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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Anthropologische Fragen

ehe er die Feder angesetzt habe. Daraus, daß außer Turgenjesf noch Byron
und Thcickeray zu oberst, Schlagintweit und Justus von Liebig ziemlich weit
unten in der Reihe stehen, könnte man die Vermutung schöpfen, daß eine starke
Phantasie einen größern Hirnkasten erfordert als das Gelehrtengenie; aber
mehr als Vermutungen wird der gewissenhafte Gelehrte nicht wagen, namentlich
bei der verhältnismäßig so geringen Zahl von Gehirnen, die bis jetzt gewogen
worden sind. Daß es weniger auf die Größe als auf die Struktur des Ge¬
hirns ankommt, hebt auch Ammon hervor, der freilich lieber Kopfform als
Struktur sagt, obwohl zweifellos diese die Hauptsache ist; er muß es schon
darum hervorheben, weil ja bei gleichem Umfang der Nundkopf mehr Inhalt
hat als der Langkopf, also ein größeres und schwereres Hirn birgt. Da haben
wir nun aber wieder die merkwürdige Thatsache, daß Napoleon I. und Kant
Rundköpfe gewesen sind. Bei Napoleon freilich findet es Ammon ganz in der
Ordnung: "In der That war Napoleon der richtige Typus eines Dschingischan
und der geborne Abgott eines rundköpfigen Volkes." Dieser Satz ist ungemein
bezeichnend für die Denk- und Erinnerungsschwäche des Verfassers. Er steht
mit zweien seiner Behauptungen im Widerspruch, die sich ihrerseits wieder
untereinander widersprechen. Erstens nämlich hat Ammon hervorgehoben, daß
die Langköpfe in der Geschichte als Beherrscher der Rundköpfe auftreten, und
das ist ja auch wahr, wenn wir die wenig berechtigte Bezeichnung Langköpfe
für die arische Nasse einmal durchgehen lassen wollen. Das auffälligste Bei¬
spiel ist die Thatsache, daß Germanen vormals den russischen Staat gegründet
haben, und daß bis auf den heutigen Tag eine deutsche Dynastie die Nüssen
beherrscht. Ammon vermutet scigar, daß Leo XIII., der gegenwärtige kluge
Beherrscher der "rundköpfigen" Katholiken, ein Langkopf sei. Es ist also nicht
richtig, daß sich ein Nundkopf am besten zur Beherrschung eines Volkes von
Rundköpfen eigne. Den Dschingischan, in dem noch dazu Lapouge wahr¬
scheinlich einen Langkopf vermutet, haben freilich die Mongolen seiner Horde
angebetet, die er mit der Beute seiner Eroberungen bereicherte, aber die Unter¬
jochten und Ausgeplünderten haben ihn nicht angebetet, sondern verwünscht,
gleichviel ob sie Lang- oder Nuudschädcl waren. Und so haben die Franzosen
ihren Napoleon nicht angebetet, weil er die Eigenschaften eines Nundschädels
gehabt hatte, oder weil sie selbst diese hatten, sondern weil er sie zu Sieges¬
ruhm und reicher Beute führte; der Napoleonkultns beruht gerade auf Laug-
schüdelcigenschaften des Gefeierten wie der Verehrer, gleichviel wie beider
Schädel beschaffen gewesen sein mögen. Sodann behauptet ja Ammon, die
Nundschädel haßten alles, was über die Mittelmäßigkeit hervorrage, was frei¬
lich schon der andern Behauptung widerspricht, sie seien gewöhnlich gefügige,
also doch wohl bereitwillig gehorchende Unterthanen.

Sicher ist in diesen Dingen nur folgendes. Es giebt hochbegabte und
wenig begabte, es giebt edle und unedle Völker. Beide Gegensätze fallen bei


Anthropologische Fragen

ehe er die Feder angesetzt habe. Daraus, daß außer Turgenjesf noch Byron
und Thcickeray zu oberst, Schlagintweit und Justus von Liebig ziemlich weit
unten in der Reihe stehen, könnte man die Vermutung schöpfen, daß eine starke
Phantasie einen größern Hirnkasten erfordert als das Gelehrtengenie; aber
mehr als Vermutungen wird der gewissenhafte Gelehrte nicht wagen, namentlich
bei der verhältnismäßig so geringen Zahl von Gehirnen, die bis jetzt gewogen
worden sind. Daß es weniger auf die Größe als auf die Struktur des Ge¬
hirns ankommt, hebt auch Ammon hervor, der freilich lieber Kopfform als
Struktur sagt, obwohl zweifellos diese die Hauptsache ist; er muß es schon
darum hervorheben, weil ja bei gleichem Umfang der Nundkopf mehr Inhalt
hat als der Langkopf, also ein größeres und schwereres Hirn birgt. Da haben
wir nun aber wieder die merkwürdige Thatsache, daß Napoleon I. und Kant
Rundköpfe gewesen sind. Bei Napoleon freilich findet es Ammon ganz in der
Ordnung: „In der That war Napoleon der richtige Typus eines Dschingischan
und der geborne Abgott eines rundköpfigen Volkes." Dieser Satz ist ungemein
bezeichnend für die Denk- und Erinnerungsschwäche des Verfassers. Er steht
mit zweien seiner Behauptungen im Widerspruch, die sich ihrerseits wieder
untereinander widersprechen. Erstens nämlich hat Ammon hervorgehoben, daß
die Langköpfe in der Geschichte als Beherrscher der Rundköpfe auftreten, und
das ist ja auch wahr, wenn wir die wenig berechtigte Bezeichnung Langköpfe
für die arische Nasse einmal durchgehen lassen wollen. Das auffälligste Bei¬
spiel ist die Thatsache, daß Germanen vormals den russischen Staat gegründet
haben, und daß bis auf den heutigen Tag eine deutsche Dynastie die Nüssen
beherrscht. Ammon vermutet scigar, daß Leo XIII., der gegenwärtige kluge
Beherrscher der „rundköpfigen" Katholiken, ein Langkopf sei. Es ist also nicht
richtig, daß sich ein Nundkopf am besten zur Beherrschung eines Volkes von
Rundköpfen eigne. Den Dschingischan, in dem noch dazu Lapouge wahr¬
scheinlich einen Langkopf vermutet, haben freilich die Mongolen seiner Horde
angebetet, die er mit der Beute seiner Eroberungen bereicherte, aber die Unter¬
jochten und Ausgeplünderten haben ihn nicht angebetet, sondern verwünscht,
gleichviel ob sie Lang- oder Nuudschädcl waren. Und so haben die Franzosen
ihren Napoleon nicht angebetet, weil er die Eigenschaften eines Nundschädels
gehabt hatte, oder weil sie selbst diese hatten, sondern weil er sie zu Sieges¬
ruhm und reicher Beute führte; der Napoleonkultns beruht gerade auf Laug-
schüdelcigenschaften des Gefeierten wie der Verehrer, gleichviel wie beider
Schädel beschaffen gewesen sein mögen. Sodann behauptet ja Ammon, die
Nundschädel haßten alles, was über die Mittelmäßigkeit hervorrage, was frei¬
lich schon der andern Behauptung widerspricht, sie seien gewöhnlich gefügige,
also doch wohl bereitwillig gehorchende Unterthanen.

