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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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MittelMdts polnische Briefe

Einen Mann haben wir gehabt, der ohne Schwächung und Abzug Vater¬
landsliebe und Staatsgefühl auf das Reich übertrug und in dessen Dienst
zugleich die größte Fülle von That- und Geisteskraft stellte. "Aber uns
plagte die unselige Einbildung, daß wir seiner nicht bedürften, und Deutsch¬
land auch ohne ihn fertig zu werden imstande sei." So drückt es Mittelstadt
aus, wohl zu mild, denn bei vielen mischten sich verwerflichere Empfindungen
ein: Furcht, Haß und Neid. Wie viele waren froh, daß der Mann beseitigt
war, dessen Größe sie zu Boden drückte! Wie vielen war er im Wege, für
sich oder für ihre Sonderzwecke! Und wäre Fürst Bismarck je gefallen, wenn
bei denen, die ihn in den Himmel hoben, die Unterstützung den Worten nur
einigermaßen entsprochen hätte? Die Phalanx, die er sich verdient hatte,
hätte ihn und in ihm uns geschützt; unsre Zerfahrenheit und Thatlosigkeit
stellte ihn allein. Das Auseinanderstieben der Pfeile aus dem Bündel gab
der Meinung Recht, er stehe nicht mehr auf der frühern Höhe, ja die Pfeile
kehrten sich gegen ihn. Meint doch selbst Mittelstadt, in der letzten Zeit Hütten
"die Bismarckische Stciatskuust und StaatSleukung mindestens in der innern
Politik deutliche Zeichen allmählichen Niedergangs erkennen lassen." Welche
denn? Wenn damals "Wind und Wellen" mit dem Staatsschiff zu spielen
anfangen wollten, mit Vismarcks Herzen haben sie nie weniger gespielt; weder
Geist noch Wille waren bei ihm erschüttert, noch immer "stand er männlich
an dem Steuer, blickte er herrschend auf die grimme Tiefe," und nie war sei"
Kraft- und Pflichtgefühl stärker angespannt, als da ihn die Ungnade des
Kaisers scheitern ließ. Wir waren es, die schon damals tief gesunken waren,
den Steuermann aus den Augen verloren hatten und dadurch zum Sturz
mithalfen. Er durfte nach wie vor "scheiternd oder lautend" Gott vertrauen,
aber Gott wirkt "nicht magisch, sondern dnrch Menschen," und wir sahen ans
der Ferne zu. Nur Selbstanklage, innere Einkehr und Ernennung vermögen
uns wieder aufzuhelfen, nicht aber die weichmütige Klage, daß wir verlassen
seien, oder gar die halb trotzige, halb verzagte Nachahmung Bismarckischen
Rciusperns, das nicht einmal glücklich abgeguckt ist.

Nicht gegen die Mittelstädtische Schrift ist das gesagt, denn bei ihrem
Verfasser ist nichts von Gejammer zu finden, so traurig er auch in die Zu¬
kunft sieht; er erscheint in ihr, wie in frühern Schriften, als ein Mann, der
bewundernd zur Geistesgröße aufblickt, jedoch nicht vergißt, daß jeder auf seinen
eignen Füßen zu stehen hat. Seine Staatsgesinnnng ist ebenso fest wie sein
Patriotismus, und er würde, als Reichstagsabgeordneter etwa, treu zum
große" Kanzler gestanden haben, ohne zu mäkeln und nach Fraktion zu fragen,
mich ohne erhaben zu behaupten, für den Staat gebe es keine Interessen.
Seine Bewunderung ist auch mit eindringendem Verständnis des Bismarckischen
Wirkens und mit herzlicher Dankbarkeit verknüpft. Das alles tritt in der
Schrift klar und bestimmt, gedankenreich und in glänzender Darstellung hervor;


MittelMdts polnische Briefe

Einen Mann haben wir gehabt, der ohne Schwächung und Abzug Vater¬
landsliebe und Staatsgefühl auf das Reich übertrug und in dessen Dienst
zugleich die größte Fülle von That- und Geisteskraft stellte. „Aber uns
plagte die unselige Einbildung, daß wir seiner nicht bedürften, und Deutsch¬
land auch ohne ihn fertig zu werden imstande sei." So drückt es Mittelstadt
aus, wohl zu mild, denn bei vielen mischten sich verwerflichere Empfindungen
ein: Furcht, Haß und Neid. Wie viele waren froh, daß der Mann beseitigt
war, dessen Größe sie zu Boden drückte! Wie vielen war er im Wege, für
sich oder für ihre Sonderzwecke! Und wäre Fürst Bismarck je gefallen, wenn
bei denen, die ihn in den Himmel hoben, die Unterstützung den Worten nur
einigermaßen entsprochen hätte? Die Phalanx, die er sich verdient hatte,
hätte ihn und in ihm uns geschützt; unsre Zerfahrenheit und Thatlosigkeit
stellte ihn allein. Das Auseinanderstieben der Pfeile aus dem Bündel gab
der Meinung Recht, er stehe nicht mehr auf der frühern Höhe, ja die Pfeile
kehrten sich gegen ihn. Meint doch selbst Mittelstadt, in der letzten Zeit Hütten
„die Bismarckische Stciatskuust und StaatSleukung mindestens in der innern
Politik deutliche Zeichen allmählichen Niedergangs erkennen lassen." Welche
denn? Wenn damals „Wind und Wellen" mit dem Staatsschiff zu spielen
anfangen wollten, mit Vismarcks Herzen haben sie nie weniger gespielt; weder
Geist noch Wille waren bei ihm erschüttert, noch immer „stand er männlich
an dem Steuer, blickte er herrschend auf die grimme Tiefe," und nie war sei»
Kraft- und Pflichtgefühl stärker angespannt, als da ihn die Ungnade des
Kaisers scheitern ließ. Wir waren es, die schon damals tief gesunken waren,
den Steuermann aus den Augen verloren hatten und dadurch zum Sturz
mithalfen. Er durfte nach wie vor „scheiternd oder lautend" Gott vertrauen,
aber Gott wirkt „nicht magisch, sondern dnrch Menschen," und wir sahen ans
der Ferne zu. Nur Selbstanklage, innere Einkehr und Ernennung vermögen
uns wieder aufzuhelfen, nicht aber die weichmütige Klage, daß wir verlassen
seien, oder gar die halb trotzige, halb verzagte Nachahmung Bismarckischen
Rciusperns, das nicht einmal glücklich abgeguckt ist.

