Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Flottengesetz

Interessengegensätzen. Da gilt es vorzubeugen, um gegen mächtige Nebenbuhler
im Welthandel nicht machtlos zu sein, wenn sie rücksichtslos mit dem Faust¬
recht unsre wirtschaftliche Stellung bedrohen wollen. Nur die Flotte kann
uns die Bewegungsfreiheit auf dem Meer und im Auslande sichern, nur die
Flotte kann bei Interessengegensätzen zwischen verschiednen Seemächten unser
politisches Gewicht vermehren, unsern Wert als Bundesgenossen erhöhen oder
unsre Neutralität sichern. Die starke Flotte ist die einzige Bürgschaft für die
Erhaltung des Friedens gegenüber allen Möchten, denen wir zu Lande nicht
beikommen können.

Die Größe der Flotte muß sich natürlich richten nach der Stärke der zu
erwartenden Gegner. Die Möglichkeit, die erste Seemacht, England, mit
ihren sechzig kriegstüchtigen Schlachtschiffen zu erreichen, ist ausgeschlossen; auch
ist das gar nicht nötig, weil uns England nie mit seiner ganzen Flottenmncht
angreifen kann, ohne seine Seeherrschaft gegen andre Nebenbuhler im Mittel¬
meer, in Ostasien, in Amerika aufs Spiel zu setzen. Auch die zweite Seemacht,
die französische, wird uns wohl nie mit ganzer Macht, mit ihren fünfunddreißig
Schlachtschiffen bedrängen, weil sie ebenfalls ihre Mittelmeerintcressen nicht
ohne Deckung lassen kann. Es wird also genügen, wenn unsre Schlachtflotte
nicht hinter der russischen, der nordamerikanischen und der japanischen zurückbleibt.
Da sich aber die fremden Stärkeverhültnisse in ständiger Bewegung gegen einander
verschieben, so können sie nicht allein den Maßstab für unsre Flottenstärke
bilden. Man muß darnach streben, die Flotte, und insbesondre ihren Kern, die
Schlachtflotte, so stark zu machen, daß sie auch von den stärksten und gefähr¬
lichsten Gegnern nicht nur nicht als Null betrachtet werden darf, sondern als
eine Macht, die überall mit auf die Wagschale drückt, sei es als Freund und
Bundesgenosse, sei es als Feind. Auch die seebeherrschenden Engländer müssen
Scheu davor haben, uns auf der Seite ihrer natürlichen Feinde zu sehe".
Können wir das erreichen, so wird unsre Seemacht die beste Bürgschaft dafür
sei", daß unsre Welthandelsstellung von niemand bedroht, unsre wirtschaftliche
Entwicklung von keinem Neider gehemmt wird. Die starke Flotte sichert also
unsre Bewegungsfreiheit auf der ganzen Erde und zwischen allen neidischen
Konkurrenten; sie erhöht, allgemein gesprochen, unsre politische Macht. Da
es uns bei allen kriegerischen Verwicklungen, sei es mit stärker", sei es mit
schwächern Seemächten, nie darauf ankommen wird, den feindlichen Seehandel
zu zerstören, uns vielmehr stets die Erhaltung des eignen Seeverkehrs die
größte Sorge sein wird, so hat der sogenannte Kreuzer- oder Kaperkrieg für
uns nur insofern Bedeutung, als wir feindliche Kaperkreuzer zerstören müssen,
so gut es geht. Wollen wir größern Seemächten gegenüber nicht ohnmächtig
sein, so müssen wir die Blockade unsrer Küsten verhindern können. Eine solche
Blockade würde von England oder vom Zweibund mit mächtigen Flotten von
Schlachtschiffen oder Linienschiffen, wie sie das Flottengesetz ans geschichtlichen


Das Flottengesetz

Interessengegensätzen. Da gilt es vorzubeugen, um gegen mächtige Nebenbuhler
im Welthandel nicht machtlos zu sein, wenn sie rücksichtslos mit dem Faust¬
recht unsre wirtschaftliche Stellung bedrohen wollen. Nur die Flotte kann
uns die Bewegungsfreiheit auf dem Meer und im Auslande sichern, nur die
Flotte kann bei Interessengegensätzen zwischen verschiednen Seemächten unser
politisches Gewicht vermehren, unsern Wert als Bundesgenossen erhöhen oder
unsre Neutralität sichern. Die starke Flotte ist die einzige Bürgschaft für die
Erhaltung des Friedens gegenüber allen Möchten, denen wir zu Lande nicht
beikommen können.

