Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Anthropologische Fragen

gattnng aus einer niedern hervorgehen könne, abgesehen ferner davon, daß das
miWinZ' linke noch nicht gefunden ist, und daß ein Glied überhaupt nicht hin¬
reichen würde, eine ununterbrochne Stufenfolge herzustellen, abgesehen von
alledem find die anthropoiden Affen, die wir als unsre Vettern ansehen sollen,
alles andre, nur nicht im anatomischen Sinne menschenähnlich. Der wichtigste
Teil des Skeletts, der Kopf, ist an einem Orang Utcing nicht menschenähn¬
licher als an einem Nilpferde (wir haben die Zeichnungen von Reelams "Leib
des Menschen" vor uus) und der Schädel eiues Australiers läßt sich noch
ebenso deutlich wie der eines Kaukasiers vom Affenschädel unterscheiden.
Nebenbei bemerkt, sieht man erst bei der Betrachtung der Schädel der ver-
schiednen Rassen, der Blödsinnigen und der Affen, wie bedeutungslos für das
Geistesleben der Index ist, den Ammon zum Angelpunkte der Anthropologie
machen möchte. Was den Kopf des Affen vom Menschen unterscheidet, und
was den des Negers, noch mehr den des Cretins und des Mikrozephalen
einigermaßen tierähnlich macht, das ist keineswegs ein großer Index; im
Gegenteil zeigen die Mikrozephalenschädel sowie die Affenschädel eine längliche
Form, und uuter den schwarzen und braunen Menschen giebt es, wie schon
erwähnt wurde, zahlreiche dolichozcphale Stämme. Was den Affenkopf auf
den ersten Blick vom Menschenkopf unterscheidet, und was den Köpfen mancher
farbigen Menschen und der Idioten etwas Affenähnliches giebt, das ist die
Prognathie, die starke Entwicklung der weit vorstehenden Kauwerkzeuge bei
kleinem Schädel. Deshalb ist für die Höhe des Geisteslebens außer der Größe
des Schädels, die allerdings, wie wir gesehen haben, für sich allem auch noch
kein sicheres Kennzeichen ist, der Gesichtswinkel das entscheidende, der beim
Tiere spitz ist, während er sich beim Menschen dem rechten nähert. Bekannt¬
lich haben die Ästhetiker schon zu einer Zeit, wo die Anthropologie noch in
den Windeln lag, die Entdeckung gemacht, daß die griechischen Künstler in dem
Bestreben, das höchste menschliche Schönheitsideal zu verwirklichen, nicht bloß
den rechten Winkel gewählt haben, sondern vereinzelt sogar zum stumpfen über¬
gegangen sind. Sollen nun über die Entstehung des Menschen, von der wir
nichts wissen, Vermutungen aufgestellt werden, so müssen sie sich, um einiger¬
maßen glaublich zu erscheinen, innerhalb zweier Grenzen bewegen. Einerseits
kann man einen rein mechanischen Prozeß, mag er als Selektionsprozeß oder
sonst wie gedacht werden, nicht als zureichenden Erklärungsgrund gelten lassen;
denn mehr als auf jeder frühern Entwicklungsstufe gilt hier der Satz: aus
nichts wird nichts; wäre der Geist nicht schon vorher vorhanden gewesen, so
hätte er nicht im Menschen erscheinen können. Geist aber zeigen alle Natnr-



Mit tiernhnlich meinen wir weiter nichts als das teilweise Fehlen des eigentümlich
Menschlichen, Bloß naturgeschichtlich betrachtet, der Organisation und dem Lebensprozeß seines
Leibes nach ist der Mensch nicht bloß tierähnlich, sondern einfach ein Tier.
Anthropologische Fragen

gattnng aus einer niedern hervorgehen könne, abgesehen ferner davon, daß das
miWinZ' linke noch nicht gefunden ist, und daß ein Glied überhaupt nicht hin¬
reichen würde, eine ununterbrochne Stufenfolge herzustellen, abgesehen von
alledem find die anthropoiden Affen, die wir als unsre Vettern ansehen sollen,
alles andre, nur nicht im anatomischen Sinne menschenähnlich. Der wichtigste
Teil des Skeletts, der Kopf, ist an einem Orang Utcing nicht menschenähn¬
licher als an einem Nilpferde (wir haben die Zeichnungen von Reelams „Leib
des Menschen" vor uus) und der Schädel eiues Australiers läßt sich noch
ebenso deutlich wie der eines Kaukasiers vom Affenschädel unterscheiden.