Nicht gegen die Mittelstädtische Schrift ist das gesagt, denn bei ihrem
Verfasser ist nichts von Gejammer zu finden, so traurig er auch in die Zu¬
kunft sieht; er erscheint in ihr, wie in frühern Schriften, als ein Mann, der
bewundernd zur Geistesgröße aufblickt, jedoch nicht vergißt, daß jeder auf seinen
eignen Füßen zu stehen hat. Seine Staatsgesinnnng ist ebenso fest wie sein
Patriotismus, und er würde, als Reichstagsabgeordneter etwa, treu zum
große» Kanzler gestanden haben, ohne zu mäkeln und nach Fraktion zu fragen,
mich ohne erhaben zu behaupten, für den Staat gebe es keine Interessen.
Seine Bewunderung ist auch mit eindringendem Verständnis des Bismarckischen
Wirkens und mit herzlicher Dankbarkeit verknüpft. Das alles tritt in der
Schrift klar und bestimmt, gedankenreich und in glänzender Darstellung hervor;


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[0466] MittelMdts polnische Briefe Einen Mann haben wir gehabt, der ohne Schwächung und Abzug Vater¬ landsliebe und Staatsgefühl auf das Reich übertrug und in dessen Dienst zugleich die größte Fülle von That- und Geisteskraft stellte. „Aber uns plagte die unselige Einbildung, daß wir seiner nicht bedürften, und Deutsch¬ land auch ohne ihn fertig zu werden imstande sei." So drückt es Mittelstadt aus, wohl zu mild, denn bei vielen mischten sich verwerflichere Empfindungen ein: Furcht, Haß und Neid. Wie viele waren froh, daß der Mann beseitigt war, dessen Größe sie zu Boden drückte! Wie vielen war er im Wege, für sich oder für ihre Sonderzwecke! Und wäre Fürst Bismarck je gefallen, wenn bei denen, die ihn in den Himmel hoben, die Unterstützung den Worten nur einigermaßen entsprochen hätte? Die Phalanx, die er sich verdient hatte, hätte ihn und in ihm uns geschützt; unsre Zerfahrenheit und Thatlosigkeit stellte ihn allein. Das Auseinanderstieben der Pfeile aus dem Bündel gab der Meinung Recht, er stehe nicht mehr auf der frühern Höhe, ja die Pfeile kehrten sich gegen ihn. Meint doch selbst Mittelstadt, in der letzten Zeit Hütten „die Bismarckische Stciatskuust und StaatSleukung mindestens in der innern Politik deutliche Zeichen allmählichen Niedergangs erkennen lassen." Welche denn? Wenn damals „Wind und Wellen" mit dem Staatsschiff zu spielen anfangen wollten, mit Vismarcks Herzen haben sie nie weniger gespielt; weder Geist noch Wille waren bei ihm erschüttert, noch immer „stand er männlich an dem Steuer, blickte er herrschend auf die grimme Tiefe," und nie war sei» Kraft- und Pflichtgefühl stärker angespannt, als da ihn die Ungnade des Kaisers scheitern ließ. Wir waren es, die schon damals tief gesunken waren, den Steuermann aus den Augen verloren hatten und dadurch zum Sturz mithalfen. Er durfte nach wie vor „scheiternd oder lautend" Gott vertrauen, aber Gott wirkt „nicht magisch, sondern dnrch Menschen," und wir sahen ans der Ferne zu. Nur Selbstanklage, innere Einkehr und Ernennung vermögen uns wieder aufzuhelfen, nicht aber die weichmütige Klage, daß wir verlassen seien, oder gar die halb trotzige, halb verzagte Nachahmung Bismarckischen Rciusperns, das nicht einmal glücklich abgeguckt ist. Nicht gegen die Mittelstädtische Schrift ist das gesagt, denn bei ihrem Verfasser ist nichts von Gejammer zu finden, so traurig er auch in die Zu¬ kunft sieht; er erscheint in ihr, wie in frühern Schriften, als ein Mann, der bewundernd zur Geistesgröße aufblickt, jedoch nicht vergißt, daß jeder auf seinen eignen Füßen zu stehen hat. Seine Staatsgesinnnng ist ebenso fest wie sein Patriotismus, und er würde, als Reichstagsabgeordneter etwa, treu zum große» Kanzler gestanden haben, ohne zu mäkeln und nach Fraktion zu fragen, mich ohne erhaben zu behaupten, für den Staat gebe es keine Interessen. Seine Bewunderung ist auch mit eindringendem Verständnis des Bismarckischen Wirkens und mit herzlicher Dankbarkeit verknüpft. Das alles tritt in der Schrift klar und bestimmt, gedankenreich und in glänzender Darstellung hervor;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/466>, abgerufen am 26.06.2024.