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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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England und Deutschland

Parteirichtung auch darin vorherrschen mag, dazu herbeilassen sollte, ist un¬
denkbar. Die Gegensätze bleiben also bestehen, und wir müssen ihnen Rech¬
nung tragen.

Trotz des gereizten Tones liegt in den Auslassungen der englischen Presse
eine gewisse Anerkennung für unser Gedeihen, unsre Unternehmungslust und
den Wert unsers Handels, die wenig mit der hie und da verbreiteten deutschen
Ansicht übereinstimmt, daß wir noch zu arm seien, diese Hauptmittel größern
Wohlstands durch eine entsprechende Seemacht zu schützen. Daß die Unter¬
haltung einer starken Flotte das beste Mittel sür eine Steigerung des
Handels, des Wohlstands und der Macht bildet, dasür ist England der beste
Beweis; Niedergang der Seemacht bedeutet dagegen, wie Spanien und
Holland beweisen, ein Herabsinken von der Stellung als Großmacht. Japan,
der gelehrigste Schüler Englands, entfaltet infolge seiner klaren Erkenntnis
der Wichtigkeit der Seeherrschaft eine rastlose Thätigkeit im Flottenbau
und nimmt schon jetzt das Recht für sich in Anspruch, in allen politischen
Angelegenheiten in Ostasien und im Stillen Ozean mitzusprechen. Bei uns
hofft noch so mancher, wir würden wegen unsers starken Heeres mit einer
Flotte sechsten Ranges auskommen, weil an eine Gegnerschaft Englands
nicht zu denken sei. Nun denkt aber England anders und hat Gründe
genug für seine Gegnerschaft. Ob Großbritannien im Sinne der Rsvisv bald
zum Schwert greifen oder uns nach der Kündigung des Handelsvertrags zu¬
nächst mit handelspolitischen Mitteln bekämpfen wird, und wie sich die andern
Staaten zu einer dieser beiden Möglichkeiten stellen werden, ist die Frage.
Sicher ist, daß ein waffenstarkes Deutschland den Krieg weniger zu fürchten
und vielleicht anch seinen Ausbruch weniger zu erwarten hat als ein schwaches.
Unser Heer dürfen wir wegen unsrer Lage in der Mitte Europas niemals
schwächen. Bei einem Kampfe gegen einen Seestaat und in einem Weltkriege
bleibt aber die Flotte die Hauptwaffe, und nach deren Mächtigkeit werden wir
von den andern Staaten eingeschützt werden. Flöße unsre Seemacht Achtung
ein, so könnten sich doch Nationen finden, denen unser Bündnis zum gemein¬
samen Schutz unsrer und ihrer früher oder später sicherlich auch von England
bedrohten Interessen erwünscht erscheint. Auch England würde sichs dann wohl
überlegen, ob es den Wassergang beginnen soll, besonders wenn ein Bundes-
genosse Deutschlands es zu Lande fassen kann. Wie zu allen Zeiten, würde eine
gute Vorbereitung auf den Krieg auch jetzt größere Wahrscheinlichkeit für die Er¬
haltung des Friedens bieten, als Nachgiebigkeit im Gefühl der Schwäche. Unter
allen Umständen gehen wir einer kritischen Zeit entgegen; die Folgen der von dem
Kanadier Wilfrid Laurier und von Chamberlain gefaßten, immer beliebter wer¬
denden Pläne des Zollvereins des Llreatsr ZZriwin sind noch nicht zu übersehen;
die ausgesprvchne handelspolitische Gegnerschaft Nordamerikas gegen das viel¬
staatliche alte Europa ist bald zu erwarten, und im fernen Osten drohen Japans


England und Deutschland

Parteirichtung auch darin vorherrschen mag, dazu herbeilassen sollte, ist un¬
denkbar. Die Gegensätze bleiben also bestehen, und wir müssen ihnen Rech¬
nung tragen.

