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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Anthropologische Fragen

Gouvernement Ssaratow -- liegenden Kreisstadt Wolsk gegenüber, in die
Wolga mündet, und südlich der Jeruslan, der nördlich von der Kreisstadt
Kamyschin, gegenüber von der am rechten Ufer liegenden deutschen Kolonie
Ast-Kulalinka (Galla) gleichfalls in die Wolga fällt. Die Entfernung zwischen
den Mündungen dieser beiden Steppenflüsse beträgt aber mehr als 300 russische
Werst oder fast 50 deutsche Meilen; wir haben es also mit einer Flüche zu
thun, die manches Königreich an Ausdehnung und Umfang übertrifft. Es
giebt hier allerdings auch eine Anzahl russischer Dörfer, in der Hauptsache ist
aber das Gebiet in den Händen der deutschen Kolonisten, denen hier eine Ge¬
legenheit zum schnellen Emporkommen geboten wurde, wie sich keine zweite
finden dürfte.

(Schluß folgt)




Anthropologische Fragen
(Fortschmici)

le geht es nun zu, fragt Ammon, daß sich die Städte Lang-
schüdel auslesen? Die Schädelform verschafft doch ebenso wenig
einen Vorteil im Kampfe ums Dasein, wie blaue Augen und
blonde Haare. Diese körperlichen Eigenschaften, antwortet er,
sind an sich freilich kein Vorteil, wohl aber die seelischen Eigen¬
schaften der Nasse, deren Kennzeichen sie sind. Die Stadt zieht die Lang¬
schädel nicht aus den Dörfern heraus, wie der Magnet Eisenfeilspäne aus
einem Haufen von Sügespänen, sondern es wandern Langschändel und Rnnd-
schädel in die Stadt, um dort Arbeit zu suchen. Da aber die Langschädel
fähiger und tüchtiger sind, so regt sich in ihnen der Trieb, in der Stadt ihr
Glück zu suchen, allgemeiner als in den Nundschädeln, daher verläßt von
ihnen ein größerer Teil die Heimat als von diesen, und in der Stadt be¬
haupten sie sich leichter als die Rundschädel; so wird denn ein größerer Teil
von ihnen dauernd ansässig, und so kommt es denn, daß die echten Städter
langschädliger, blonder und blauäugiger sind als die Eingewanderten. Da,
wie bemerkt worden ist, die Schädelform und die Komplexion nicht unlöslich
an einander gebunden sind, sondern getrennt vererbt werden, so darf man sich,
nicht darüber Wundern, daß viele brünette Langköpfe und blonde oder blau¬
äugige Rundköpfe vorkommen. Die von echten Städtern stammenden Wehr¬
pflichtige" zeichnen sich nun gerade dadurch aus, daß bei ihnen die Verbindung


Anthropologische Fragen

Gouvernement Ssaratow — liegenden Kreisstadt Wolsk gegenüber, in die
Wolga mündet, und südlich der Jeruslan, der nördlich von der Kreisstadt
Kamyschin, gegenüber von der am rechten Ufer liegenden deutschen Kolonie
Ast-Kulalinka (Galla) gleichfalls in die Wolga fällt. Die Entfernung zwischen
den Mündungen dieser beiden Steppenflüsse beträgt aber mehr als 300 russische
Werst oder fast 50 deutsche Meilen; wir haben es also mit einer Flüche zu
thun, die manches Königreich an Ausdehnung und Umfang übertrifft. Es
giebt hier allerdings auch eine Anzahl russischer Dörfer, in der Hauptsache ist
aber das Gebiet in den Händen der deutschen Kolonisten, denen hier eine Ge¬
legenheit zum schnellen Emporkommen geboten wurde, wie sich keine zweite
finden dürfte.

