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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Kolonisten an der Wolga

im Süden, an der Wolga usw. das direkte Gegenteil von dem Beabsichtigten
eingetreten ist; dort sind nicht die Deutschen den Russen in der Wirtschafts¬
weise Beispiel und Lehrer geworden, sondern umgekehrt, die Russen den
Deutschen, wenigstens so weit es die große Masse der Kolonisten betrifft.

Von den infolge des Manifestes eingewanderten Deutschen wurden an
verschiednen Stellen des russischen Reichs Kolonien gegründet, oder vielmehr
diese Stellen waren schon vor Ankunft der Berufnen von der Regierung be¬
stimmt und mit den nötigsten Gebäuden und Ackergeräten versehen. Ein Teil
siedelte sich in der unmittelbaren Umgegend von Petersburg an, ein zweiter
hart an der westlichen Grenze des Petersburger Gouvernements, im Kreise
Jamburg, ein dritter in Zentralrußland, der weitaus größere Teil der An¬
siedler -- etwa 23000 Köpfe ^ wurde aber in die neugegründeten Kolonien
zu beiden Seiten der Wolga in den heutigen Gouvernements Ssaratow und
Ssamara verteilt. Die Hauptzahl der neuen Kolonien war schon damals im
Gouvernement Ssamara, östlich von der Wolga, was sich übrigens aus der
Beschaffenheit des Terrains von selbst ergab. Da dieses von ganz bedeutendem
Einfluß auf den Entwicklungsgang der dortigen Kolonien gewesen ist, muß es
etwas ausführlicher beschrieben werden.

Etwa 3 deutsche Meilen oder etwa 21 Werst*) westlich von der Gvuver-
nementsstadt Ssamara tritt die Wolga aus den shhgulewschen Bergen oder
richtiger aus dem höher liegenden westlichen Nußland, von dem diese Berge
nur ein Teil längs der Wolga sind, in die aralo-kaspische senke oder Tief¬
ebne ein, deren westliche Grenze sie zusammen mit dem rechten Ufer bis
Zarizin auf eine Länge von etwa 800 Werst oder 115 deutsche Meilen bildet.
Das rechte Ufer -- die Bergseite -- füllt fast durchweg ziemlich steil zur
Wolga ab, und das weiter westlich liegende Terrain ist überall wellig und hat
mehr oder weniger bedeutende Höhen, auf denen noch Neste der frühern Wälder
erhalten sind, wogegen das gesamte linke Ufer -- die Wiefenseite -- aus
einer endlosen Tiefebene besteht, die, was Größe und Beschaffenheit betrifft,
auf der ganzen Erde nicht ihresgleichen hat. Wie überall auf den Karten
angegeben ist, ist in der Mitte der ungeheuern Tiefebene allerdings eine vom
Ural ausgehende und in südwestlicher Richtung an der Wolga verlaufende
Bodenerhöhung, der Obschtschi Syrt (Allgemeiner Rücken), wer es aber nicht
weiß, wird sie gar nicht bemerken^ erstens weil der Boden so allmählich steigt,
daß man es kaum spürt, und dann weil die ganze obere Fläche des Rückens
mich wieder eine riesige Ebene ist. Die Grenzen dieser Bodenerhöhung, die
zugleich die Grenzen der deutschen Kolonien am linken Ufer der Wolga
-- also auf der Wiefenseite, im Gouvernement Ssamara -- bilden, sind nördlich
der große Jrgis, der der am rechten Wolganfer -- auf der Bergseite, im



") 7 Werst sind eine deutsche Meile,
Die deutschen Kolonisten an der Wolga

im Süden, an der Wolga usw. das direkte Gegenteil von dem Beabsichtigten
eingetreten ist; dort sind nicht die Deutschen den Russen in der Wirtschafts¬
weise Beispiel und Lehrer geworden, sondern umgekehrt, die Russen den
Deutschen, wenigstens so weit es die große Masse der Kolonisten betrifft.

Von den infolge des Manifestes eingewanderten Deutschen wurden an
verschiednen Stellen des russischen Reichs Kolonien gegründet, oder vielmehr
diese Stellen waren schon vor Ankunft der Berufnen von der Regierung be¬
stimmt und mit den nötigsten Gebäuden und Ackergeräten versehen. Ein Teil
siedelte sich in der unmittelbaren Umgegend von Petersburg an, ein zweiter
hart an der westlichen Grenze des Petersburger Gouvernements, im Kreise
Jamburg, ein dritter in Zentralrußland, der weitaus größere Teil der An¬
siedler — etwa 23000 Köpfe ^ wurde aber in die neugegründeten Kolonien
zu beiden Seiten der Wolga in den heutigen Gouvernements Ssaratow und
Ssamara verteilt. Die Hauptzahl der neuen Kolonien war schon damals im
Gouvernement Ssamara, östlich von der Wolga, was sich übrigens aus der
Beschaffenheit des Terrains von selbst ergab. Da dieses von ganz bedeutendem
Einfluß auf den Entwicklungsgang der dortigen Kolonien gewesen ist, muß es
etwas ausführlicher beschrieben werden.