Sicher ist in diesen Dingen nur folgendes. Es giebt hochbegabte und
wenig begabte, es giebt edle und unedle Völker. Beide Gegensätze fallen bei


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[0428] Anthropologische Fragen ehe er die Feder angesetzt habe. Daraus, daß außer Turgenjesf noch Byron und Thcickeray zu oberst, Schlagintweit und Justus von Liebig ziemlich weit unten in der Reihe stehen, könnte man die Vermutung schöpfen, daß eine starke Phantasie einen größern Hirnkasten erfordert als das Gelehrtengenie; aber mehr als Vermutungen wird der gewissenhafte Gelehrte nicht wagen, namentlich bei der verhältnismäßig so geringen Zahl von Gehirnen, die bis jetzt gewogen worden sind. Daß es weniger auf die Größe als auf die Struktur des Ge¬ hirns ankommt, hebt auch Ammon hervor, der freilich lieber Kopfform als Struktur sagt, obwohl zweifellos diese die Hauptsache ist; er muß es schon darum hervorheben, weil ja bei gleichem Umfang der Nundkopf mehr Inhalt hat als der Langkopf, also ein größeres und schwereres Hirn birgt. Da haben wir nun aber wieder die merkwürdige Thatsache, daß Napoleon I. und Kant Rundköpfe gewesen sind. Bei Napoleon freilich findet es Ammon ganz in der Ordnung: „In der That war Napoleon der richtige Typus eines Dschingischan und der geborne Abgott eines rundköpfigen Volkes." Dieser Satz ist ungemein bezeichnend für die Denk- und Erinnerungsschwäche des Verfassers. Er steht mit zweien seiner Behauptungen im Widerspruch, die sich ihrerseits wieder untereinander widersprechen. Erstens nämlich hat Ammon hervorgehoben, daß die Langköpfe in der Geschichte als Beherrscher der Rundköpfe auftreten, und das ist ja auch wahr, wenn wir die wenig berechtigte Bezeichnung Langköpfe für die arische Nasse einmal durchgehen lassen wollen. Das auffälligste Bei¬ spiel ist die Thatsache, daß Germanen vormals den russischen Staat gegründet haben, und daß bis auf den heutigen Tag eine deutsche Dynastie die Nüssen beherrscht. Ammon vermutet scigar, daß Leo XIII., der gegenwärtige kluge Beherrscher der „rundköpfigen" Katholiken, ein Langkopf sei. Es ist also nicht richtig, daß sich ein Nundkopf am besten zur Beherrschung eines Volkes von Rundköpfen eigne. Den Dschingischan, in dem noch dazu Lapouge wahr¬ scheinlich einen Langkopf vermutet, haben freilich die Mongolen seiner Horde angebetet, die er mit der Beute seiner Eroberungen bereicherte, aber die Unter¬ jochten und Ausgeplünderten haben ihn nicht angebetet, sondern verwünscht, gleichviel ob sie Lang- oder Nuudschädcl waren. Und so haben die Franzosen ihren Napoleon nicht angebetet, weil er die Eigenschaften eines Nundschädels gehabt hatte, oder weil sie selbst diese hatten, sondern weil er sie zu Sieges¬ ruhm und reicher Beute führte; der Napoleonkultns beruht gerade auf Laug- schüdelcigenschaften des Gefeierten wie der Verehrer, gleichviel wie beider Schädel beschaffen gewesen sein mögen. Sodann behauptet ja Ammon, die Nundschädel haßten alles, was über die Mittelmäßigkeit hervorrage, was frei¬ lich schon der andern Behauptung widerspricht, sie seien gewöhnlich gefügige, also doch wohl bereitwillig gehorchende Unterthanen. Sicher ist in diesen Dingen nur folgendes. Es giebt hochbegabte und wenig begabte, es giebt edle und unedle Völker. Beide Gegensätze fallen bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/428>, abgerufen am 29.06.2024.