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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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England und Deutschland

noch nicht gesehen hat. Wenn Deutschland morgen von der Erde verschwände,
würde es übermorgen keinen Engländer geben, der nicht dadurch reicher ge¬
worden wäre. Nationen haben jahrelang um eine Stadt oder ein Nachfolgerecht
gekämpft, warum sollen sie nicht um 250 Millionen Pfund Sterling jährlicher
Handelseinkünfte kämpfen?" Nachdem dann das allmähliche Anwachsen der
Mißstimmung gegen Deutschland geschildert ist, heißt es weiter: "Die deutschen
Pläne in Transvaal, die Verletzungen des internationalen Rechtes in Zentral¬
afrika von deutscher Seite, das nach Bismarcks Ausdruck ungebührliche Necken
der Engländer durch die Deutschen in dem gesamten diplomatischen Verkehr, die
bekannte Richtung der deutschen Politik im Rate der Vertreter der Großmächte
in Konstantinopel und vor allem die Art, wie England die wirkliche Aus¬
dehnung der deutschen Handelsrivalität hat erkennen müssen, haben ihr Werk
gethan. England und Deutschland fühlen beide gleich lebhaft die bevorstehende
Wahrscheinlichkeit eines Kampfes. Was Bismarck vorhersah, und was wir
vielleicht bald sich ereignen sehen werden, ist nicht bloß der harte Kampf um
Interessen zwischen beiden Nationen, sondern auch daß England die einzige Gro߬
macht sein wird, von der Deutschland ohne besondre Gefahr und ohne Zweifel
am Erfolg bekämpft werden kann. Deutschlands Verbündete des Dreibundes sind
England gegenüber ohne Wert; Österreich ist unfähig, etwas zu unternehmen,
und Italien kann sich Frankreich gegenüber nicht von Streitkräften entblößen.
Das Wachstum der deutschen Flotte kann den Schlag Englands für Deutsch¬
land nur noch empfindlicher machen; seine Schiffe werden bald entweder auf
dem Grunde des Meeres oder in sicherm Geleite nach Englands Häfen unter¬
wegs sein. Hamburg, Bremen, der Kanal von Kiel und die Ostseehäfen werden
so lange von Englands Kanonen bedroht bleiben, bis die Kriegsentschädigung
festgesetzt sein wird. Wenn wir unser Werk gethan haben, brauchen wir
nur Bismarcks Worte zu Ferry zu wiederholen und zu Frankreich und Ru߬
land zu sagen: "Sucht euch eine Entschädigung; nehmt innerhalb Deutschlands,
was ihr wollt; ihr könnt es haben."" Keine Unterhandlungen mit Frankreich
und Nußland -- meint der Verfasser -- würden Deutschland vor dem ihm
von England drohenden Unheil bewahren oder England zur Ermäßigung
seiner Ansprüche bringen können, und der Artikel schließt mit der Überzeugung:
(lörMMlÄM ä6l6INlg.M.

Aus allen englischen Stimmungsüußerungen fühlen wir heraus, daß der
wirkliche Grund der englischen Verstimmung nur das Wachstum unsrer In¬
dustrie und unsers Seehandels ist. Keine Politik, die sich auf innere Ange¬
legenheiten beschränkt, keine Friedensliga, kein Vorschlag von internationalen
Schiedsgerichten kann uns gegen den Unwillen einer Nation schützen, die so
in ihrem Heiligsten, in ihren kaufmännischen Interessen gekränkt ist. Nur frei¬
williger Verzicht auf unser Streben nach Land, Geld und Gut könnte die er¬
zürnte Herrscherin der Meere versöhnen. Daß sich aber unser Volk, welche


Grenzboten IV 1897 öl
England und Deutschland

noch nicht gesehen hat. Wenn Deutschland morgen von der Erde verschwände,
würde es übermorgen keinen Engländer geben, der nicht dadurch reicher ge¬
worden wäre. Nationen haben jahrelang um eine Stadt oder ein Nachfolgerecht
gekämpft, warum sollen sie nicht um 250 Millionen Pfund Sterling jährlicher
Handelseinkünfte kämpfen?" Nachdem dann das allmähliche Anwachsen der
Mißstimmung gegen Deutschland geschildert ist, heißt es weiter: „Die deutschen
Pläne in Transvaal, die Verletzungen des internationalen Rechtes in Zentral¬
afrika von deutscher Seite, das nach Bismarcks Ausdruck ungebührliche Necken
der Engländer durch die Deutschen in dem gesamten diplomatischen Verkehr, die
bekannte Richtung der deutschen Politik im Rate der Vertreter der Großmächte
in Konstantinopel und vor allem die Art, wie England die wirkliche Aus¬
dehnung der deutschen Handelsrivalität hat erkennen müssen, haben ihr Werk
gethan. England und Deutschland fühlen beide gleich lebhaft die bevorstehende
Wahrscheinlichkeit eines Kampfes. Was Bismarck vorhersah, und was wir
vielleicht bald sich ereignen sehen werden, ist nicht bloß der harte Kampf um
Interessen zwischen beiden Nationen, sondern auch daß England die einzige Gro߬
macht sein wird, von der Deutschland ohne besondre Gefahr und ohne Zweifel
am Erfolg bekämpft werden kann. Deutschlands Verbündete des Dreibundes sind
England gegenüber ohne Wert; Österreich ist unfähig, etwas zu unternehmen,
und Italien kann sich Frankreich gegenüber nicht von Streitkräften entblößen.
Das Wachstum der deutschen Flotte kann den Schlag Englands für Deutsch¬
land nur noch empfindlicher machen; seine Schiffe werden bald entweder auf
dem Grunde des Meeres oder in sicherm Geleite nach Englands Häfen unter¬
wegs sein. Hamburg, Bremen, der Kanal von Kiel und die Ostseehäfen werden
so lange von Englands Kanonen bedroht bleiben, bis die Kriegsentschädigung
festgesetzt sein wird. Wenn wir unser Werk gethan haben, brauchen wir
nur Bismarcks Worte zu Ferry zu wiederholen und zu Frankreich und Ru߬
land zu sagen: »Sucht euch eine Entschädigung; nehmt innerhalb Deutschlands,
was ihr wollt; ihr könnt es haben.«" Keine Unterhandlungen mit Frankreich
und Nußland — meint der Verfasser — würden Deutschland vor dem ihm
von England drohenden Unheil bewahren oder England zur Ermäßigung
seiner Ansprüche bringen können, und der Artikel schließt mit der Überzeugung:
(lörMMlÄM ä6l6INlg.M.

