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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Mittelstadt- politische Briefe

Wort gesprochen, das die Ehrfurcht verletzte, und das Recht, die Wahrheit zu
sagen, ist für einen Mann von Mittelstädts altpreußischen Sinn doppelte
Pflicht. Darin ist in der That, wie man sagen kann, trotz Kaiser und Reich
der altpreußische Zusammenhang zwischen König und Unterthan unversehrt
geblieben, als Vorzug in treuem Fordern und Leisten, in Innigkeit und echter
Freiheit. Für seine Furchtlosigkeit und für seinen edeln Freimut verdient
Mittelstadt unsre Achtung und Bewunderung, aber stimmt es zu den Ergeb¬
nissen seiner Kritik, daß er die geltenden Verfassungsverhältnisse des Reichs
als einen "gefährlichen Übergangszustand" bezeichnet, der "thunlichst schnell zu
überwinden" sei "durch jegliche Art von Stärkung der kaiserlichen Gewalt
und jegliche Art von Förderung der einheitsstaatlichen Tendenzen"? Fordert
dergleichen nicht den Widerspruch heraus? Mittelstädt steht, und mit Recht,
die Ursachen des Niedergangs mit darin, daß die Bismarckischen Wege ver¬
lassen worden sind, und daß der Kaiser sein eigner Kanzler und Minister¬
präsident sein wollte, aber zur Heilung empfiehlt er die vollständige Verleugnung
des Bismarckischen Verfassungsbaues, also auch die Beseitigung der Reichs¬
kanzlerstelle, für die doch nur in der bundesstaatlichen Natur der Verfassung
Raum ist, die doch auch so lange zum Segen gewirkt hat. Und das soll
eilig sein? In Wirklichkeit ist das Königtum, das Mittelstädt vorschwebt, wenn
es überhaupt zu erstrebe" ist, "ein Problem zum Kopfzerbrechen" "für die
kommenden Generationen," wie er andre Zukunftspläne genannt hat. Wohl
aber ist ein Kaiser, der die Königspslicht als roousr as drouse etablirt, schon
jetzt möglich und hat auch in den jetzigen Machtmitteln des deutschen Kaisers
und Königs von Preußen starke Stützen, um die unserm Geschlecht obliegenden
Aufgaben zu lösen; er würde sich seine Aufgabe nicht erleichtern, wenn er
durch Unitarismus seine Bundesgenossen verletzte, Zahl und Gewicht seiner
Gegner vermehrte. Ein solches Königtum der souveränen Pflicht ist nicht bloß
möglich, sondern hat schon wirklich in der Person unsers alten Kaisers über
uns gewaltet. Es hat die höchste Macht entfaltet und doch vermocht, frühere
Feinde zu versöhnen und für fruchtbare Mitarbeit zu gewinnen. Es hat sich
die stärkste Menschenkraft dienstbar zu erhalten gewußt, weil sich auch der Herr
der Pflicht noch als Diener des Staates fühlte und dem genialen Unterthan
durch Bewegungsfreiheit und nie versagende Treue lohnte. Noch nie sind zum
Heil des Ganzen, aber auch für das Gemüt die Unterschiede unter den Menschen
schöner ausgeglichen worden. Es ist auch nicht möglich, sie anders auszu¬
gleichen, aber so, ans dem durch die Pflicht vorgezeichneten Wege, läßt sich
die Ausgleichung für die Kreise, die den Stufen des Thrones fernstehen, nicht
weniger erreichen, und das Wachstum jeder Form der Demokratie, des Ver¬
suchs, durch Steigerung der Ansprüche auszugleichen, ist die Antwort darauf,
daß gerade in diesem Stück dem erhabnen Vorbilde weniger nachgestrebt wird
als dem täuschenden Glanz von Irrtümern.