(Schluß folgt)




Anthropologische Fragen
(Fortschmici)

le geht es nun zu, fragt Ammon, daß sich die Städte Lang-
schüdel auslesen? Die Schädelform verschafft doch ebenso wenig
einen Vorteil im Kampfe ums Dasein, wie blaue Augen und
blonde Haare. Diese körperlichen Eigenschaften, antwortet er,
sind an sich freilich kein Vorteil, wohl aber die seelischen Eigen¬
schaften der Nasse, deren Kennzeichen sie sind. Die Stadt zieht die Lang¬
schädel nicht aus den Dörfern heraus, wie der Magnet Eisenfeilspäne aus
einem Haufen von Sügespänen, sondern es wandern Langschändel und Rnnd-
schädel in die Stadt, um dort Arbeit zu suchen. Da aber die Langschädel
fähiger und tüchtiger sind, so regt sich in ihnen der Trieb, in der Stadt ihr
Glück zu suchen, allgemeiner als in den Nundschädeln, daher verläßt von
ihnen ein größerer Teil die Heimat als von diesen, und in der Stadt be¬
haupten sie sich leichter als die Rundschädel; so wird denn ein größerer Teil
von ihnen dauernd ansässig, und so kommt es denn, daß die echten Städter
langschädliger, blonder und blauäugiger sind als die Eingewanderten. Da,
wie bemerkt worden ist, die Schädelform und die Komplexion nicht unlöslich
an einander gebunden sind, sondern getrennt vererbt werden, so darf man sich,
nicht darüber Wundern, daß viele brünette Langköpfe und blonde oder blau¬
äugige Rundköpfe vorkommen. Die von echten Städtern stammenden Wehr¬
pflichtige» zeichnen sich nun gerade dadurch aus, daß bei ihnen die Verbindung


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[0423] Anthropologische Fragen Gouvernement Ssaratow — liegenden Kreisstadt Wolsk gegenüber, in die Wolga mündet, und südlich der Jeruslan, der nördlich von der Kreisstadt Kamyschin, gegenüber von der am rechten Ufer liegenden deutschen Kolonie Ast-Kulalinka (Galla) gleichfalls in die Wolga fällt. Die Entfernung zwischen den Mündungen dieser beiden Steppenflüsse beträgt aber mehr als 300 russische Werst oder fast 50 deutsche Meilen; wir haben es also mit einer Flüche zu thun, die manches Königreich an Ausdehnung und Umfang übertrifft. Es giebt hier allerdings auch eine Anzahl russischer Dörfer, in der Hauptsache ist aber das Gebiet in den Händen der deutschen Kolonisten, denen hier eine Ge¬ legenheit zum schnellen Emporkommen geboten wurde, wie sich keine zweite finden dürfte. (Schluß folgt) Anthropologische Fragen (Fortschmici) le geht es nun zu, fragt Ammon, daß sich die Städte Lang- schüdel auslesen? Die Schädelform verschafft doch ebenso wenig einen Vorteil im Kampfe ums Dasein, wie blaue Augen und blonde Haare. Diese körperlichen Eigenschaften, antwortet er, sind an sich freilich kein Vorteil, wohl aber die seelischen Eigen¬ schaften der Nasse, deren Kennzeichen sie sind. Die Stadt zieht die Lang¬ schädel nicht aus den Dörfern heraus, wie der Magnet Eisenfeilspäne aus einem Haufen von Sügespänen, sondern es wandern Langschändel und Rnnd- schädel in die Stadt, um dort Arbeit zu suchen. Da aber die Langschädel fähiger und tüchtiger sind, so regt sich in ihnen der Trieb, in der Stadt ihr Glück zu suchen, allgemeiner als in den Nundschädeln, daher verläßt von ihnen ein größerer Teil die Heimat als von diesen, und in der Stadt be¬ haupten sie sich leichter als die Rundschädel; so wird denn ein größerer Teil von ihnen dauernd ansässig, und so kommt es denn, daß die echten Städter langschädliger, blonder und blauäugiger sind als die Eingewanderten. Da, wie bemerkt worden ist, die Schädelform und die Komplexion nicht unlöslich an einander gebunden sind, sondern getrennt vererbt werden, so darf man sich, nicht darüber Wundern, daß viele brünette Langköpfe und blonde oder blau¬ äugige Rundköpfe vorkommen. Die von echten Städtern stammenden Wehr¬ pflichtige» zeichnen sich nun gerade dadurch aus, daß bei ihnen die Verbindung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/423>, abgerufen am 29.06.2024.