Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Mittelstädts politische Briefe

und für Preußen echte Bnndesgesinnung der Regierungen eingetauscht. Die
von Fürst Bismarck gepflegte bundesfreundliche Gesinnung herrscht noch heute
im Bundesrate vor; in keiner der andern Reichseinrichtungen lebt Bismarckischer
Sinn lebendiger fort, und wenn es allmählich anders wird, so ist nicht der
Bundesrat daran schuld. Die Brücke zu diesem Erfolg, einem der größten und
erfreulichsten in der deutschen Entwicklung, ist also dem großen und grund¬
legenden Wirken des ersten Kanzlers zu verdanken, an seinen Namen und
an seine Persönlichkeit wird dankbare Erinnerung immer anknüpfen, aber
in dem Amte des Reichskanzlers, wie es sich unter ihm politisch und man
kann sagen gewohnhcitsrechtlich gestaltet hat, ist die Brücke dauernd
aufgebaut. In einem Aufsatz Ur 43 und 44 dieser Blätter unter dem
Titel: Der Reichskanzler und das Ministerium habe ich den Versuch
gemacht, die wesentlichen Züge dieses Stücks Bismarckischen Nachlasses zu¬
sammenzufassen, und ich glaube darin nachgewiesen zu haben, daß das Amt des
Reichskanzlers zwar nicht auf die Person seines ersten Trägers zugeschnitten ist,
aber allerdings immer einen selbständigen und bedeutenden Mann voraussetzt,
dem Wille, Einfluß und Initiative nicht geschmälert werden dürfen. Ich glaube
ferner dargethan zu haben, daß die Ausstattung des Reichskanzlers und seiner
ministerähnlichen Reichskollegen mit preußischer Hausmacht das berechtigte Vor¬
walten Preußens sichert, ohne die Bundesgenossen irgendwie zu mediatisiren;
die jetzigen Einrichtungen sind durchaus nicht so beschaffen, daß sie die Einheit¬
lichkeit und den Nachdruck monarchischen Handelns störten. Der Angriff
Mittelstädts darauf ist also nicht gerechtfertigt, und er steht damit nicht nur
zu feierlich verbürgten Rechten und zur Bismarckischen Politik im Gegensatz,
sondern auch zu sehr lebhaften Volksempfindungen. Die unausbleiblichen
Gegenangriffe werden ihn selber bei dem hohen sittlichen Ernst, mit dem auch
diese befremdenden Ausführungen vorgetragen werden, nicht anfechten, aber
ihre sachliche Anfechtbarkeit und die Leidenschaften, die er dadurch erweckt,
schaden den vielen Wahrheiten, die seine Schrift sonst enthält.

Zu dem Wahren und Treffenden muß man die Kritik der auswärtigen und
der innern Politik seit dem ersten Kanzlcrwechsel rechnen, Mittelstadt über¬
zeugt dadurch den, der noch schwankt, und faßt für den schon Überzeugten, der
mit ihm die verhängnisvolle Entwicklung beklagt, die Gründe bestimmt und
beredt zusammen. Nur in Einzelheiten kann man verschiedner Meinung sein,
z. B. da, wo er den Götzendienst, der mit dem Dreibund getrieben wird, geißelt,
aber dessen wirkliche Bedeutung doch unterschätzt. In einem namentlich zwingt
er, ihm zu folgen und ihm Recht zu geben, in der Besprechung des Kaisers.
