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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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England und Deutschland

den drohenden Rüstungen, und das friedfertige England will Geschehenes ge¬
schehen sein lassen. Wenn auch Cecil Rhodes mit seinem Vorgehen schließlich
im Unrecht gewesen war, so konnte er doch der öffentlichen Meinung wegen
nicht verurteilt werden. Ob übrigens für das Verhältnis zu Transvaal das
Wort Suzeränität oder Oberherrlichkeit in jedem Abkommen vorkommt oder
nicht vorkommt, ist gänzlich gleichgiltig, da die Engländer das erste annehmen
und keine fremde Einmischung dulden wollen. Was insbesondre den Handel
betrifft, so fangen die Engländer an, den großen Eifer der Deutschen,
ihren Handel über die ganze Welt auszudehnen, unangenehm zu empfinden.
Die Handelsverträge sind im Interesse der Kolonien gekündigt worden; das
Zusammenschließen des gesamten Reiches zu einem großen Zollgebiet mit
Vorzugszöllen für das Mutterland wird allerdings besonders den deutschen
Handel stark treffen, weil dieser in den britischen Kolonien besonders
stark ist. Die deutsche Presse ist zeitweise in ihrem Tadel gegen englische
Politik und die nationalen Grundsätze Englands unhöflich gewesen, hat die
Formen verletzt usw. Der Aufsatz schließt mit dem Wunsche, daß man sich
immer daran erinnern möge, wie nahe man 1896 an einem Kriege der beiden
Nationen vorbeigekommen sei, und daß keine ernstlichem Mißverständnisse auf¬
kommen möchten. Daß wir Deutschen dem Verfasser beistimmen sollen, ver¬
langt er glücklicherweise nicht.

In verschiednen Zeitungen finden wir das Bestreben, Frankreich im Gegensatz
zu Deutschland sehr zart zu behandeln, seine Verluste 1870/71 mitzufühlen
und ihm schließlich seinen wahren Feind und seine wahren Interessen vom
englischen Standpunkt aus zu zeigen.

Da versichert z. B. kürzlich ein Vorstandsmitglied der Mo^-IlLÄg-no, Mr.
Trower, in einem offnen Brief an eine Militärzeitschrift, daß die Schmückung
der Nelsonsäule am Trafalgartage keine Verletzung der Gefühle Frankreichs
verursachen könne, weil der überwundne Napoleon I. kein Franzose gewesen
sei. Dann spricht er den "ritterlichen" Franzosen das Recht zu kolonisiren
zu, während er es bei den Dentschen wunderbar findet, weil ihre Vorfahren
früher damit zufrieden gewesen seien, im englischen Heere Svldnerdienste zu thun.

Der Pariser Korrespondent der limss schrieb Anfang Oktober mit dem
guten Zweck, die Aufmerksamkeit Frankreichs von Ägypten und von Kreta ab¬
zulenken: "Es ist ein großes Unglück, daß man in Frankreich durchaus kein
Verständnis dafür haben will, daß Europa die verschiednen Leiden und Wünsche
Frankreichs von einem ganz andern Standpunkte betrachtet als dieses selbst.
Niemand wird es Frankreich verdenken, wenn es sich nicht freiwillig für immer
mit dem Schicksal des Besiegten zufrieden geben will, das ihm der Augenblick
aufzwang, als es nach Vismarcks Ausspruch das Knie des Eroberers auf seiner
Brust fühlte; niemand wird von ihm verlangen, daß es auf die Hoffnung ver¬
zichte, in Zukunft das Verlorne wiederzugewinnen. Jeder muß zugeben, daß


