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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Auf- und Gegeneinanderwirken von Einflüssen. Meinungen können zu Ein¬
flüssen werden, aber nur dann, wenn sie zur That treiben und die That an¬
leiten; Meinungen müssen es sein, hinter denen zahlreiche, entschlossene und
zusammenhaltende Anhänger stehen, rdcr die fähig sind, solche Anhänger
zu werben. Gemeinverständlichkeit um" Gemeinnützigkeit, Ausführbarkeit. An¬
lehnung an bestehende, wenn auch verbesserungsbedürftige Zustände, Wärme, die
das Gemüt und die Einbildungskraft ergreift, sind die Kennzeichen. Das ist
der Prüfstein, den jeder politische Schriftsteller an seine Erörterungen zu legen
hat, seien sie neuen und eignen Ursprungs oder der Verteidigung fremder Ge¬
danken gewidmet. Das ist auch der Inhalt seiner politischen Verantwortlich¬
keit. Handelt er nicht darnach, so wird er dem Vertreter der verantwortlichen
That immer im Wege sein. Das Höchste, was dem politischen Schriftsteller
ohne festen Anhang beim Staatsmann zu erreichen möglich ist, ist der Ein¬
druck, den Lassalle, der doch zugleich ein schon erprobter Agitator war, auf
Fürst Bismarck machte: interessant und unterhaltend, aber: was kannst du
armer Teufel geben?

Der Eindruck von wirksamer Bundesgenossenschaft ist natürlich nur
wenigen Schriftstellern erreichbar, aber der unmittelbare Zweck aller, einen
großen Leserkreis zu finden, festzuhalten und dauernd zu beeinflussen, setzt
ebenfalls die vorhin bezeichneten Eigenschaften voraus. Namentlich für die
Erweckung von Nachfolge und Miteifer sind sie wichtiger als glänzende Dar¬
stellung, geistige Vielseitigkeit, treffende Kritik. Auf jeder Seite der Mittel-
städtischen Schrift zeigt es sich, daß ihr Verfasser die letztgenannten Vorzüge
im höchsten Maße hat, weniger dagegen jene bescheidnern, aber politisch wert¬
vollern Eigenschaften, mit Ausnahme von hinreißender Gemütswärme. Das
tritt nicht nur in den Erörterungen, die hier besprochen worden sind, hervor,
sondern auch in den andern, bei denen die Besprechung den Verfasser nicht
weiter begleiten kann, weil ein Auszug die lebendige Farbe verwischen würde,
und Widerspruch sehr ausführlich sein müßte. Die bisherigen Ausführungen
genügen auch, die Behauptung zu rechtfertigen, daß ihrer ganzen Richtung
und Ausprägung nach die Meinungen Mittelstädts Meinungen bleiben werden,
sich nicht in politische Einflüsse umsetzen können. Die politische Litteratur ist
durch seine Schrift geistig und ästhetisch bereichert worden, aber die öffentliche
Meinung als Quelle politischer That wird seine positiven Anregungen nicht
brauchen können.

Damit soll nicht behauptet werden, daß die Schrift nur dem politischen Fein¬
schmecker viel biete, Kaviar fürs Volk sei. Vor einem solchen Urteil ist sie schon
dnrch die außerordentliche Wärme der Empfindung, womit sie geschrieben ist, be¬
wahrt. Ein ganzer Mann ist es, der zu uns spricht, was er uns vorlegt, ist wie
ein Glaubensbekenntnis, und daran geht auch der Andersgläubige nicht vorüber,
sondern er würdigt es durch Aufmerksamkeit, Prüfung und Achtung; er bereichert


Auf- und Gegeneinanderwirken von Einflüssen. Meinungen können zu Ein¬
flüssen werden, aber nur dann, wenn sie zur That treiben und die That an¬
leiten; Meinungen müssen es sein, hinter denen zahlreiche, entschlossene und
zusammenhaltende Anhänger stehen, rdcr die fähig sind, solche Anhänger
zu werben. Gemeinverständlichkeit um» Gemeinnützigkeit, Ausführbarkeit. An¬
lehnung an bestehende, wenn auch verbesserungsbedürftige Zustände, Wärme, die
das Gemüt und die Einbildungskraft ergreift, sind die Kennzeichen. Das ist
der Prüfstein, den jeder politische Schriftsteller an seine Erörterungen zu legen
hat, seien sie neuen und eignen Ursprungs oder der Verteidigung fremder Ge¬
danken gewidmet. Das ist auch der Inhalt seiner politischen Verantwortlich¬
keit. Handelt er nicht darnach, so wird er dem Vertreter der verantwortlichen
That immer im Wege sein. Das Höchste, was dem politischen Schriftsteller
ohne festen Anhang beim Staatsmann zu erreichen möglich ist, ist der Ein¬
druck, den Lassalle, der doch zugleich ein schon erprobter Agitator war, auf
Fürst Bismarck machte: interessant und unterhaltend, aber: was kannst du
armer Teufel geben?

