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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Anthropologische Fragen

und befestigt sich selbst durch die eindringende Kenntnis, die er davon nimmt.
Wenn auch die Schrift die That nicht bestimmen wird, so feuert sie doch den
Willen zur That an. Die studirende Jugend z. B. wird in der Schrift
Mittelstüdts die edelste Verwahrung gegen politische UnWahrhaftigkeit und
Blasirtheit, worauf sie so oft stößt, entdecken und begrüßen. Der ausgereifte
Mann ist innerlich jung geblieben und hat des Wissens Gut nicht mit dem
Herzen gezahlt; es kann nicht anders sein, als daß sich seine Begeisterung der
Jugend erschließt und mitteilt. Er ist das Gegenteil des Pessimisten, denn
das Bild zwar, das er von unsrer Zukunft entwirft, ist sehr düster, aber er
bekämpft das Wesen gerade derer, die zwischen Selbstüberschätzung und Selbst¬
verzweiflung schwanken, die Kraft zur That verloren haben und andern ver¬
leiden möchten; das, was ihn verbittert, ist die Versumpfung, der Schein, die
Unwahrheit, mit einem Wort der faule Friede, gegen den ihm auch die ge¬
waltsamste und opferreichste Aufraffung, der Krieg, als befreiender Ausweg
erscheint.




Anthropologische Fragen
(Schlich)

le ist der Mensch entstanden? Wie sind die Varietäten des
Menschengeschlechts entstanden, oder vielmehr, da ja die Ver¬
änderung fortgeht, wie entstehen sie? Welches ist das Ziel
dieser Veränderungen? Das sind die drei großen Fragen der
Anthropologie, wenn sie sich nicht darauf beschränken will, eine
beschreibende Wissenschaft zu bleiben. Von Ammons Standpunkt aus würde-,
die drei Fragen lauten: Auf welchem Punkte des Entwicklungsprozesses hat
die natürliche Auslese zum erstenmale einen Menschen hervorgebracht? Wie
erzeugt die Auslese Varietäten? Welchem Ziele strebt die Auslese zu? Und
schon diese Fragestellung macht die UnHaltbarkeit des Standpunkts klar. Die
erste Frage nun kann nicht beantwortet werden. Die Entstehung des Menschen
ist gleich der des Organismus und des tierischen Bewußtseins ein undurch¬
dringliches Geheimnis, und alle Niesenanstrengungen der Wissenschaft haben
das Dunkel, das sie einhüllt, auch nicht mit dein schwächsten Lichtschimmer
zu erhellen vermocht. Die Häckelschen Stammbäume nützen uns nichts. Ab¬
gesehen davon, daß, wie wir früher gesehen haben, seine und die verwandten
Hypothesen überhaupt nicht klar zu machen vermögen, wie eine höhere Tier-


Anthropologische Fragen

und befestigt sich selbst durch die eindringende Kenntnis, die er davon nimmt.
Wenn auch die Schrift die That nicht bestimmen wird, so feuert sie doch den
Willen zur That an. Die studirende Jugend z. B. wird in der Schrift
Mittelstüdts die edelste Verwahrung gegen politische UnWahrhaftigkeit und
Blasirtheit, worauf sie so oft stößt, entdecken und begrüßen. Der ausgereifte
Mann ist innerlich jung geblieben und hat des Wissens Gut nicht mit dem
Herzen gezahlt; es kann nicht anders sein, als daß sich seine Begeisterung der
Jugend erschließt und mitteilt. Er ist das Gegenteil des Pessimisten, denn
das Bild zwar, das er von unsrer Zukunft entwirft, ist sehr düster, aber er
bekämpft das Wesen gerade derer, die zwischen Selbstüberschätzung und Selbst¬
verzweiflung schwanken, die Kraft zur That verloren haben und andern ver¬
leiden möchten; das, was ihn verbittert, ist die Versumpfung, der Schein, die
Unwahrheit, mit einem Wort der faule Friede, gegen den ihm auch die ge¬
waltsamste und opferreichste Aufraffung, der Krieg, als befreiender Ausweg
erscheint.




