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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Das Flotteugesetz

für die Kriegstüchtigkeit der Flotte bekommen erst dauernden Wert, wenn
sie auf fester Grundlage, d. h. auf bestimmter Flottenstärke aufgebaut werden.
Visher haben die ruckweise vorgenommnen Veränderungen im Schiffsbestande,
die großen Pausen im Schiffbau, während denen die Schiffe veralteten, ohne
rechtzeitig ersetzt zu werden, alle Kriegsübuugen der Flotte außerordentlich er¬
schwert; denn immer mußten, gewissermaßen als Statisten, Schiffe zu den Übungen
mit herangezogen werden, die, wie z. B. das Flottenflaggschiff Blücher, kriegs-
uubrauchbare Schulschiffe waren, oder die nach ihrer ganzen Bauart und Be-
stimmung gar nicht in die Schlachtflotte hineingehören, wie die Küstenpanzer¬
schiffe der Siegfriedklasse und gar die Panzerkanonenboote. Solchen verworrenen
Zuständen hilft das Gesetz ab. Und wie sehr muß das Gesetz dazu beitragen,
die schwierige Verwaltung der Marine einfacher, übersichtlicher und vor allen
Dingen auch zweckmäßiger zu gestalten! Denn es schafft die Möglichkeit plan¬
mäßiger Arbeit ohne Überstürzung und ohne Unterbrechung, weil das Ziel
für die Arbeit feststeht. Genug, nicht nur die staatsrechtlichen Interessen,
sondern auch die Interessen des Oberkommandos und der Verwaltung der
Marine fordern die gesetzliche Bestimmung der Flottenstnrke.

Da nun unsre Flotte augenblicklich schwächer ist, als sie nach dem
Flottengrüuduugsplane von 1873 sein müßte, so würde es ein Rückschritt sein,
wenn man heute, nach einem Vierteljahrhundert, an der damals erforderlichen
Schiffszahl bei den einzelnen Schiffsgattungen festhalten wollte. Die Aufgaben
der Kriegsflotte sind, abgesehen von dem Schutz der inzwischen erworbnen
Kolonien, allerdings unverändert geblieben, aber die Anforderungen an die
Flotte zur Erfüllung jeder dieser Aufgaben sind seitdem bedeutend gewachsen.

Warum sind die Anforderungen an die Flotte seit der Aufstellung des
Flottengründungsplans bedeutend gewachsen? Der unvergeßliche, verdiente
erste deutsche Marineorganisator, General von Stosch. hat das sehr kurz, aber
bezeichnend schon im Jahre 1886 in die Worte gefaßt: "Wie klein war
damals noch die deutsche Welt!" Inzwischen hat sich die Zeitspanne, um die
der alte Gründuugsplan zurückliegt, verdoppelt, die deutsche Welt ist seitdem
noch stärker gewachsen, als in der Zeit, die Stosch mit seinem Ausspruch
umfaßt. Nicht nur die Kolonien sollen damit gemeint sein, sondern das riesige,
um 1873 noch völlig ungeahnte Wachstum des deutscheu Seeverkehrs, als
Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs in allen Gewerben, und als Folge der
notwendigen Entwicklung des Ausfuhr- und Eiufuhrhaudels; der überseeische
deutsche Unternehmungsgeist ist mächtig gestiegen, viel deutsches Blut und Gut
arbeitet heute zum eignen und zum allgemeinen deutschen Nutzen in fremden
Ländern fern von den europäischen Küsten. Der Pulsschlag des mächtig
wachsenden Volks ist kräftiger geworden und macht sich auf der ganzen Erde
fühlbar. Unser Verkehr mit den andern Völkern der Erde ist lebhafter denn
je; der vermehrte Verkehr vergrößert aber auch das Aneinanderstoßen von


Das Flotteugesetz

für die Kriegstüchtigkeit der Flotte bekommen erst dauernden Wert, wenn
sie auf fester Grundlage, d. h. auf bestimmter Flottenstärke aufgebaut werden.
Visher haben die ruckweise vorgenommnen Veränderungen im Schiffsbestande,
die großen Pausen im Schiffbau, während denen die Schiffe veralteten, ohne
rechtzeitig ersetzt zu werden, alle Kriegsübuugen der Flotte außerordentlich er¬
schwert; denn immer mußten, gewissermaßen als Statisten, Schiffe zu den Übungen
mit herangezogen werden, die, wie z. B. das Flottenflaggschiff Blücher, kriegs-
uubrauchbare Schulschiffe waren, oder die nach ihrer ganzen Bauart und Be-
stimmung gar nicht in die Schlachtflotte hineingehören, wie die Küstenpanzer¬
schiffe der Siegfriedklasse und gar die Panzerkanonenboote. Solchen verworrenen
Zuständen hilft das Gesetz ab. Und wie sehr muß das Gesetz dazu beitragen,
die schwierige Verwaltung der Marine einfacher, übersichtlicher und vor allen
Dingen auch zweckmäßiger zu gestalten! Denn es schafft die Möglichkeit plan¬
mäßiger Arbeit ohne Überstürzung und ohne Unterbrechung, weil das Ziel
für die Arbeit feststeht. Genug, nicht nur die staatsrechtlichen Interessen,
sondern auch die Interessen des Oberkommandos und der Verwaltung der
Marine fordern die gesetzliche Bestimmung der Flottenstnrke.