Aus allen englischen Stimmungsüußerungen fühlen wir heraus, daß der
wirkliche Grund der englischen Verstimmung nur das Wachstum unsrer In¬
dustrie und unsers Seehandels ist. Keine Politik, die sich auf innere Ange¬
legenheiten beschränkt, keine Friedensliga, kein Vorschlag von internationalen
Schiedsgerichten kann uns gegen den Unwillen einer Nation schützen, die so
in ihrem Heiligsten, in ihren kaufmännischen Interessen gekränkt ist. Nur frei¬
williger Verzicht auf unser Streben nach Land, Geld und Gut könnte die er¬
zürnte Herrscherin der Meere versöhnen. Daß sich aber unser Volk, welche


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[0411] England und Deutschland noch nicht gesehen hat. Wenn Deutschland morgen von der Erde verschwände, würde es übermorgen keinen Engländer geben, der nicht dadurch reicher ge¬ worden wäre. Nationen haben jahrelang um eine Stadt oder ein Nachfolgerecht gekämpft, warum sollen sie nicht um 250 Millionen Pfund Sterling jährlicher Handelseinkünfte kämpfen?" Nachdem dann das allmähliche Anwachsen der Mißstimmung gegen Deutschland geschildert ist, heißt es weiter: „Die deutschen Pläne in Transvaal, die Verletzungen des internationalen Rechtes in Zentral¬ afrika von deutscher Seite, das nach Bismarcks Ausdruck ungebührliche Necken der Engländer durch die Deutschen in dem gesamten diplomatischen Verkehr, die bekannte Richtung der deutschen Politik im Rate der Vertreter der Großmächte in Konstantinopel und vor allem die Art, wie England die wirkliche Aus¬ dehnung der deutschen Handelsrivalität hat erkennen müssen, haben ihr Werk gethan. England und Deutschland fühlen beide gleich lebhaft die bevorstehende Wahrscheinlichkeit eines Kampfes. Was Bismarck vorhersah, und was wir vielleicht bald sich ereignen sehen werden, ist nicht bloß der harte Kampf um Interessen zwischen beiden Nationen, sondern auch daß England die einzige Gro߬ macht sein wird, von der Deutschland ohne besondre Gefahr und ohne Zweifel am Erfolg bekämpft werden kann. Deutschlands Verbündete des Dreibundes sind England gegenüber ohne Wert; Österreich ist unfähig, etwas zu unternehmen, und Italien kann sich Frankreich gegenüber nicht von Streitkräften entblößen. Das Wachstum der deutschen Flotte kann den Schlag Englands für Deutsch¬ land nur noch empfindlicher machen; seine Schiffe werden bald entweder auf dem Grunde des Meeres oder in sicherm Geleite nach Englands Häfen unter¬ wegs sein. Hamburg, Bremen, der Kanal von Kiel und die Ostseehäfen werden so lange von Englands Kanonen bedroht bleiben, bis die Kriegsentschädigung festgesetzt sein wird. Wenn wir unser Werk gethan haben, brauchen wir nur Bismarcks Worte zu Ferry zu wiederholen und zu Frankreich und Ru߬ land zu sagen: »Sucht euch eine Entschädigung; nehmt innerhalb Deutschlands, was ihr wollt; ihr könnt es haben.«" Keine Unterhandlungen mit Frankreich und Nußland — meint der Verfasser — würden Deutschland vor dem ihm von England drohenden Unheil bewahren oder England zur Ermäßigung seiner Ansprüche bringen können, und der Artikel schließt mit der Überzeugung: (lörMMlÄM ä6l6INlg.M. Aus allen englischen Stimmungsüußerungen fühlen wir heraus, daß der wirkliche Grund der englischen Verstimmung nur das Wachstum unsrer In¬ dustrie und unsers Seehandels ist. Keine Politik, die sich auf innere Ange¬ legenheiten beschränkt, keine Friedensliga, kein Vorschlag von internationalen Schiedsgerichten kann uns gegen den Unwillen einer Nation schützen, die so in ihrem Heiligsten, in ihren kaufmännischen Interessen gekränkt ist. Nur frei¬ williger Verzicht auf unser Streben nach Land, Geld und Gut könnte die er¬ zürnte Herrscherin der Meere versöhnen. Daß sich aber unser Volk, welche Grenzboten IV 1897 öl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/411>, abgerufen am 29.06.2024.