Die Größe der Flotte muß sich natürlich richten nach der Stärke der zu
erwartenden Gegner. Die Möglichkeit, die erste Seemacht, England, mit
ihren sechzig kriegstüchtigen Schlachtschiffen zu erreichen, ist ausgeschlossen; auch
ist das gar nicht nötig, weil uns England nie mit seiner ganzen Flottenmncht
angreifen kann, ohne seine Seeherrschaft gegen andre Nebenbuhler im Mittel¬
meer, in Ostasien, in Amerika aufs Spiel zu setzen. Auch die zweite Seemacht,
die französische, wird uns wohl nie mit ganzer Macht, mit ihren fünfunddreißig
Schlachtschiffen bedrängen, weil sie ebenfalls ihre Mittelmeerintcressen nicht
ohne Deckung lassen kann. Es wird also genügen, wenn unsre Schlachtflotte
nicht hinter der russischen, der nordamerikanischen und der japanischen zurückbleibt.
Da sich aber die fremden Stärkeverhültnisse in ständiger Bewegung gegen einander
verschieben, so können sie nicht allein den Maßstab für unsre Flottenstärke
bilden. Man muß darnach streben, die Flotte, und insbesondre ihren Kern, die
Schlachtflotte, so stark zu machen, daß sie auch von den stärksten und gefähr¬
lichsten Gegnern nicht nur nicht als Null betrachtet werden darf, sondern als
eine Macht, die überall mit auf die Wagschale drückt, sei es als Freund und
Bundesgenosse, sei es als Feind. Auch die seebeherrschenden Engländer müssen
Scheu davor haben, uns auf der Seite ihrer natürlichen Feinde zu sehe».
Können wir das erreichen, so wird unsre Seemacht die beste Bürgschaft dafür
sei», daß unsre Welthandelsstellung von niemand bedroht, unsre wirtschaftliche
Entwicklung von keinem Neider gehemmt wird. Die starke Flotte sichert also
unsre Bewegungsfreiheit auf der ganzen Erde und zwischen allen neidischen
Konkurrenten; sie erhöht, allgemein gesprochen, unsre politische Macht. Da
es uns bei allen kriegerischen Verwicklungen, sei es mit stärker«, sei es mit
schwächern Seemächten, nie darauf ankommen wird, den feindlichen Seehandel
zu zerstören, uns vielmehr stets die Erhaltung des eignen Seeverkehrs die
größte Sorge sein wird, so hat der sogenannte Kreuzer- oder Kaperkrieg für
uns nur insofern Bedeutung, als wir feindliche Kaperkreuzer zerstören müssen,
so gut es geht. Wollen wir größern Seemächten gegenüber nicht ohnmächtig
sein, so müssen wir die Blockade unsrer Küsten verhindern können. Eine solche
Blockade würde von England oder vom Zweibund mit mächtigen Flotten von
Schlachtschiffen oder Linienschiffen, wie sie das Flottengesetz ans geschichtlichen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0458" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226688"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Flottengesetz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1138" prev="#ID_1137"> Interessengegensätzen. Da gilt es vorzubeugen, um gegen mächtige Nebenbuhler<lb/>
im Welthandel nicht machtlos zu sein, wenn sie rücksichtslos mit dem Faust¬<lb/>
recht unsre wirtschaftliche Stellung bedrohen wollen. Nur die Flotte kann<lb/>
uns die Bewegungsfreiheit auf dem Meer und im Auslande sichern, nur die<lb/>
Flotte kann bei Interessengegensätzen zwischen verschiednen Seemächten unser<lb/>