Mittelstadt- politische Briefe

Wort gesprochen, das die Ehrfurcht verletzte, und das Recht, die Wahrheit zu
sagen, ist für einen Mann von Mittelstädts altpreußischen Sinn doppelte
Pflicht. Darin ist in der That, wie man sagen kann, trotz Kaiser und Reich
der altpreußische Zusammenhang zwischen König und Unterthan unversehrt
geblieben, als Vorzug in treuem Fordern und Leisten, in Innigkeit und echter
Freiheit. Für seine Furchtlosigkeit und für seinen edeln Freimut verdient
Mittelstadt unsre Achtung und Bewunderung, aber stimmt es zu den Ergeb¬
nissen seiner Kritik, daß er die geltenden Verfassungsverhältnisse des Reichs
als einen „gefährlichen Übergangszustand" bezeichnet, der „thunlichst schnell zu
überwinden" sei „durch jegliche Art von Stärkung der kaiserlichen Gewalt
und jegliche Art von Förderung der einheitsstaatlichen Tendenzen"? Fordert
dergleichen nicht den Widerspruch heraus? Mittelstädt steht, und mit Recht,
die Ursachen des Niedergangs mit darin, daß die Bismarckischen Wege ver¬
lassen worden sind, und daß der Kaiser sein eigner Kanzler und Minister¬
präsident sein wollte, aber zur Heilung empfiehlt er die vollständige Verleugnung
des Bismarckischen Verfassungsbaues, also auch die Beseitigung der Reichs¬
kanzlerstelle, für die doch nur in der bundesstaatlichen Natur der Verfassung
Raum ist, die doch auch so lange zum Segen gewirkt hat. Und das soll
eilig sein? In Wirklichkeit ist das Königtum, das Mittelstädt vorschwebt, wenn
es überhaupt zu erstrebe» ist, „ein Problem zum Kopfzerbrechen" „für die
kommenden Generationen," wie er andre Zukunftspläne genannt hat. Wohl
aber ist ein Kaiser, der die Königspslicht als roousr as drouse etablirt, schon
jetzt möglich und hat auch in den jetzigen Machtmitteln des deutschen Kaisers
und Königs von Preußen starke Stützen, um die unserm Geschlecht obliegenden
Aufgaben zu lösen; er würde sich seine Aufgabe nicht erleichtern, wenn er
durch Unitarismus seine Bundesgenossen verletzte, Zahl und Gewicht seiner
Gegner vermehrte. Ein solches Königtum der souveränen Pflicht ist nicht bloß
möglich, sondern hat schon wirklich in der Person unsers alten Kaisers über
uns gewaltet. Es hat die höchste Macht entfaltet und doch vermocht, frühere
Feinde zu versöhnen und für fruchtbare Mitarbeit zu gewinnen. Es hat sich
die stärkste Menschenkraft dienstbar zu erhalten gewußt, weil sich auch der Herr
der Pflicht noch als Diener des Staates fühlte und dem genialen Unterthan
durch Bewegungsfreiheit und nie versagende Treue lohnte. Noch nie sind zum
Heil des Ganzen, aber auch für das Gemüt die Unterschiede unter den Menschen
schöner ausgeglichen worden. Es ist auch nicht möglich, sie anders auszu¬
gleichen, aber so, ans dem durch die Pflicht vorgezeichneten Wege, läßt sich
die Ausgleichung für die Kreise, die den Stufen des Thrones fernstehen, nicht
weniger erreichen, und das Wachstum jeder Form der Demokratie, des Ver¬
suchs, durch Steigerung der Ansprüche auszugleichen, ist die Antwort darauf,
daß gerade in diesem Stück dem erhabnen Vorbilde weniger nachgestrebt wird
als dem täuschenden Glanz von Irrtümern.


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[0469] Mittelstadt- politische Briefe Wort gesprochen, das die Ehrfurcht verletzte, und das Recht, die Wahrheit zu sagen, ist für einen Mann von Mittelstädts altpreußischen Sinn doppelte Pflicht. Darin ist in der That, wie man sagen kann, trotz Kaiser und Reich der altpreußische Zusammenhang zwischen König und Unterthan unversehrt geblieben, als Vorzug in treuem Fordern und Leisten, in Innigkeit und echter Freiheit. Für seine Furchtlosigkeit und für seinen edeln Freimut verdient Mittelstadt unsre Achtung und Bewunderung, aber stimmt es zu den Ergeb¬ nissen seiner Kritik, daß er die geltenden Verfassungsverhältnisse des Reichs als einen „gefährlichen Übergangszustand" bezeichnet, der „thunlichst schnell zu überwinden" sei „durch jegliche Art von Stärkung der kaiserlichen Gewalt und jegliche Art von Förderung der einheitsstaatlichen Tendenzen"? Fordert dergleichen nicht den Widerspruch heraus? Mittelstädt steht, und mit Recht, die Ursachen des Niedergangs mit darin, daß die Bismarckischen Wege ver¬ lassen worden sind, und daß der Kaiser sein eigner Kanzler und Minister¬ präsident sein wollte, aber zur Heilung empfiehlt er die vollständige Verleugnung des Bismarckischen Verfassungsbaues, also auch die Beseitigung der Reichs¬ kanzlerstelle, für die doch nur in der bundesstaatlichen Natur der Verfassung Raum ist, die doch auch so lange zum Segen gewirkt hat. Und das soll eilig sein? In Wirklichkeit ist das Königtum, das Mittelstädt vorschwebt, wenn es überhaupt zu erstrebe» ist, „ein Problem zum Kopfzerbrechen" „für die kommenden Generationen," wie er andre Zukunftspläne genannt hat. Wohl aber ist ein Kaiser, der die Königspslicht als roousr as drouse etablirt, schon jetzt möglich und hat auch in den jetzigen Machtmitteln des deutschen Kaisers und Königs von Preußen starke Stützen, um die unserm Geschlecht obliegenden Aufgaben zu lösen; er würde sich seine Aufgabe nicht erleichtern, wenn er durch Unitarismus seine Bundesgenossen verletzte, Zahl und Gewicht seiner Gegner vermehrte. Ein solches Königtum der souveränen Pflicht ist nicht bloß möglich, sondern hat schon wirklich in der Person unsers alten Kaisers über uns gewaltet. Es hat die höchste Macht entfaltet und doch vermocht, frühere Feinde zu versöhnen und für fruchtbare Mitarbeit zu gewinnen. Es hat sich die stärkste Menschenkraft dienstbar zu erhalten gewußt, weil sich auch der Herr der Pflicht noch als Diener des Staates fühlte und dem genialen Unterthan durch Bewegungsfreiheit und nie versagende Treue lohnte. Noch nie sind zum Heil des Ganzen, aber auch für das Gemüt die Unterschiede unter den Menschen schöner ausgeglichen worden. Es ist auch nicht möglich, sie anders auszu¬ gleichen, aber so, ans dem durch die Pflicht vorgezeichneten Wege, läßt sich die Ausgleichung für die Kreise, die den Stufen des Thrones fernstehen, nicht weniger erreichen, und das Wachstum jeder Form der Demokratie, des Ver¬ suchs, durch Steigerung der Ansprüche auszugleichen, ist die Antwort darauf, daß gerade in diesem Stück dem erhabnen Vorbilde weniger nachgestrebt wird als dem täuschenden Glanz von Irrtümern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/469>, abgerufen am 26.06.2024.