Trotz des gereizten Tones liegt in den Auslassungen der englischen Presse
eine gewisse Anerkennung für unser Gedeihen, unsre Unternehmungslust und
den Wert unsers Handels, die wenig mit der hie und da verbreiteten deutschen
Ansicht übereinstimmt, daß wir noch zu arm seien, diese Hauptmittel größern
Wohlstands durch eine entsprechende Seemacht zu schützen. Daß die Unter¬
haltung einer starken Flotte das beste Mittel sür eine Steigerung des
Handels, des Wohlstands und der Macht bildet, dasür ist England der beste
Beweis; Niedergang der Seemacht bedeutet dagegen, wie Spanien und
Holland beweisen, ein Herabsinken von der Stellung als Großmacht. Japan,
der gelehrigste Schüler Englands, entfaltet infolge seiner klaren Erkenntnis
der Wichtigkeit der Seeherrschaft eine rastlose Thätigkeit im Flottenbau
und nimmt schon jetzt das Recht für sich in Anspruch, in allen politischen
Angelegenheiten in Ostasien und im Stillen Ozean mitzusprechen. Bei uns
hofft noch so mancher, wir würden wegen unsers starken Heeres mit einer
Flotte sechsten Ranges auskommen, weil an eine Gegnerschaft Englands
nicht zu denken sei. Nun denkt aber England anders und hat Gründe
genug für seine Gegnerschaft. Ob Großbritannien im Sinne der Rsvisv bald
zum Schwert greifen oder uns nach der Kündigung des Handelsvertrags zu¬
nächst mit handelspolitischen Mitteln bekämpfen wird, und wie sich die andern
Staaten zu einer dieser beiden Möglichkeiten stellen werden, ist die Frage.
Sicher ist, daß ein waffenstarkes Deutschland den Krieg weniger zu fürchten
und vielleicht anch seinen Ausbruch weniger zu erwarten hat als ein schwaches.
Unser Heer dürfen wir wegen unsrer Lage in der Mitte Europas niemals
schwächen. Bei einem Kampfe gegen einen Seestaat und in einem Weltkriege
bleibt aber die Flotte die Hauptwaffe, und nach deren Mächtigkeit werden wir
von den andern Staaten eingeschützt werden. Flöße unsre Seemacht Achtung
ein, so könnten sich doch Nationen finden, denen unser Bündnis zum gemein¬
samen Schutz unsrer und ihrer früher oder später sicherlich auch von England
bedrohten Interessen erwünscht erscheint. Auch England würde sichs dann wohl
überlegen, ob es den Wassergang beginnen soll, besonders wenn ein Bundes-
genosse Deutschlands es zu Lande fassen kann. Wie zu allen Zeiten, würde eine
gute Vorbereitung auf den Krieg auch jetzt größere Wahrscheinlichkeit für die Er¬
haltung des Friedens bieten, als Nachgiebigkeit im Gefühl der Schwäche. Unter
allen Umständen gehen wir einer kritischen Zeit entgegen; die Folgen der von dem
Kanadier Wilfrid Laurier und von Chamberlain gefaßten, immer beliebter wer¬
denden Pläne des Zollvereins des Llreatsr ZZriwin sind noch nicht zu übersehen;
die ausgesprvchne handelspolitische Gegnerschaft Nordamerikas gegen das viel¬
staatliche alte Europa ist bald zu erwarten, und im fernen Osten drohen Japans


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[0412] England und Deutschland Parteirichtung auch darin vorherrschen mag, dazu herbeilassen sollte, ist un¬ denkbar. Die Gegensätze bleiben also bestehen, und wir müssen ihnen Rech¬ nung tragen. Trotz des gereizten Tones liegt in den Auslassungen der englischen Presse eine gewisse Anerkennung für unser Gedeihen, unsre Unternehmungslust und den Wert unsers Handels, die wenig mit der hie und da verbreiteten deutschen Ansicht übereinstimmt, daß wir noch zu arm seien, diese Hauptmittel größern Wohlstands durch eine entsprechende Seemacht zu schützen. Daß die Unter¬ haltung einer starken Flotte das beste Mittel sür eine Steigerung des Handels, des Wohlstands und der Macht bildet, dasür ist England der beste Beweis; Niedergang der Seemacht bedeutet dagegen, wie Spanien und Holland beweisen, ein Herabsinken von der Stellung als Großmacht. Japan, der gelehrigste Schüler Englands, entfaltet infolge seiner klaren Erkenntnis der Wichtigkeit der Seeherrschaft eine rastlose Thätigkeit im Flottenbau und nimmt schon jetzt das Recht für sich in Anspruch, in allen politischen Angelegenheiten in Ostasien und im Stillen Ozean mitzusprechen. Bei uns hofft noch so mancher, wir würden wegen unsers starken Heeres mit einer Flotte sechsten Ranges auskommen, weil an eine Gegnerschaft Englands nicht zu denken sei. Nun denkt aber England anders und hat Gründe genug für seine Gegnerschaft. Ob Großbritannien im Sinne der Rsvisv bald zum Schwert greifen oder uns nach der Kündigung des Handelsvertrags zu¬ nächst mit handelspolitischen Mitteln bekämpfen wird, und wie sich die andern Staaten zu einer dieser beiden Möglichkeiten stellen werden, ist die Frage. Sicher ist, daß ein waffenstarkes Deutschland den Krieg weniger zu fürchten und vielleicht anch seinen Ausbruch weniger zu erwarten hat als ein schwaches. Unser Heer dürfen wir wegen unsrer Lage in der Mitte Europas niemals schwächen. Bei einem Kampfe gegen einen Seestaat und in einem Weltkriege bleibt aber die Flotte die Hauptwaffe, und nach deren Mächtigkeit werden wir von den andern Staaten eingeschützt werden. Flöße unsre Seemacht Achtung ein, so könnten sich doch Nationen finden, denen unser Bündnis zum gemein¬ samen Schutz unsrer und ihrer früher oder später sicherlich auch von England bedrohten Interessen erwünscht erscheint. Auch England würde sichs dann wohl überlegen, ob es den Wassergang beginnen soll, besonders wenn ein Bundes- genosse Deutschlands es zu Lande fassen kann. Wie zu allen Zeiten, würde eine gute Vorbereitung auf den Krieg auch jetzt größere Wahrscheinlichkeit für die Er¬ haltung des Friedens bieten, als Nachgiebigkeit im Gefühl der Schwäche. Unter allen Umständen gehen wir einer kritischen Zeit entgegen; die Folgen der von dem Kanadier Wilfrid Laurier und von Chamberlain gefaßten, immer beliebter wer¬ denden Pläne des Zollvereins des Llreatsr ZZriwin sind noch nicht zu übersehen; die ausgesprvchne handelspolitische Gegnerschaft Nordamerikas gegen das viel¬ staatliche alte Europa ist bald zu erwarten, und im fernen Osten drohen Japans

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/412>, abgerufen am 29.06.2024.