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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Das Flottengesetz

und scetaktischen Gründen sehr schön wieder benennt, versucht werden. Ob wir
diese feindlichen Flotten hindern könne", unsre Seehäfen völlig zu sperren, das
hängt nur von der Stärke der Schlachtflotte ab, die wir ihnen entgegen¬
werfen können. Da nun die Hauptaufgabe unsrer Flotte in einem Kriege
gegen stärkere Seemächte darin besteht, wenigstens Elbe und Weser dem See¬
verkehr offen zu halten, so liegt der Kern der ganzen Flottenfrage und folge¬
richtig auch der Kern des Flottengesetzes in der Stärkung der Schlachtflotte,
in der Vermehrung der Zahl der Linienschiffe. Vor einem Vierteljahrhundert
hat man, wie es scheint, ziemlich willkürlich die Zahl der Panzerschiffe für
diese "lebendige" Küstenvertcidigung (im Gegensatz zur "lokalen" durch Panzer¬
fahrzeuge usw.) auf vierzehn festgesetzt; diese Zahl ist auf zwölf gesunken, weil
die alten Panzerschiffe Kaiser und Deutschland nicht mehr als Linienschiffe in
der Schlachtflotte verwendbar sind, aus einer Reihe triftiger marinetechnischer
Gründe, die dem hohen Alter dieser Schiffe entspringen. Statt daß wir heute
mehr Linienschiffe als 1873 hätten, wie die natürliche Entwicklung aller Ver¬
hältnisse fordert, wie wir auch bei sämtlichen Seemächten beobachten müssen,
selbst bei denen mit recht mäßigen Mitteln, wie Italien, Nordamerika, Ru߬
land und Japan, statt dessen sind wir zurückgeblieben. Daß unsre neuen
Schiffe einzeln betrachtet stärker sind als die alten, kann uns über den Mangel
nicht hinwegtäuschen, weil auch die modernen Schlachtschiffe aller andern
Seemächte in gleichem oder höherm Maße stärker geworden sind als die alten
Panzerschiffe. Die vier im Bau begriffnen japanischen Linienschiffe bekommen
über 15000 Tonnen Größe, während unsre neuesten Schiffe der Kaiser-
Friedrich-Klasse doch nur 11000 Tonnen groß werden: der Unterschied von
4000 Tonnen ist beträchtlich größer als ein ganzes Küstenpanzerschiff der
Siegfriedklasfe, das 3500 Tonnen groß ist. Das beweist doch jedenfalls,
daß unsre Marineleitung Maß zu halten versteht; sieht man näher zu, so
findet man, daß die neuen Linienschiffe aller andern Seemächte mit ein paar
einzelnen Ausnahmen größer als unsre sind. Und weder die Engländer noch
die Franzosen, Russen und Nordamerikaner sind gezwungen, so alte Schiffe
wie unsre vier von der Sachsenklaffe und solch ein kleines Schiff wie die
Oldenburg in die Schlachtlinie einzustellen; die Oldenburg ist nur ein Drittel
so groß wie eins von den zwanzig größten englischen Linienschiffen. Darin,
daß diese fünf Schiffe als Linienschiffe mitgezählt werden, liegt schon eine
große Bereitwilligkeit, soviel von dem vorhandnen Flottenmaterial mitzuver-
wendcn, als nur irgend möglich ist. Wünschenswert wäre aber, daß diese
fünf Schiffe schneller ersetzt würden, als es der Entwurf verlangt; die Sachsen
ist jetzt schon zwanzig Jahre alt, und doch soll der erste Ersatzbau erst in
fünf Jahren begonnen werden, mithin würde die Sachsen mindestens achtund¬
zwanzig, wahrscheinlich aber neunundzwanzig Jahre alt werden, bis sie ersetzt
würde!