Da nun unsre Flotte augenblicklich schwächer ist, als sie nach dem
Flottengrüuduugsplane von 1873 sein müßte, so würde es ein Rückschritt sein,
wenn man heute, nach einem Vierteljahrhundert, an der damals erforderlichen
Schiffszahl bei den einzelnen Schiffsgattungen festhalten wollte. Die Aufgaben
der Kriegsflotte sind, abgesehen von dem Schutz der inzwischen erworbnen
Kolonien, allerdings unverändert geblieben, aber die Anforderungen an die
Flotte zur Erfüllung jeder dieser Aufgaben sind seitdem bedeutend gewachsen.

Warum sind die Anforderungen an die Flotte seit der Aufstellung des
Flottengründungsplans bedeutend gewachsen? Der unvergeßliche, verdiente
erste deutsche Marineorganisator, General von Stosch. hat das sehr kurz, aber
bezeichnend schon im Jahre 1886 in die Worte gefaßt: „Wie klein war
damals noch die deutsche Welt!" Inzwischen hat sich die Zeitspanne, um die
der alte Gründuugsplan zurückliegt, verdoppelt, die deutsche Welt ist seitdem
noch stärker gewachsen, als in der Zeit, die Stosch mit seinem Ausspruch
umfaßt. Nicht nur die Kolonien sollen damit gemeint sein, sondern das riesige,
um 1873 noch völlig ungeahnte Wachstum des deutscheu Seeverkehrs, als
Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs in allen Gewerben, und als Folge der
notwendigen Entwicklung des Ausfuhr- und Eiufuhrhaudels; der überseeische
deutsche Unternehmungsgeist ist mächtig gestiegen, viel deutsches Blut und Gut
arbeitet heute zum eignen und zum allgemeinen deutschen Nutzen in fremden
Ländern fern von den europäischen Küsten. Der Pulsschlag des mächtig
wachsenden Volks ist kräftiger geworden und macht sich auf der ganzen Erde
fühlbar. Unser Verkehr mit den andern Völkern der Erde ist lebhafter denn
je; der vermehrte Verkehr vergrößert aber auch das Aneinanderstoßen von


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[0457] Das Flotteugesetz für die Kriegstüchtigkeit der Flotte bekommen erst dauernden Wert, wenn sie auf fester Grundlage, d. h. auf bestimmter Flottenstärke aufgebaut werden. Visher haben die ruckweise vorgenommnen Veränderungen im Schiffsbestande, die großen Pausen im Schiffbau, während denen die Schiffe veralteten, ohne rechtzeitig ersetzt zu werden, alle Kriegsübuugen der Flotte außerordentlich er¬ schwert; denn immer mußten, gewissermaßen als Statisten, Schiffe zu den Übungen mit herangezogen werden, die, wie z. B. das Flottenflaggschiff Blücher, kriegs- uubrauchbare Schulschiffe waren, oder die nach ihrer ganzen Bauart und Be- stimmung gar nicht in die Schlachtflotte hineingehören, wie die Küstenpanzer¬ schiffe der Siegfriedklasse und gar die Panzerkanonenboote. Solchen verworrenen Zuständen hilft das Gesetz ab. Und wie sehr muß das Gesetz dazu beitragen, die schwierige Verwaltung der Marine einfacher, übersichtlicher und vor allen Dingen auch zweckmäßiger zu gestalten! Denn es schafft die Möglichkeit plan¬ mäßiger Arbeit ohne Überstürzung und ohne Unterbrechung, weil das Ziel für die Arbeit feststeht. Genug, nicht nur die staatsrechtlichen Interessen, sondern auch die Interessen des Oberkommandos und der Verwaltung der Marine fordern die gesetzliche Bestimmung der Flottenstnrke. Da nun unsre Flotte augenblicklich schwächer ist, als sie nach dem Flottengrüuduugsplane von 1873 sein müßte, so würde es ein Rückschritt sein, wenn man heute, nach einem Vierteljahrhundert, an der damals erforderlichen Schiffszahl bei den einzelnen Schiffsgattungen festhalten wollte. Die Aufgaben der Kriegsflotte sind, abgesehen von dem Schutz der inzwischen erworbnen Kolonien, allerdings unverändert geblieben, aber die Anforderungen an die Flotte zur Erfüllung jeder dieser Aufgaben sind seitdem bedeutend gewachsen. Warum sind die Anforderungen an die Flotte seit der Aufstellung des Flottengründungsplans bedeutend gewachsen? Der unvergeßliche, verdiente erste deutsche Marineorganisator, General von Stosch. hat das sehr kurz, aber bezeichnend schon im Jahre 1886 in die Worte gefaßt: „Wie klein war damals noch die deutsche Welt!" Inzwischen hat sich die Zeitspanne, um die der alte Gründuugsplan zurückliegt, verdoppelt, die deutsche Welt ist seitdem noch stärker gewachsen, als in der Zeit, die Stosch mit seinem Ausspruch umfaßt. Nicht nur die Kolonien sollen damit gemeint sein, sondern das riesige, um 1873 noch völlig ungeahnte Wachstum des deutscheu Seeverkehrs, als Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs in allen Gewerben, und als Folge der notwendigen Entwicklung des Ausfuhr- und Eiufuhrhaudels; der überseeische deutsche Unternehmungsgeist ist mächtig gestiegen, viel deutsches Blut und Gut arbeitet heute zum eignen und zum allgemeinen deutschen Nutzen in fremden Ländern fern von den europäischen Küsten. Der Pulsschlag des mächtig wachsenden Volks ist kräftiger geworden und macht sich auf der ganzen Erde fühlbar. Unser Verkehr mit den andern Völkern der Erde ist lebhafter denn je; der vermehrte Verkehr vergrößert aber auch das Aneinanderstoßen von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/457>, abgerufen am 26.06.2024.