabolischer Pessimismus könnte
in diesem Ende das Endziel und den Endzweck sehen.
Oder vielmehr über die Ideale, denn der Apollo vom Velvederc, der Borghesische
Fechter und der Fnruesische Herkules, dazu die typischen Frauen-, Jünglings- und Kunbcn-
gestnlten sind jedes ein besondres Ideal. Die seelischen und Charakterideale sind noch weit
zahlreicher. Einen alles Ideale vereinigenden Idealmenschen kann es nicht geben; nur in einer
Fülle von Gestalten kann sich das eine göttlich Nollkommne irdisch verwirklichen.
Anthropologische Fragen

Punkt aus, leidlich zufrieden sein. Wir Deutschen sind keine reinen Germanen
mehr, aber wir zählen genug Männer unter uns, die an Körperkraft und
Größe den alten Germanen nicht viel nachstehen mögen, und wir zählen viele
andre, die durch den Reichtum ihres geistigen Lebens mehr als aufwiegen,
was ihnen an leiblichen Vorzügen abgehen mag. Die einseitige Begabung
der Germanen mußte sich teils mit Begabungen andrer Art mischen, teils
ihnen weichen, wenn eine höhere Kultur neuer Art entstehen sollte. Finden
wir aber Volksschichten unter uns, die unter der Einwirkung ungünstiger
Lebensbedingungen eutcirtet sind, so läßt sich durch Änderung der Lebens-
bedingungen der Entartung steuern. Und dann: es giebt keine reinen Urrassen
in dem Sinne, daß alle spätern Bildungen mit der Bezeichnung unrein als
etwas schlechteres einer gewissen Mißachtung preisgegeben werden dürften.
Indem man die extreme Form für die wahre und reine hält, ist man bei den
Negern dahin gekommen, daß das Gebiet der „echten" Neger zu einem kleinen
Winkel Jnnerafrikas zusammenschrumpft (Ratzel II, 1). Überhaupt zeigt die
Ethnologie der Neger, diese immerwährende Zersetzung und Neubildung von
Völkern recht deutlich, wie alles fließt im Völkerleben. Der mittelgroße, wei߬
häutige, brauuhaarige Mann des mittlern Europa kann, gleichviel ob er einen
länglichen oder einen runden Schädel hat, so gut als ein reiner Rassentypus
bezeichnet werden wie der schwarzhaarige Italiener oder der blonde Norweger.
Die Darwinianer behaupten, es gäbe keine festen Tier- und Pflanzengattungen.
Wir behaupten, daß es solche gebe, wenn sie auch nicht geschaffen, sondern auf
den beschriebnen Wegen geworden sein sollten. Dagegen behaupten wir, daß
es keine festen Menschenrassen gebe, eben weil sie keine Gattungen, sondern
nur Arten derselben Gattung sind. Nie kann aus einem Affen ein Mensch,
aus einem Menschen ein andres Wesen werden, wohl aber können im Laufe
der Jahrtausende durch Verpflanzung in andre Länder aus Kankasiern Neger,
aus Negern Kaukasier werden; innerhalb der Merkmale der Gattung Mensch
ist die von den Darwinianern behauptete unbegrenzte Veränderlichkeit an¬
zuerkennen.

Alle Versuche, ein zukünftiges Ziel der Entwicklung zu konstruiren, führen
zu Ungereimtheiten.*) Vervollkommnung des Menschenleibes über das Ideal
der griechisch-römischen Plastik hinaus**) ist undenkbar, und was das Geistige