politisches Gewicht vermehren, unsern Wert als Bundesgenossen erhöhen oder<lb/>
unsre Neutralität sichern. Die starke Flotte ist die einzige Bürgschaft für die<lb/>
Erhaltung des Friedens gegenüber allen Möchten, denen wir zu Lande nicht<lb/>
beikommen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1139" next="#ID_1140"> Die Größe der Flotte muß sich natürlich richten nach der Stärke der zu<lb/>
erwartenden Gegner. Die Möglichkeit, die erste Seemacht, England, mit<lb/>
ihren sechzig kriegstüchtigen Schlachtschiffen zu erreichen, ist ausgeschlossen; auch<lb/>
ist das gar nicht nötig, weil uns England nie mit seiner ganzen Flottenmncht<lb/>
angreifen kann, ohne seine Seeherrschaft gegen andre Nebenbuhler im Mittel¬<lb/>
meer, in Ostasien, in Amerika aufs Spiel zu setzen. Auch die zweite Seemacht,<lb/>
die französische, wird uns wohl nie mit ganzer Macht, mit ihren fünfunddreißig<lb/>
Schlachtschiffen bedrängen, weil sie ebenfalls ihre Mittelmeerintcressen nicht<lb/>
ohne Deckung lassen kann. Es wird also genügen, wenn unsre Schlachtflotte<lb/>
nicht hinter der russischen, der nordamerikanischen und der japanischen zurückbleibt.<lb/>
Da sich aber die fremden Stärkeverhültnisse in ständiger Bewegung gegen einander<lb/>
verschieben, so können sie nicht allein den Maßstab für unsre Flottenstärke<lb/>
bilden. Man muß darnach streben, die Flotte, und insbesondre ihren Kern, die<lb/>
Schlachtflotte, so stark zu machen, daß sie auch von den stärksten und gefähr¬<lb/>
lichsten Gegnern nicht nur nicht als Null betrachtet werden darf, sondern als<lb/>
eine Macht, die überall mit auf die Wagschale drückt, sei es als Freund und<lb/>
Bundesgenosse, sei es als Feind. Auch die seebeherrschenden Engländer müssen<lb/>
Scheu davor haben, uns auf der Seite ihrer natürlichen Feinde zu sehe».<lb/>
Können wir das erreichen, so wird unsre Seemacht die beste Bürgschaft dafür<lb/>
sei», daß unsre Welthandelsstellung von niemand bedroht, unsre wirtschaftliche<lb/>
Entwicklung von keinem Neider gehemmt wird. Die starke Flotte sichert also<lb/>
unsre Bewegungsfreiheit auf der ganzen Erde und zwischen allen neidischen<lb/>
Konkurrenten; sie erhöht, allgemein gesprochen, unsre politische Macht. Da<lb/>
es uns bei allen kriegerischen Verwicklungen, sei es mit stärker«, sei es mit<lb/>
schwächern Seemächten, nie darauf ankommen wird, den feindlichen Seehandel<lb/>
zu zerstören, uns vielmehr stets die Erhaltung des eignen Seeverkehrs die<lb/>
größte Sorge sein wird, so hat der sogenannte Kreuzer- oder Kaperkrieg für<lb/>
uns nur insofern Bedeutung, als wir feindliche Kaperkreuzer zerstören müssen,<lb/>
so gut es geht. Wollen wir größern Seemächten gegenüber nicht ohnmächtig<lb/>
sein, so müssen wir die Blockade unsrer Küsten verhindern können. Eine solche<lb/>
Blockade würde von England oder vom Zweibund mit mächtigen Flotten von<lb/>