Ob der Empfänger der Briefe auch so denken wird, steht dahin, aber es ist
zu hoffen, daß ihn Pflicht und Ehre, auch die Ehre, solche Briefe zu erhalten,
antreiben wird, die Briefe dem Kaiser vorzulegen. Denn wie furchtlos auch
ihr Verfasser von der Wahrheit jede Hülle wegzieht, so hat er doch nicht ein


Mittelstädts politische Briefe

und für Preußen echte Bnndesgesinnung der Regierungen eingetauscht. Die
von Fürst Bismarck gepflegte bundesfreundliche Gesinnung herrscht noch heute
im Bundesrate vor; in keiner der andern Reichseinrichtungen lebt Bismarckischer
Sinn lebendiger fort, und wenn es allmählich anders wird, so ist nicht der
Bundesrat daran schuld. Die Brücke zu diesem Erfolg, einem der größten und
erfreulichsten in der deutschen Entwicklung, ist also dem großen und grund¬
legenden Wirken des ersten Kanzlers zu verdanken, an seinen Namen und
an seine Persönlichkeit wird dankbare Erinnerung immer anknüpfen, aber
in dem Amte des Reichskanzlers, wie es sich unter ihm politisch und man
kann sagen gewohnhcitsrechtlich gestaltet hat, ist die Brücke dauernd
aufgebaut. In einem Aufsatz Ur 43 und 44 dieser Blätter unter dem
Titel: Der Reichskanzler und das Ministerium habe ich den Versuch
gemacht, die wesentlichen Züge dieses Stücks Bismarckischen Nachlasses zu¬
sammenzufassen, und ich glaube darin nachgewiesen zu haben, daß das Amt des
Reichskanzlers zwar nicht auf die Person seines ersten Trägers zugeschnitten ist,
aber allerdings immer einen selbständigen und bedeutenden Mann voraussetzt,
dem Wille, Einfluß und Initiative nicht geschmälert werden dürfen. Ich glaube
ferner dargethan zu haben, daß die Ausstattung des Reichskanzlers und seiner
ministerähnlichen Reichskollegen mit preußischer Hausmacht das berechtigte Vor¬
walten Preußens sichert, ohne die Bundesgenossen irgendwie zu mediatisiren;
die jetzigen Einrichtungen sind durchaus nicht so beschaffen, daß sie die Einheit¬
lichkeit und den Nachdruck monarchischen Handelns störten. Der Angriff
Mittelstädts darauf ist also nicht gerechtfertigt, und er steht damit nicht nur
zu feierlich verbürgten Rechten und zur Bismarckischen Politik im Gegensatz,
sondern auch zu sehr lebhaften Volksempfindungen. Die unausbleiblichen
Gegenangriffe werden ihn selber bei dem hohen sittlichen Ernst, mit dem auch
diese befremdenden Ausführungen vorgetragen werden, nicht anfechten, aber
ihre sachliche Anfechtbarkeit und die Leidenschaften, die er dadurch erweckt,
schaden den vielen Wahrheiten, die seine Schrift sonst enthält.

Zu dem Wahren und Treffenden muß man die Kritik der auswärtigen und
der innern Politik seit dem ersten Kanzlcrwechsel rechnen, Mittelstadt über¬
zeugt dadurch den, der noch schwankt, und faßt für den schon Überzeugten, der
mit ihm die verhängnisvolle Entwicklung beklagt, die Gründe bestimmt und
beredt zusammen. Nur in Einzelheiten kann man verschiedner Meinung sein,
z. B. da, wo er den Götzendienst, der mit dem Dreibund getrieben wird, geißelt,
aber dessen wirkliche Bedeutung doch unterschätzt. In einem namentlich zwingt
er, ihm zu folgen und ihm Recht zu geben, in der Besprechung des Kaisers.
