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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Mittelstadt? politische Briefe

durch diese und durch das Feuer der Empfindung reißt der Verfasser den Leser
nicht selten mit fort. Wenn die Empfindung Mittelstädts für Fürst Bismarck
nicht ganz ungemischte Bewunderung ist, weil auch er den Irrtum teilt, daß
an Fürst Bismarcks Verhalten nach seinem Abgange Rachsucht und Popularitüts-
hascherei Anteil hätten, so ist doch dieser Schatten so schonend aufgetragen,
daß er nur auf kurze Zeit stört. Es handelt sich dabei auch bis zu voll¬
ständiger Ausklärung um eine Frage des persönlichen und gemütlichen Ein¬
drucks, über die sich schwer rechten läßt. Dagegen ist erstaunlich, daß ein so
überzeugter und geistvoller Anhänger der Bismarckischeu Politik Wege einge¬
schlagen sehen möchte, die sich von denen des Meisters so weit entfernen, denn
gerade von ihm hätte mau erwarten dürfen, daß er sich bemühen würde, das,
was sich aus dem Bismarckischeu Wirken an dauernder Belehrung und als
Leitfaden des Handelns ableiten läßt, festzustellen und hervorzuheben. Dessen
ist fast auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens recht viel; die Bismarckische
Tradition, wie man es nennen kann, ist ein reicher Schatz, an dessen Hebung
sich zu beteiligen fruchtbarer ist als Lob oder Tadel, weil diese Tradition auf
uns Epigonen einen Teil dessen herüberrettet, was die Gewalt des Bismarckischen
Wesens und Wirkens ausmachte.

Schon der Gedanke, innere Schwierigkeiten und Spannungen durch Krieg
zu lösen, ist ganz unbismarckisch, denn Fürst Bismarck hat zwar gründlich
Krieg geführt, aber nur, wenn ein bestimmter ausländischer Gegner gegeben
und nicht anders zu überwinden war. Er hat noch mehr Kriege abgewendet;
seine auswärtige Politik war sogar seit 1871 vor allem darauf gerichtet. Den
Krieg als heroisches Mittel, also um seiner selbst willen, hat Fürst Bismarck
immer verurteilt. Man kann darüber anders denken, ohne gottlos zu sein;
Mittelstädt beweist es und hätte sich in gewissem Maße auch aus Moltke be¬
rufen können, aber Bismarckische Politik ist es nicht.

Ebenso wenig hält sich Mittelstädt darin an das Vorbild des Meisters,
daß er die verfassungsmüßig begründeten oder belassenen Rechte der deutschen
Bundesfürsten für unvereinbar mit einer starken deutschen Monarchie erklärt.
Es zeigt sich dabei, daß seine Staatsgesinnung preußisch-partikularistische Farbe
behalten hat; sein Patriotismus umfaßt ja ohne Zweifel die nichtpreußischen
Teile des Reichs mit gleicher Wärme wie sein Geburtsland, aber Vaterlands¬
liebe und Staatsgesinnung fallen eben nicht immer zusammen, obgleich es der
Fall sein sollte. Bei Fürst Bismarck dagegen haben immer diese beiden Formen
oder Seiten des Gemeingefühls zusammengestimmt, denn er ist zwar ebenfalls
ein guter Preuße geblieben, er gab es aber mit der Gründung des Nord¬
deutschen Bundes und dann des Reichs unwiderruflich auf, preußische Ein¬
richtungen und Verhältnisse auf Kosten des Reichs, seiner Verfassung und
seines Wirkungskreises zu pflegen. Durch diesen Verzicht auf Preußischen
Partikularismus hat er den der andern deutschen Staaten niedergehalten


Grenzboten IV 18!!7 M
Mittelstadt? politische Briefe

durch diese und durch das Feuer der Empfindung reißt der Verfasser den Leser
nicht selten mit fort. Wenn die Empfindung Mittelstädts für Fürst Bismarck
nicht ganz ungemischte Bewunderung ist, weil auch er den Irrtum teilt, daß
an Fürst Bismarcks Verhalten nach seinem Abgange Rachsucht und Popularitüts-
hascherei Anteil hätten, so ist doch dieser Schatten so schonend aufgetragen,
daß er nur auf kurze Zeit stört. Es handelt sich dabei auch bis zu voll¬
ständiger Ausklärung um eine Frage des persönlichen und gemütlichen Ein¬
drucks, über die sich schwer rechten läßt. Dagegen ist erstaunlich, daß ein so
überzeugter und geistvoller Anhänger der Bismarckischeu Politik Wege einge¬
schlagen sehen möchte, die sich von denen des Meisters so weit entfernen, denn
gerade von ihm hätte mau erwarten dürfen, daß er sich bemühen würde, das,
was sich aus dem Bismarckischeu Wirken an dauernder Belehrung und als
Leitfaden des Handelns ableiten läßt, festzustellen und hervorzuheben. Dessen
ist fast auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens recht viel; die Bismarckische
Tradition, wie man es nennen kann, ist ein reicher Schatz, an dessen Hebung
sich zu beteiligen fruchtbarer ist als Lob oder Tadel, weil diese Tradition auf
uns Epigonen einen Teil dessen herüberrettet, was die Gewalt des Bismarckischen
Wesens und Wirkens ausmachte.