Schlachtschiffen oder Linienschiffen, wie sie das Flottengesetz ans geschichtlichen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0458] Das Flottengesetz Interessengegensätzen. Da gilt es vorzubeugen, um gegen mächtige Nebenbuhler im Welthandel nicht machtlos zu sein, wenn sie rücksichtslos mit dem Faust¬ recht unsre wirtschaftliche Stellung bedrohen wollen. Nur die Flotte kann uns die Bewegungsfreiheit auf dem Meer und im Auslande sichern, nur die Flotte kann bei Interessengegensätzen zwischen verschiednen Seemächten unser politisches Gewicht vermehren, unsern Wert als Bundesgenossen erhöhen oder unsre Neutralität sichern. Die starke Flotte ist die einzige Bürgschaft für die Erhaltung des Friedens gegenüber allen Möchten, denen wir zu Lande nicht beikommen können. Die Größe der Flotte muß sich natürlich richten nach der Stärke der zu erwartenden Gegner. Die Möglichkeit, die erste Seemacht, England, mit ihren sechzig kriegstüchtigen Schlachtschiffen zu erreichen, ist ausgeschlossen; auch ist das gar nicht nötig, weil uns England nie mit seiner ganzen Flottenmncht angreifen kann, ohne seine Seeherrschaft gegen andre Nebenbuhler im Mittel¬ meer, in Ostasien, in Amerika aufs Spiel zu setzen. Auch die zweite Seemacht, die französische, wird uns wohl nie mit ganzer Macht, mit ihren fünfunddreißig Schlachtschiffen bedrängen, weil sie ebenfalls ihre Mittelmeerintcressen nicht ohne Deckung lassen kann. Es wird also genügen, wenn unsre Schlachtflotte nicht hinter der russischen, der nordamerikanischen und der japanischen zurückbleibt. Da sich aber die fremden Stärkeverhültnisse in ständiger Bewegung gegen einander verschieben, so können sie nicht allein den Maßstab für unsre Flottenstärke bilden. Man muß darnach streben, die Flotte, und insbesondre ihren Kern, die Schlachtflotte, so stark zu machen, daß sie auch von den stärksten und gefähr¬ lichsten Gegnern nicht nur nicht als Null betrachtet werden darf, sondern als eine Macht, die überall mit auf die Wagschale drückt, sei es als Freund und Bundesgenosse, sei es als Feind. Auch die seebeherrschenden Engländer müssen Scheu davor haben, uns auf der Seite ihrer natürlichen Feinde zu sehe». Können wir das erreichen, so wird unsre Seemacht die beste Bürgschaft dafür sei», daß unsre Welthandelsstellung von niemand bedroht, unsre wirtschaftliche Entwicklung von keinem Neider gehemmt wird. Die starke Flotte sichert also unsre Bewegungsfreiheit auf der ganzen Erde und zwischen allen neidischen Konkurrenten; sie erhöht, allgemein gesprochen, unsre politische Macht. Da es uns bei allen kriegerischen Verwicklungen, sei es mit stärker«, sei es mit schwächern Seemächten, nie darauf ankommen wird, den feindlichen Seehandel zu zerstören, uns vielmehr stets die Erhaltung des eignen Seeverkehrs die größte Sorge sein wird, so hat der sogenannte Kreuzer- oder Kaperkrieg für uns nur insofern Bedeutung, als wir feindliche Kaperkreuzer zerstören müssen, so gut es geht. Wollen wir größern Seemächten gegenüber nicht ohnmächtig sein, so müssen wir die Blockade unsrer Küsten verhindern können. Eine solche Blockade würde von England oder vom Zweibund mit mächtigen Flotten von Schlachtschiffen oder Linienschiffen, wie sie das Flottengesetz ans geschichtlichen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/458
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/458>, abgerufen am 26.06.2024.