Ob der Empfänger der Briefe auch so denken wird, steht dahin, aber es ist
zu hoffen, daß ihn Pflicht und Ehre, auch die Ehre, solche Briefe zu erhalten,
antreiben wird, die Briefe dem Kaiser vorzulegen. Denn wie furchtlos auch
ihr Verfasser von der Wahrheit jede Hülle wegzieht, so hat er doch nicht ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226698"/>
          <fw type="header" place="top"> Mittelstädts politische Briefe</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1157" prev="#ID_1156"> und für Preußen echte Bnndesgesinnung der Regierungen eingetauscht. Die<lb/>
von Fürst Bismarck gepflegte bundesfreundliche Gesinnung herrscht noch heute<lb/>
im Bundesrate vor; in keiner der andern Reichseinrichtungen lebt Bismarckischer<lb/>
Sinn lebendiger fort, und wenn es allmählich anders wird, so ist nicht der<lb/>
Bundesrat daran schuld. Die Brücke zu diesem Erfolg, einem der größten und<lb/>
erfreulichsten in der deutschen Entwicklung, ist also dem großen und grund¬<lb/>
legenden Wirken des ersten Kanzlers zu verdanken, an seinen Namen und<lb/>
an seine Persönlichkeit wird dankbare Erinnerung immer anknüpfen, aber<lb/>
in dem Amte des Reichskanzlers, wie es sich unter ihm politisch und man<lb/>
kann sagen gewohnhcitsrechtlich gestaltet hat, ist die Brücke dauernd<lb/>
aufgebaut. In einem Aufsatz Ur 43 und 44 dieser Blätter unter dem<lb/>
Titel: Der Reichskanzler und das Ministerium habe ich den Versuch<lb/>
gemacht, die wesentlichen Züge dieses Stücks Bismarckischen Nachlasses zu¬<lb/>
sammenzufassen, und ich glaube darin nachgewiesen zu haben, daß das Amt des<lb/>
Reichskanzlers zwar nicht auf die Person seines ersten Trägers zugeschnitten ist,<lb/>
aber allerdings immer einen selbständigen und bedeutenden Mann voraussetzt,<lb/>
dem Wille, Einfluß und Initiative nicht geschmälert werden dürfen. Ich glaube<lb/>
ferner dargethan zu haben, daß die Ausstattung des Reichskanzlers und seiner<lb/>
ministerähnlichen Reichskollegen mit preußischer Hausmacht das berechtigte Vor¬<lb/>
walten Preußens sichert, ohne die Bundesgenossen irgendwie zu mediatisiren;<lb/>
die jetzigen Einrichtungen sind durchaus nicht so beschaffen, daß sie die Einheit¬<lb/>
lichkeit und den Nachdruck monarchischen Handelns störten. Der Angriff<lb/>
Mittelstädts darauf ist also nicht gerechtfertigt, und er steht damit nicht nur<lb/>
zu feierlich verbürgten Rechten und zur Bismarckischen Politik im Gegensatz,<lb/>
sondern auch zu sehr lebhaften Volksempfindungen. Die unausbleiblichen<lb/>
Gegenangriffe werden ihn selber bei dem hohen sittlichen Ernst, mit dem auch<lb/>
diese befremdenden Ausführungen vorgetragen werden, nicht anfechten, aber<lb/>
ihre sachliche Anfechtbarkeit und die Leidenschaften, die er dadurch erweckt,<lb/>
schaden den vielen Wahrheiten, die seine Schrift sonst enthält.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1158" next="#ID_1159"> Zu dem Wahren und Treffenden muß man die Kritik der auswärtigen und<lb/>
der innern Politik seit dem ersten Kanzlcrwechsel rechnen, Mittelstadt über¬<lb/>
zeugt dadurch den, der noch schwankt, und faßt für den schon Überzeugten, der<lb/>
mit ihm die verhängnisvolle Entwicklung beklagt, die Gründe bestimmt und<lb/>
beredt zusammen. Nur in Einzelheiten kann man verschiedner Meinung sein,<lb/>
z. B. da, wo er den Götzendienst, der mit dem Dreibund getrieben wird, geißelt,<lb/>
aber dessen wirkliche Bedeutung doch unterschätzt. In einem namentlich zwingt<lb/>
er, ihm zu folgen und ihm Recht zu geben, in der Besprechung des Kaisers.<lb/>
Ob der Empfänger der Briefe auch so denken wird, steht dahin, aber es ist<lb/>