Anthropologische Fragen
(Schlich)

le ist der Mensch entstanden? Wie sind die Varietäten des
Menschengeschlechts entstanden, oder vielmehr, da ja die Ver¬
änderung fortgeht, wie entstehen sie? Welches ist das Ziel
dieser Veränderungen? Das sind die drei großen Fragen der
Anthropologie, wenn sie sich nicht darauf beschränken will, eine
beschreibende Wissenschaft zu bleiben. Von Ammons Standpunkt aus würde-,
die drei Fragen lauten: Auf welchem Punkte des Entwicklungsprozesses hat
die natürliche Auslese zum erstenmale einen Menschen hervorgebracht? Wie
erzeugt die Auslese Varietäten? Welchem Ziele strebt die Auslese zu? Und
schon diese Fragestellung macht die UnHaltbarkeit des Standpunkts klar. Die
erste Frage nun kann nicht beantwortet werden. Die Entstehung des Menschen
ist gleich der des Organismus und des tierischen Bewußtseins ein undurch¬
dringliches Geheimnis, und alle Niesenanstrengungen der Wissenschaft haben
das Dunkel, das sie einhüllt, auch nicht mit dein schwächsten Lichtschimmer
zu erhellen vermocht. Die Häckelschen Stammbäume nützen uns nichts. Ab¬
gesehen davon, daß, wie wir früher gesehen haben, seine und die verwandten
Hypothesen überhaupt nicht klar zu machen vermögen, wie eine höhere Tier-


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[0480] Anthropologische Fragen und befestigt sich selbst durch die eindringende Kenntnis, die er davon nimmt. Wenn auch die Schrift die That nicht bestimmen wird, so feuert sie doch den Willen zur That an. Die studirende Jugend z. B. wird in der Schrift Mittelstüdts die edelste Verwahrung gegen politische UnWahrhaftigkeit und Blasirtheit, worauf sie so oft stößt, entdecken und begrüßen. Der ausgereifte Mann ist innerlich jung geblieben und hat des Wissens Gut nicht mit dem Herzen gezahlt; es kann nicht anders sein, als daß sich seine Begeisterung der Jugend erschließt und mitteilt. Er ist das Gegenteil des Pessimisten, denn das Bild zwar, das er von unsrer Zukunft entwirft, ist sehr düster, aber er bekämpft das Wesen gerade derer, die zwischen Selbstüberschätzung und Selbst¬ verzweiflung schwanken, die Kraft zur That verloren haben und andern ver¬ leiden möchten; das, was ihn verbittert, ist die Versumpfung, der Schein, die Unwahrheit, mit einem Wort der faule Friede, gegen den ihm auch die ge¬ waltsamste und opferreichste Aufraffung, der Krieg, als befreiender Ausweg erscheint. Anthropologische Fragen (Schlich) le ist der Mensch entstanden? Wie sind die Varietäten des Menschengeschlechts entstanden, oder vielmehr, da ja die Ver¬ änderung fortgeht, wie entstehen sie? Welches ist das Ziel dieser Veränderungen? Das sind die drei großen Fragen der Anthropologie, wenn sie sich nicht darauf beschränken will, eine beschreibende Wissenschaft zu bleiben. Von Ammons Standpunkt aus würde-, die drei Fragen lauten: Auf welchem Punkte des Entwicklungsprozesses hat die natürliche Auslese zum erstenmale einen Menschen hervorgebracht? Wie erzeugt die Auslese Varietäten? Welchem Ziele strebt die Auslese zu? Und schon diese Fragestellung macht die UnHaltbarkeit des Standpunkts klar. Die erste Frage nun kann nicht beantwortet werden. Die Entstehung des Menschen ist gleich der des Organismus und des tierischen Bewußtseins ein undurch¬ dringliches Geheimnis, und alle Niesenanstrengungen der Wissenschaft haben das Dunkel, das sie einhüllt, auch nicht mit dein schwächsten Lichtschimmer zu erhellen vermocht. Die Häckelschen Stammbäume nützen uns nichts. Ab¬ gesehen davon, daß, wie wir früher gesehen haben, seine und die verwandten Hypothesen überhaupt nicht klar zu machen vermögen, wie eine höhere Tier-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/480>, abgerufen am 26.06.2024.