Eil? Ende wird die Entwicklung natürlich haben, mit dem Untergange der Organismen
durch Erstarrung oder Verbrennung der Erde, aber nur ein diabolischer Pessimismus könnte
in diesem Ende das Endziel und den Endzweck sehen.
Oder vielmehr über die Ideale, denn der Apollo vom Velvederc, der Borghesische
Fechter und der Fnruesische Herkules, dazu die typischen Frauen-, Jünglings- und Kunbcn-
gestnlten sind jedes ein besondres Ideal. Die seelischen und Charakterideale sind noch weit
zahlreicher. Einen alles Ideale vereinigenden Idealmenschen kann es nicht geben; nur in einer
Fülle von Gestalten kann sich das eine göttlich Nollkommne irdisch verwirklichen.
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[0490] Anthropologische Fragen Punkt aus, leidlich zufrieden sein. Wir Deutschen sind keine reinen Germanen mehr, aber wir zählen genug Männer unter uns, die an Körperkraft und Größe den alten Germanen nicht viel nachstehen mögen, und wir zählen viele andre, die durch den Reichtum ihres geistigen Lebens mehr als aufwiegen, was ihnen an leiblichen Vorzügen abgehen mag. Die einseitige Begabung der Germanen mußte sich teils mit Begabungen andrer Art mischen, teils ihnen weichen, wenn eine höhere Kultur neuer Art entstehen sollte. Finden wir aber Volksschichten unter uns, die unter der Einwirkung ungünstiger Lebensbedingungen eutcirtet sind, so läßt sich durch Änderung der Lebens- bedingungen der Entartung steuern. Und dann: es giebt keine reinen Urrassen in dem Sinne, daß alle spätern Bildungen mit der Bezeichnung unrein als etwas schlechteres einer gewissen Mißachtung preisgegeben werden dürften. Indem man die extreme Form für die wahre und reine hält, ist man bei den Negern dahin gekommen, daß das Gebiet der „echten" Neger zu einem kleinen Winkel Jnnerafrikas zusammenschrumpft (Ratzel II, 1). Überhaupt zeigt die Ethnologie der Neger, diese immerwährende Zersetzung und Neubildung von Völkern recht deutlich, wie alles fließt im Völkerleben. Der mittelgroße, wei߬ häutige, brauuhaarige Mann des mittlern Europa kann, gleichviel ob er einen länglichen oder einen runden Schädel hat, so gut als ein reiner Rassentypus bezeichnet werden wie der schwarzhaarige Italiener oder der blonde Norweger. Die Darwinianer behaupten, es gäbe keine festen Tier- und Pflanzengattungen. Wir behaupten, daß es solche gebe, wenn sie auch nicht geschaffen, sondern auf den beschriebnen Wegen geworden sein sollten. Dagegen behaupten wir, daß es keine festen Menschenrassen gebe, eben weil sie keine Gattungen, sondern nur Arten derselben Gattung sind. Nie kann aus einem Affen ein Mensch, aus einem Menschen ein andres Wesen werden, wohl aber können im Laufe der Jahrtausende durch Verpflanzung in andre Länder aus Kankasiern Neger, aus Negern Kaukasier werden; innerhalb der Merkmale der Gattung Mensch ist die von den Darwinianern behauptete unbegrenzte Veränderlichkeit an¬ zuerkennen. Alle Versuche, ein zukünftiges Ziel der Entwicklung zu konstruiren, führen zu Ungereimtheiten.*) Vervollkommnung des Menschenleibes über das Ideal der griechisch-römischen Plastik hinaus**) ist undenkbar, und was das Geistige Eil? Ende wird die Entwicklung natürlich haben, mit dem Untergange der Organismen durch Erstarrung oder Verbrennung der Erde, aber nur ein diabolischer Pessimismus könnte in diesem Ende das Endziel und den Endzweck sehen. Oder vielmehr über die Ideale, denn der Apollo vom Velvederc, der Borghesische Fechter und der Fnruesische Herkules, dazu die typischen Frauen-, Jünglings- und Kunbcn- gestnlten sind jedes ein besondres Ideal. Die seelischen und Charakterideale sind noch weit zahlreicher. Einen alles Ideale vereinigenden Idealmenschen kann es nicht geben; nur in einer Fülle von Gestalten kann sich das eine göttlich Nollkommne irdisch verwirklichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/490>, abgerufen am 26.06.2024.