Nebenbei bemerkt, sieht man erst bei der Betrachtung der Schädel der ver-
schiednen Rassen, der Blödsinnigen und der Affen, wie bedeutungslos für das
Geistesleben der Index ist, den Ammon zum Angelpunkte der Anthropologie
machen möchte. Was den Kopf des Affen vom Menschen unterscheidet, und
was den des Negers, noch mehr den des Cretins und des Mikrozephalen
einigermaßen tierähnlich macht, das ist keineswegs ein großer Index; im
Gegenteil zeigen die Mikrozephalenschädel sowie die Affenschädel eine längliche
Form, und uuter den schwarzen und braunen Menschen giebt es, wie schon
erwähnt wurde, zahlreiche dolichozcphale Stämme. Was den Affenkopf auf
den ersten Blick vom Menschenkopf unterscheidet, und was den Köpfen mancher
farbigen Menschen und der Idioten etwas Affenähnliches giebt, das ist die
Prognathie, die starke Entwicklung der weit vorstehenden Kauwerkzeuge bei
kleinem Schädel. Deshalb ist für die Höhe des Geisteslebens außer der Größe
des Schädels, die allerdings, wie wir gesehen haben, für sich allem auch noch
kein sicheres Kennzeichen ist, der Gesichtswinkel das entscheidende, der beim
Tiere spitz ist, während er sich beim Menschen dem rechten nähert. Bekannt¬
lich haben die Ästhetiker schon zu einer Zeit, wo die Anthropologie noch in
den Windeln lag, die Entdeckung gemacht, daß die griechischen Künstler in dem
Bestreben, das höchste menschliche Schönheitsideal zu verwirklichen, nicht bloß
den rechten Winkel gewählt haben, sondern vereinzelt sogar zum stumpfen über¬
gegangen sind. Sollen nun über die Entstehung des Menschen, von der wir
nichts wissen, Vermutungen aufgestellt werden, so müssen sie sich, um einiger¬
maßen glaublich zu erscheinen, innerhalb zweier Grenzen bewegen. Einerseits
kann man einen rein mechanischen Prozeß, mag er als Selektionsprozeß oder
sonst wie gedacht werden, nicht als zureichenden Erklärungsgrund gelten lassen;
denn mehr als auf jeder frühern Entwicklungsstufe gilt hier der Satz: aus
nichts wird nichts; wäre der Geist nicht schon vorher vorhanden gewesen, so
hätte er nicht im Menschen erscheinen können. Geist aber zeigen alle Natnr-



Mit tiernhnlich meinen wir weiter nichts als das teilweise Fehlen des eigentümlich
Menschlichen, Bloß naturgeschichtlich betrachtet, der Organisation und dem Lebensprozeß seines
Leibes nach ist der Mensch nicht bloß tierähnlich, sondern einfach ein Tier.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0481" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226711"/>
          <fw type="header" place="top"> Anthropologische Fragen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1187" prev="#ID_1186" next="#ID_1188"> gattnng aus einer niedern hervorgehen könne, abgesehen ferner davon, daß das<lb/>
miWinZ' linke noch nicht gefunden ist, und daß ein Glied überhaupt nicht hin¬<lb/>
reichen würde, eine ununterbrochne Stufenfolge herzustellen, abgesehen von<lb/>
alledem find die anthropoiden Affen, die wir als unsre Vettern ansehen sollen,<lb/>
alles andre, nur nicht im anatomischen Sinne menschenähnlich. Der wichtigste<lb/>
Teil des Skeletts, der Kopf, ist an einem Orang Utcing nicht menschenähn¬<lb/>
licher als an einem Nilpferde (wir haben die Zeichnungen von Reelams &#x201E;Leib<lb/>
des Menschen" vor uus) und der Schädel eiues Australiers läßt sich noch<lb/>
ebenso deutlich wie der eines Kaukasiers vom Affenschädel unterscheiden.<lb/>
Nebenbei bemerkt, sieht man erst bei der Betrachtung der Schädel der ver-<lb/>
schiednen Rassen, der Blödsinnigen und der Affen, wie bedeutungslos für das<lb/>
Geistesleben der Index ist, den Ammon zum Angelpunkte der Anthropologie<lb/>
machen möchte.  Was den Kopf des Affen vom Menschen unterscheidet, und<lb/>
was den des Negers, noch mehr den des Cretins und des Mikrozephalen<lb/>
einigermaßen tierähnlich  macht, das ist keineswegs ein großer Index; im<lb/>
Gegenteil zeigen die Mikrozephalenschädel sowie die Affenschädel eine längliche<lb/>
Form, und uuter den schwarzen und braunen Menschen giebt es, wie schon<lb/>
erwähnt wurde, zahlreiche dolichozcphale Stämme.  Was den Affenkopf auf<lb/>
den ersten Blick vom Menschenkopf unterscheidet, und was den Köpfen mancher<lb/>
farbigen Menschen und der Idioten etwas Affenähnliches giebt, das ist die<lb/>
Prognathie, die starke Entwicklung der weit vorstehenden Kauwerkzeuge bei<lb/>
kleinem Schädel. Deshalb ist für die Höhe des Geisteslebens außer der Größe<lb/>
des Schädels, die allerdings, wie wir gesehen haben, für sich allem auch noch<lb/>
kein sicheres Kennzeichen ist, der Gesichtswinkel das entscheidende, der beim<lb/>
Tiere spitz ist, während er sich beim Menschen dem rechten nähert. Bekannt¬<lb/>