zu hoffen, daß ihn Pflicht und Ehre, auch die Ehre, solche Briefe zu erhalten,<lb/>
antreiben wird, die Briefe dem Kaiser vorzulegen. Denn wie furchtlos auch<lb/>
ihr Verfasser von der Wahrheit jede Hülle wegzieht, so hat er doch nicht ein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0468] Mittelstädts politische Briefe und für Preußen echte Bnndesgesinnung der Regierungen eingetauscht. Die von Fürst Bismarck gepflegte bundesfreundliche Gesinnung herrscht noch heute im Bundesrate vor; in keiner der andern Reichseinrichtungen lebt Bismarckischer Sinn lebendiger fort, und wenn es allmählich anders wird, so ist nicht der Bundesrat daran schuld. Die Brücke zu diesem Erfolg, einem der größten und erfreulichsten in der deutschen Entwicklung, ist also dem großen und grund¬ legenden Wirken des ersten Kanzlers zu verdanken, an seinen Namen und an seine Persönlichkeit wird dankbare Erinnerung immer anknüpfen, aber in dem Amte des Reichskanzlers, wie es sich unter ihm politisch und man kann sagen gewohnhcitsrechtlich gestaltet hat, ist die Brücke dauernd aufgebaut. In einem Aufsatz Ur 43 und 44 dieser Blätter unter dem Titel: Der Reichskanzler und das Ministerium habe ich den Versuch gemacht, die wesentlichen Züge dieses Stücks Bismarckischen Nachlasses zu¬ sammenzufassen, und ich glaube darin nachgewiesen zu haben, daß das Amt des Reichskanzlers zwar nicht auf die Person seines ersten Trägers zugeschnitten ist, aber allerdings immer einen selbständigen und bedeutenden Mann voraussetzt, dem Wille, Einfluß und Initiative nicht geschmälert werden dürfen. Ich glaube ferner dargethan zu haben, daß die Ausstattung des Reichskanzlers und seiner ministerähnlichen Reichskollegen mit preußischer Hausmacht das berechtigte Vor¬ walten Preußens sichert, ohne die Bundesgenossen irgendwie zu mediatisiren; die jetzigen Einrichtungen sind durchaus nicht so beschaffen, daß sie die Einheit¬ lichkeit und den Nachdruck monarchischen Handelns störten. Der Angriff Mittelstädts darauf ist also nicht gerechtfertigt, und er steht damit nicht nur zu feierlich verbürgten Rechten und zur Bismarckischen Politik im Gegensatz, sondern auch zu sehr lebhaften Volksempfindungen. Die unausbleiblichen Gegenangriffe werden ihn selber bei dem hohen sittlichen Ernst, mit dem auch diese befremdenden Ausführungen vorgetragen werden, nicht anfechten, aber ihre sachliche Anfechtbarkeit und die Leidenschaften, die er dadurch erweckt, schaden den vielen Wahrheiten, die seine Schrift sonst enthält. Zu dem Wahren und Treffenden muß man die Kritik der auswärtigen und der innern Politik seit dem ersten Kanzlcrwechsel rechnen, Mittelstadt über¬ zeugt dadurch den, der noch schwankt, und faßt für den schon Überzeugten, der mit ihm die verhängnisvolle Entwicklung beklagt, die Gründe bestimmt und beredt zusammen. Nur in Einzelheiten kann man verschiedner Meinung sein, z. B. da, wo er den Götzendienst, der mit dem Dreibund getrieben wird, geißelt, aber dessen wirkliche Bedeutung doch unterschätzt. In einem namentlich zwingt er, ihm zu folgen und ihm Recht zu geben, in der Besprechung des Kaisers. Ob der Empfänger der Briefe auch so denken wird, steht dahin, aber es ist zu hoffen, daß ihn Pflicht und Ehre, auch die Ehre, solche Briefe zu erhalten, antreiben wird, die Briefe dem Kaiser vorzulegen. Denn wie furchtlos auch ihr Verfasser von der Wahrheit jede Hülle wegzieht, so hat er doch nicht ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/468
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/468>, abgerufen am 26.06.2024.