Grenzboten IV 1897 57
Das Flottengesetz

und scetaktischen Gründen sehr schön wieder benennt, versucht werden. Ob wir
diese feindlichen Flotten hindern könne», unsre Seehäfen völlig zu sperren, das
hängt nur von der Stärke der Schlachtflotte ab, die wir ihnen entgegen¬
werfen können. Da nun die Hauptaufgabe unsrer Flotte in einem Kriege
gegen stärkere Seemächte darin besteht, wenigstens Elbe und Weser dem See¬
verkehr offen zu halten, so liegt der Kern der ganzen Flottenfrage und folge¬
richtig auch der Kern des Flottengesetzes in der Stärkung der Schlachtflotte,
in der Vermehrung der Zahl der Linienschiffe. Vor einem Vierteljahrhundert
hat man, wie es scheint, ziemlich willkürlich die Zahl der Panzerschiffe für
diese „lebendige" Küstenvertcidigung (im Gegensatz zur „lokalen" durch Panzer¬
fahrzeuge usw.) auf vierzehn festgesetzt; diese Zahl ist auf zwölf gesunken, weil
die alten Panzerschiffe Kaiser und Deutschland nicht mehr als Linienschiffe in
der Schlachtflotte verwendbar sind, aus einer Reihe triftiger marinetechnischer
Gründe, die dem hohen Alter dieser Schiffe entspringen. Statt daß wir heute
mehr Linienschiffe als 1873 hätten, wie die natürliche Entwicklung aller Ver¬
hältnisse fordert, wie wir auch bei sämtlichen Seemächten beobachten müssen,
selbst bei denen mit recht mäßigen Mitteln, wie Italien, Nordamerika, Ru߬
land und Japan, statt dessen sind wir zurückgeblieben. Daß unsre neuen
Schiffe einzeln betrachtet stärker sind als die alten, kann uns über den Mangel
nicht hinwegtäuschen, weil auch die modernen Schlachtschiffe aller andern
Seemächte in gleichem oder höherm Maße stärker geworden sind als die alten
Panzerschiffe. Die vier im Bau begriffnen japanischen Linienschiffe bekommen
über 15000 Tonnen Größe, während unsre neuesten Schiffe der Kaiser-
Friedrich-Klasse doch nur 11000 Tonnen groß werden: der Unterschied von
4000 Tonnen ist beträchtlich größer als ein ganzes Küstenpanzerschiff der
Siegfriedklasfe, das 3500 Tonnen groß ist. Das beweist doch jedenfalls,
daß unsre Marineleitung Maß zu halten versteht; sieht man näher zu, so
findet man, daß die neuen Linienschiffe aller andern Seemächte mit ein paar
einzelnen Ausnahmen größer als unsre sind. Und weder die Engländer noch
die Franzosen, Russen und Nordamerikaner sind gezwungen, so alte Schiffe
wie unsre vier von der Sachsenklaffe und solch ein kleines Schiff wie die
Oldenburg in die Schlachtlinie einzustellen; die Oldenburg ist nur ein Drittel
so groß wie eins von den zwanzig größten englischen Linienschiffen. Darin,
daß diese fünf Schiffe als Linienschiffe mitgezählt werden, liegt schon eine
große Bereitwilligkeit, soviel von dem vorhandnen Flottenmaterial mitzuver-
wendcn, als nur irgend möglich ist. Wünschenswert wäre aber, daß diese
fünf Schiffe schneller ersetzt würden, als es der Entwurf verlangt; die Sachsen
ist jetzt schon zwanzig Jahre alt, und doch soll der erste Ersatzbau erst in
fünf Jahren begonnen werden, mithin würde die Sachsen mindestens achtund¬
zwanzig, wahrscheinlich aber neunundzwanzig Jahre alt werden, bis sie ersetzt
würde!


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[0459] Das Flottengesetz und scetaktischen Gründen sehr schön wieder benennt, versucht werden. Ob wir diese feindlichen Flotten hindern könne», unsre Seehäfen völlig zu sperren, das hängt nur von der Stärke der Schlachtflotte ab, die wir ihnen entgegen¬ werfen können. Da nun die Hauptaufgabe unsrer Flotte in einem Kriege gegen stärkere Seemächte darin besteht, wenigstens Elbe und Weser dem See¬ verkehr offen zu halten, so liegt der Kern der ganzen Flottenfrage und folge¬ richtig auch der Kern des Flottengesetzes in der Stärkung der Schlachtflotte, in der Vermehrung der Zahl der Linienschiffe. Vor einem Vierteljahrhundert hat man, wie es scheint, ziemlich willkürlich die Zahl der Panzerschiffe für diese „lebendige" Küstenvertcidigung (im Gegensatz zur „lokalen" durch Panzer¬ fahrzeuge usw.) auf vierzehn festgesetzt; diese Zahl ist auf zwölf gesunken, weil die alten Panzerschiffe Kaiser und Deutschland nicht mehr als Linienschiffe in der Schlachtflotte verwendbar sind, aus einer Reihe triftiger marinetechnischer Gründe, die dem hohen Alter dieser Schiffe entspringen. Statt daß wir heute mehr Linienschiffe als 1873 hätten, wie die natürliche Entwicklung aller Ver¬ hältnisse fordert, wie wir auch bei sämtlichen Seemächten beobachten müssen, selbst bei denen mit recht mäßigen Mitteln, wie Italien, Nordamerika, Ru߬ land und Japan, statt dessen sind wir zurückgeblieben. Daß unsre neuen Schiffe einzeln betrachtet stärker sind als die alten, kann uns über den Mangel nicht hinwegtäuschen, weil auch die modernen Schlachtschiffe aller andern Seemächte in gleichem oder höherm Maße stärker geworden sind als die alten Panzerschiffe. Die vier im Bau begriffnen japanischen Linienschiffe bekommen über 15000 Tonnen Größe, während unsre neuesten Schiffe der Kaiser- Friedrich-Klasse doch nur 11000 Tonnen groß werden: der Unterschied von 4000 Tonnen ist beträchtlich größer als ein ganzes Küstenpanzerschiff der Siegfriedklasfe, das 3500 Tonnen groß ist. Das beweist doch jedenfalls, daß unsre Marineleitung Maß zu halten versteht; sieht man näher zu, so findet man, daß die neuen Linienschiffe aller andern Seemächte mit ein paar einzelnen Ausnahmen größer als unsre sind. Und weder die Engländer noch die Franzosen, Russen und Nordamerikaner sind gezwungen, so alte Schiffe wie unsre vier von der Sachsenklaffe und solch ein kleines Schiff wie die Oldenburg in die Schlachtlinie einzustellen; die Oldenburg ist nur ein Drittel so groß wie eins von den zwanzig größten englischen Linienschiffen. Darin, daß diese fünf Schiffe als Linienschiffe mitgezählt werden, liegt schon eine große Bereitwilligkeit, soviel von dem vorhandnen Flottenmaterial mitzuver- wendcn, als nur irgend möglich ist. Wünschenswert wäre aber, daß diese fünf Schiffe schneller ersetzt würden, als es der Entwurf verlangt; die Sachsen ist jetzt schon zwanzig Jahre alt, und doch soll der erste Ersatzbau erst in fünf Jahren begonnen werden, mithin würde die Sachsen mindestens achtund¬ zwanzig, wahrscheinlich aber neunundzwanzig Jahre alt werden, bis sie ersetzt würde! Grenzboten IV 1897 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/459>, abgerufen am 26.06.2024.