lich haben die Ästhetiker schon zu einer Zeit, wo die Anthropologie noch in<lb/>
den Windeln lag, die Entdeckung gemacht, daß die griechischen Künstler in dem<lb/>
Bestreben, das höchste menschliche Schönheitsideal zu verwirklichen, nicht bloß<lb/>
den rechten Winkel gewählt haben, sondern vereinzelt sogar zum stumpfen über¬<lb/>
gegangen sind.  Sollen nun über die Entstehung des Menschen, von der wir<lb/>
nichts wissen, Vermutungen aufgestellt werden, so müssen sie sich, um einiger¬<lb/>
maßen glaublich zu erscheinen, innerhalb zweier Grenzen bewegen. Einerseits<lb/>
kann man einen rein mechanischen Prozeß, mag er als Selektionsprozeß oder<lb/>
sonst wie gedacht werden, nicht als zureichenden Erklärungsgrund gelten lassen;<lb/>
denn mehr als auf jeder frühern Entwicklungsstufe gilt hier der Satz: aus<lb/>
nichts wird nichts; wäre der Geist nicht schon vorher vorhanden gewesen, so<lb/>
hätte er nicht im Menschen erscheinen können.  Geist aber zeigen alle Natnr-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_54" place="foot"> Mit tiernhnlich meinen wir weiter nichts als das teilweise Fehlen des eigentümlich<lb/>
Menschlichen, Bloß naturgeschichtlich betrachtet, der Organisation und dem Lebensprozeß seines<lb/>
Leibes nach ist der Mensch nicht bloß tierähnlich, sondern einfach ein Tier.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0481] Anthropologische Fragen gattnng aus einer niedern hervorgehen könne, abgesehen ferner davon, daß das miWinZ' linke noch nicht gefunden ist, und daß ein Glied überhaupt nicht hin¬ reichen würde, eine ununterbrochne Stufenfolge herzustellen, abgesehen von alledem find die anthropoiden Affen, die wir als unsre Vettern ansehen sollen, alles andre, nur nicht im anatomischen Sinne menschenähnlich. Der wichtigste Teil des Skeletts, der Kopf, ist an einem Orang Utcing nicht menschenähn¬ licher als an einem Nilpferde (wir haben die Zeichnungen von Reelams „Leib des Menschen" vor uus) und der Schädel eiues Australiers läßt sich noch ebenso deutlich wie der eines Kaukasiers vom Affenschädel unterscheiden. Nebenbei bemerkt, sieht man erst bei der Betrachtung der Schädel der ver- schiednen Rassen, der Blödsinnigen und der Affen, wie bedeutungslos für das Geistesleben der Index ist, den Ammon zum Angelpunkte der Anthropologie machen möchte. Was den Kopf des Affen vom Menschen unterscheidet, und was den des Negers, noch mehr den des Cretins und des Mikrozephalen einigermaßen tierähnlich macht, das ist keineswegs ein großer Index; im Gegenteil zeigen die Mikrozephalenschädel sowie die Affenschädel eine längliche Form, und uuter den schwarzen und braunen Menschen giebt es, wie schon erwähnt wurde, zahlreiche dolichozcphale Stämme. Was den Affenkopf auf den ersten Blick vom Menschenkopf unterscheidet, und was den Köpfen mancher farbigen Menschen und der Idioten etwas Affenähnliches giebt, das ist die Prognathie, die starke Entwicklung der weit vorstehenden Kauwerkzeuge bei kleinem Schädel. Deshalb ist für die Höhe des Geisteslebens außer der Größe des Schädels, die allerdings, wie wir gesehen haben, für sich allem auch noch kein sicheres Kennzeichen ist, der Gesichtswinkel das entscheidende, der beim Tiere spitz ist, während er sich beim Menschen dem rechten nähert. Bekannt¬ lich haben die Ästhetiker schon zu einer Zeit, wo die Anthropologie noch in den Windeln lag, die Entdeckung gemacht, daß die griechischen Künstler in dem Bestreben, das höchste menschliche Schönheitsideal zu verwirklichen, nicht bloß den rechten Winkel gewählt haben, sondern vereinzelt sogar zum stumpfen über¬ gegangen sind. Sollen nun über die Entstehung des Menschen, von der wir nichts wissen, Vermutungen aufgestellt werden, so müssen sie sich, um einiger¬ maßen glaublich zu erscheinen, innerhalb zweier Grenzen bewegen. Einerseits kann man einen rein mechanischen Prozeß, mag er als Selektionsprozeß oder sonst wie gedacht werden, nicht als zureichenden Erklärungsgrund gelten lassen; denn mehr als auf jeder frühern Entwicklungsstufe gilt hier der Satz: aus nichts wird nichts; wäre der Geist nicht schon vorher vorhanden gewesen, so hätte er nicht im Menschen erscheinen können. Geist aber zeigen alle Natnr- Mit tiernhnlich meinen wir weiter nichts als das teilweise Fehlen des eigentümlich Menschlichen, Bloß naturgeschichtlich betrachtet, der Organisation und dem Lebensprozeß seines Leibes nach ist der Mensch nicht bloß tierähnlich, sondern einfach ein Tier.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/481
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/481>, abgerufen am 26.06.2024.