Der Eindruck von wirksamer Bundesgenossenschaft ist natürlich nur
wenigen Schriftstellern erreichbar, aber der unmittelbare Zweck aller, einen
großen Leserkreis zu finden, festzuhalten und dauernd zu beeinflussen, setzt
ebenfalls die vorhin bezeichneten Eigenschaften voraus. Namentlich für die
Erweckung von Nachfolge und Miteifer sind sie wichtiger als glänzende Dar¬
stellung, geistige Vielseitigkeit, treffende Kritik. Auf jeder Seite der Mittel-
städtischen Schrift zeigt es sich, daß ihr Verfasser die letztgenannten Vorzüge
im höchsten Maße hat, weniger dagegen jene bescheidnern, aber politisch wert¬
vollern Eigenschaften, mit Ausnahme von hinreißender Gemütswärme. Das
tritt nicht nur in den Erörterungen, die hier besprochen worden sind, hervor,
sondern auch in den andern, bei denen die Besprechung den Verfasser nicht
weiter begleiten kann, weil ein Auszug die lebendige Farbe verwischen würde,
und Widerspruch sehr ausführlich sein müßte. Die bisherigen Ausführungen
genügen auch, die Behauptung zu rechtfertigen, daß ihrer ganzen Richtung
und Ausprägung nach die Meinungen Mittelstädts Meinungen bleiben werden,
sich nicht in politische Einflüsse umsetzen können. Die politische Litteratur ist
durch seine Schrift geistig und ästhetisch bereichert worden, aber die öffentliche
Meinung als Quelle politischer That wird seine positiven Anregungen nicht
brauchen können.

Damit soll nicht behauptet werden, daß die Schrift nur dem politischen Fein¬
schmecker viel biete, Kaviar fürs Volk sei. Vor einem solchen Urteil ist sie schon
dnrch die außerordentliche Wärme der Empfindung, womit sie geschrieben ist, be¬
wahrt. Ein ganzer Mann ist es, der zu uns spricht, was er uns vorlegt, ist wie
ein Glaubensbekenntnis, und daran geht auch der Andersgläubige nicht vorüber,
sondern er würdigt es durch Aufmerksamkeit, Prüfung und Achtung; er bereichert


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[0479] Auf- und Gegeneinanderwirken von Einflüssen. Meinungen können zu Ein¬ flüssen werden, aber nur dann, wenn sie zur That treiben und die That an¬ leiten; Meinungen müssen es sein, hinter denen zahlreiche, entschlossene und zusammenhaltende Anhänger stehen, rdcr die fähig sind, solche Anhänger zu werben. Gemeinverständlichkeit um» Gemeinnützigkeit, Ausführbarkeit. An¬ lehnung an bestehende, wenn auch verbesserungsbedürftige Zustände, Wärme, die das Gemüt und die Einbildungskraft ergreift, sind die Kennzeichen. Das ist der Prüfstein, den jeder politische Schriftsteller an seine Erörterungen zu legen hat, seien sie neuen und eignen Ursprungs oder der Verteidigung fremder Ge¬ danken gewidmet. Das ist auch der Inhalt seiner politischen Verantwortlich¬ keit. Handelt er nicht darnach, so wird er dem Vertreter der verantwortlichen That immer im Wege sein. Das Höchste, was dem politischen Schriftsteller ohne festen Anhang beim Staatsmann zu erreichen möglich ist, ist der Ein¬ druck, den Lassalle, der doch zugleich ein schon erprobter Agitator war, auf Fürst Bismarck machte: interessant und unterhaltend, aber: was kannst du armer Teufel geben? Der Eindruck von wirksamer Bundesgenossenschaft ist natürlich nur wenigen Schriftstellern erreichbar, aber der unmittelbare Zweck aller, einen großen Leserkreis zu finden, festzuhalten und dauernd zu beeinflussen, setzt ebenfalls die vorhin bezeichneten Eigenschaften voraus. Namentlich für die Erweckung von Nachfolge und Miteifer sind sie wichtiger als glänzende Dar¬ stellung, geistige Vielseitigkeit, treffende Kritik. Auf jeder Seite der Mittel- städtischen Schrift zeigt es sich, daß ihr Verfasser die letztgenannten Vorzüge im höchsten Maße hat, weniger dagegen jene bescheidnern, aber politisch wert¬ vollern Eigenschaften, mit Ausnahme von hinreißender Gemütswärme. Das tritt nicht nur in den Erörterungen, die hier besprochen worden sind, hervor, sondern auch in den andern, bei denen die Besprechung den Verfasser nicht weiter begleiten kann, weil ein Auszug die lebendige Farbe verwischen würde, und Widerspruch sehr ausführlich sein müßte. Die bisherigen Ausführungen genügen auch, die Behauptung zu rechtfertigen, daß ihrer ganzen Richtung und Ausprägung nach die Meinungen Mittelstädts Meinungen bleiben werden, sich nicht in politische Einflüsse umsetzen können. Die politische Litteratur ist durch seine Schrift geistig und ästhetisch bereichert worden, aber die öffentliche Meinung als Quelle politischer That wird seine positiven Anregungen nicht brauchen können. Damit soll nicht behauptet werden, daß die Schrift nur dem politischen Fein¬ schmecker viel biete, Kaviar fürs Volk sei. Vor einem solchen Urteil ist sie schon dnrch die außerordentliche Wärme der Empfindung, womit sie geschrieben ist, be¬ wahrt. Ein ganzer Mann ist es, der zu uns spricht, was er uns vorlegt, ist wie ein Glaubensbekenntnis, und daran geht auch der Andersgläubige nicht vorüber, sondern er würdigt es durch Aufmerksamkeit, Prüfung und Achtung; er bereichert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/479>, abgerufen am 26.06.2024.