Etwa 3 deutsche Meilen oder etwa 21 Werst*) westlich von der Gvuver-
nementsstadt Ssamara tritt die Wolga aus den shhgulewschen Bergen oder
richtiger aus dem höher liegenden westlichen Nußland, von dem diese Berge
nur ein Teil längs der Wolga sind, in die aralo-kaspische senke oder Tief¬
ebne ein, deren westliche Grenze sie zusammen mit dem rechten Ufer bis
Zarizin auf eine Länge von etwa 800 Werst oder 115 deutsche Meilen bildet.
Das rechte Ufer — die Bergseite — füllt fast durchweg ziemlich steil zur
Wolga ab, und das weiter westlich liegende Terrain ist überall wellig und hat
mehr oder weniger bedeutende Höhen, auf denen noch Neste der frühern Wälder
erhalten sind, wogegen das gesamte linke Ufer — die Wiefenseite — aus
einer endlosen Tiefebene besteht, die, was Größe und Beschaffenheit betrifft,
auf der ganzen Erde nicht ihresgleichen hat. Wie überall auf den Karten
angegeben ist, ist in der Mitte der ungeheuern Tiefebene allerdings eine vom
Ural ausgehende und in südwestlicher Richtung an der Wolga verlaufende
Bodenerhöhung, der Obschtschi Syrt (Allgemeiner Rücken), wer es aber nicht
weiß, wird sie gar nicht bemerken^ erstens weil der Boden so allmählich steigt,
daß man es kaum spürt, und dann weil die ganze obere Fläche des Rückens
mich wieder eine riesige Ebene ist. Die Grenzen dieser Bodenerhöhung, die
zugleich die Grenzen der deutschen Kolonien am linken Ufer der Wolga
— also auf der Wiefenseite, im Gouvernement Ssamara — bilden, sind nördlich
der große Jrgis, der der am rechten Wolganfer — auf der Bergseite, im



") 7 Werst sind eine deutsche Meile,
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[0422] Die deutschen Kolonisten an der Wolga im Süden, an der Wolga usw. das direkte Gegenteil von dem Beabsichtigten eingetreten ist; dort sind nicht die Deutschen den Russen in der Wirtschafts¬ weise Beispiel und Lehrer geworden, sondern umgekehrt, die Russen den Deutschen, wenigstens so weit es die große Masse der Kolonisten betrifft. Von den infolge des Manifestes eingewanderten Deutschen wurden an verschiednen Stellen des russischen Reichs Kolonien gegründet, oder vielmehr diese Stellen waren schon vor Ankunft der Berufnen von der Regierung be¬ stimmt und mit den nötigsten Gebäuden und Ackergeräten versehen. Ein Teil siedelte sich in der unmittelbaren Umgegend von Petersburg an, ein zweiter hart an der westlichen Grenze des Petersburger Gouvernements, im Kreise Jamburg, ein dritter in Zentralrußland, der weitaus größere Teil der An¬ siedler — etwa 23000 Köpfe ^ wurde aber in die neugegründeten Kolonien zu beiden Seiten der Wolga in den heutigen Gouvernements Ssaratow und Ssamara verteilt. Die Hauptzahl der neuen Kolonien war schon damals im Gouvernement Ssamara, östlich von der Wolga, was sich übrigens aus der Beschaffenheit des Terrains von selbst ergab. Da dieses von ganz bedeutendem Einfluß auf den Entwicklungsgang der dortigen Kolonien gewesen ist, muß es etwas ausführlicher beschrieben werden. Etwa 3 deutsche Meilen oder etwa 21 Werst*) westlich von der Gvuver- nementsstadt Ssamara tritt die Wolga aus den shhgulewschen Bergen oder richtiger aus dem höher liegenden westlichen Nußland, von dem diese Berge nur ein Teil längs der Wolga sind, in die aralo-kaspische senke oder Tief¬ ebne ein, deren westliche Grenze sie zusammen mit dem rechten Ufer bis Zarizin auf eine Länge von etwa 800 Werst oder 115 deutsche Meilen bildet. Das rechte Ufer — die Bergseite — füllt fast durchweg ziemlich steil zur Wolga ab, und das weiter westlich liegende Terrain ist überall wellig und hat mehr oder weniger bedeutende Höhen, auf denen noch Neste der frühern Wälder erhalten sind, wogegen das gesamte linke Ufer — die Wiefenseite — aus einer endlosen Tiefebene besteht, die, was Größe und Beschaffenheit betrifft, auf der ganzen Erde nicht ihresgleichen hat. Wie überall auf den Karten angegeben ist, ist in der Mitte der ungeheuern Tiefebene allerdings eine vom Ural ausgehende und in südwestlicher Richtung an der Wolga verlaufende Bodenerhöhung, der Obschtschi Syrt (Allgemeiner Rücken), wer es aber nicht weiß, wird sie gar nicht bemerken^ erstens weil der Boden so allmählich steigt, daß man es kaum spürt, und dann weil die ganze obere Fläche des Rückens mich wieder eine riesige Ebene ist. Die Grenzen dieser Bodenerhöhung, die zugleich die Grenzen der deutschen Kolonien am linken Ufer der Wolga — also auf der Wiefenseite, im Gouvernement Ssamara — bilden, sind nördlich der große Jrgis, der der am rechten Wolganfer — auf der Bergseite, im ") 7 Werst sind eine deutsche Meile,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/422>, abgerufen am 29.06.2024.