Schon der Gedanke, innere Schwierigkeiten und Spannungen durch Krieg
zu lösen, ist ganz unbismarckisch, denn Fürst Bismarck hat zwar gründlich
Krieg geführt, aber nur, wenn ein bestimmter ausländischer Gegner gegeben
und nicht anders zu überwinden war. Er hat noch mehr Kriege abgewendet;
seine auswärtige Politik war sogar seit 1871 vor allem darauf gerichtet. Den
Krieg als heroisches Mittel, also um seiner selbst willen, hat Fürst Bismarck
immer verurteilt. Man kann darüber anders denken, ohne gottlos zu sein;
Mittelstädt beweist es und hätte sich in gewissem Maße auch aus Moltke be¬
rufen können, aber Bismarckische Politik ist es nicht.

Ebenso wenig hält sich Mittelstädt darin an das Vorbild des Meisters,
daß er die verfassungsmüßig begründeten oder belassenen Rechte der deutschen
Bundesfürsten für unvereinbar mit einer starken deutschen Monarchie erklärt.
Es zeigt sich dabei, daß seine Staatsgesinnung preußisch-partikularistische Farbe
behalten hat; sein Patriotismus umfaßt ja ohne Zweifel die nichtpreußischen
Teile des Reichs mit gleicher Wärme wie sein Geburtsland, aber Vaterlands¬
liebe und Staatsgesinnung fallen eben nicht immer zusammen, obgleich es der
Fall sein sollte. Bei Fürst Bismarck dagegen haben immer diese beiden Formen
oder Seiten des Gemeingefühls zusammengestimmt, denn er ist zwar ebenfalls
ein guter Preuße geblieben, er gab es aber mit der Gründung des Nord¬
deutschen Bundes und dann des Reichs unwiderruflich auf, preußische Ein¬
richtungen und Verhältnisse auf Kosten des Reichs, seiner Verfassung und
seines Wirkungskreises zu pflegen. Durch diesen Verzicht auf Preußischen
Partikularismus hat er den der andern deutschen Staaten niedergehalten


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[0467] Mittelstadt? politische Briefe durch diese und durch das Feuer der Empfindung reißt der Verfasser den Leser nicht selten mit fort. Wenn die Empfindung Mittelstädts für Fürst Bismarck nicht ganz ungemischte Bewunderung ist, weil auch er den Irrtum teilt, daß an Fürst Bismarcks Verhalten nach seinem Abgange Rachsucht und Popularitüts- hascherei Anteil hätten, so ist doch dieser Schatten so schonend aufgetragen, daß er nur auf kurze Zeit stört. Es handelt sich dabei auch bis zu voll¬ ständiger Ausklärung um eine Frage des persönlichen und gemütlichen Ein¬ drucks, über die sich schwer rechten läßt. Dagegen ist erstaunlich, daß ein so überzeugter und geistvoller Anhänger der Bismarckischeu Politik Wege einge¬ schlagen sehen möchte, die sich von denen des Meisters so weit entfernen, denn gerade von ihm hätte mau erwarten dürfen, daß er sich bemühen würde, das, was sich aus dem Bismarckischeu Wirken an dauernder Belehrung und als Leitfaden des Handelns ableiten läßt, festzustellen und hervorzuheben. Dessen ist fast auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens recht viel; die Bismarckische Tradition, wie man es nennen kann, ist ein reicher Schatz, an dessen Hebung sich zu beteiligen fruchtbarer ist als Lob oder Tadel, weil diese Tradition auf uns Epigonen einen Teil dessen herüberrettet, was die Gewalt des Bismarckischen Wesens und Wirkens ausmachte. Schon der Gedanke, innere Schwierigkeiten und Spannungen durch Krieg zu lösen, ist ganz unbismarckisch, denn Fürst Bismarck hat zwar gründlich Krieg geführt, aber nur, wenn ein bestimmter ausländischer Gegner gegeben und nicht anders zu überwinden war. Er hat noch mehr Kriege abgewendet; seine auswärtige Politik war sogar seit 1871 vor allem darauf gerichtet. Den Krieg als heroisches Mittel, also um seiner selbst willen, hat Fürst Bismarck immer verurteilt. Man kann darüber anders denken, ohne gottlos zu sein; Mittelstädt beweist es und hätte sich in gewissem Maße auch aus Moltke be¬ rufen können, aber Bismarckische Politik ist es nicht. Ebenso wenig hält sich Mittelstädt darin an das Vorbild des Meisters, daß er die verfassungsmüßig begründeten oder belassenen Rechte der deutschen Bundesfürsten für unvereinbar mit einer starken deutschen Monarchie erklärt. Es zeigt sich dabei, daß seine Staatsgesinnung preußisch-partikularistische Farbe behalten hat; sein Patriotismus umfaßt ja ohne Zweifel die nichtpreußischen Teile des Reichs mit gleicher Wärme wie sein Geburtsland, aber Vaterlands¬ liebe und Staatsgesinnung fallen eben nicht immer zusammen, obgleich es der Fall sein sollte. Bei Fürst Bismarck dagegen haben immer diese beiden Formen oder Seiten des Gemeingefühls zusammengestimmt, denn er ist zwar ebenfalls ein guter Preuße geblieben, er gab es aber mit der Gründung des Nord¬ deutschen Bundes und dann des Reichs unwiderruflich auf, preußische Ein¬ richtungen und Verhältnisse auf Kosten des Reichs, seiner Verfassung und seines Wirkungskreises zu pflegen. Durch diesen Verzicht auf Preußischen Partikularismus hat er den der andern deutschen Staaten niedergehalten Grenzboten IV 18!!7 M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/467>, abgerufen am 26.06.2024.