England und Deutschland

den drohenden Rüstungen, und das friedfertige England will Geschehenes ge¬
schehen sein lassen. Wenn auch Cecil Rhodes mit seinem Vorgehen schließlich
im Unrecht gewesen war, so konnte er doch der öffentlichen Meinung wegen
nicht verurteilt werden. Ob übrigens für das Verhältnis zu Transvaal das
Wort Suzeränität oder Oberherrlichkeit in jedem Abkommen vorkommt oder
nicht vorkommt, ist gänzlich gleichgiltig, da die Engländer das erste annehmen
und keine fremde Einmischung dulden wollen. Was insbesondre den Handel
betrifft, so fangen die Engländer an, den großen Eifer der Deutschen,
ihren Handel über die ganze Welt auszudehnen, unangenehm zu empfinden.
Die Handelsverträge sind im Interesse der Kolonien gekündigt worden; das
Zusammenschließen des gesamten Reiches zu einem großen Zollgebiet mit
Vorzugszöllen für das Mutterland wird allerdings besonders den deutschen
Handel stark treffen, weil dieser in den britischen Kolonien besonders
stark ist. Die deutsche Presse ist zeitweise in ihrem Tadel gegen englische
Politik und die nationalen Grundsätze Englands unhöflich gewesen, hat die
Formen verletzt usw. Der Aufsatz schließt mit dem Wunsche, daß man sich
immer daran erinnern möge, wie nahe man 1896 an einem Kriege der beiden
Nationen vorbeigekommen sei, und daß keine ernstlichem Mißverständnisse auf¬
kommen möchten. Daß wir Deutschen dem Verfasser beistimmen sollen, ver¬
langt er glücklicherweise nicht.

In verschiednen Zeitungen finden wir das Bestreben, Frankreich im Gegensatz
zu Deutschland sehr zart zu behandeln, seine Verluste 1870/71 mitzufühlen
und ihm schließlich seinen wahren Feind und seine wahren Interessen vom
englischen Standpunkt aus zu zeigen.

Da versichert z. B. kürzlich ein Vorstandsmitglied der Mo^-IlLÄg-no, Mr.
Trower, in einem offnen Brief an eine Militärzeitschrift, daß die Schmückung
der Nelsonsäule am Trafalgartage keine Verletzung der Gefühle Frankreichs
verursachen könne, weil der überwundne Napoleon I. kein Franzose gewesen
sei. Dann spricht er den „ritterlichen" Franzosen das Recht zu kolonisiren
zu, während er es bei den Dentschen wunderbar findet, weil ihre Vorfahren
früher damit zufrieden gewesen seien, im englischen Heere Svldnerdienste zu thun.

Der Pariser Korrespondent der limss schrieb Anfang Oktober mit dem
guten Zweck, die Aufmerksamkeit Frankreichs von Ägypten und von Kreta ab¬
zulenken: „Es ist ein großes Unglück, daß man in Frankreich durchaus kein
Verständnis dafür haben will, daß Europa die verschiednen Leiden und Wünsche
Frankreichs von einem ganz andern Standpunkte betrachtet als dieses selbst.
Niemand wird es Frankreich verdenken, wenn es sich nicht freiwillig für immer
mit dem Schicksal des Besiegten zufrieden geben will, das ihm der Augenblick
aufzwang, als es nach Vismarcks Ausspruch das Knie des Eroberers auf seiner
Brust fühlte; niemand wird von ihm verlangen, daß es auf die Hoffnung ver¬
zichte, in Zukunft das Verlorne wiederzugewinnen. Jeder muß zugeben, daß


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[0408] England und Deutschland den drohenden Rüstungen, und das friedfertige England will Geschehenes ge¬ schehen sein lassen. Wenn auch Cecil Rhodes mit seinem Vorgehen schließlich im Unrecht gewesen war, so konnte er doch der öffentlichen Meinung wegen nicht verurteilt werden. Ob übrigens für das Verhältnis zu Transvaal das Wort Suzeränität oder Oberherrlichkeit in jedem Abkommen vorkommt oder nicht vorkommt, ist gänzlich gleichgiltig, da die Engländer das erste annehmen und keine fremde Einmischung dulden wollen. Was insbesondre den Handel betrifft, so fangen die Engländer an, den großen Eifer der Deutschen, ihren Handel über die ganze Welt auszudehnen, unangenehm zu empfinden. Die Handelsverträge sind im Interesse der Kolonien gekündigt worden; das Zusammenschließen des gesamten Reiches zu einem großen Zollgebiet mit Vorzugszöllen für das Mutterland wird allerdings besonders den deutschen Handel stark treffen, weil dieser in den britischen Kolonien besonders stark ist. Die deutsche Presse ist zeitweise in ihrem Tadel gegen englische Politik und die nationalen Grundsätze Englands unhöflich gewesen, hat die Formen verletzt usw. Der Aufsatz schließt mit dem Wunsche, daß man sich immer daran erinnern möge, wie nahe man 1896 an einem Kriege der beiden Nationen vorbeigekommen sei, und daß keine ernstlichem Mißverständnisse auf¬ kommen möchten. Daß wir Deutschen dem Verfasser beistimmen sollen, ver¬ langt er glücklicherweise nicht. In verschiednen Zeitungen finden wir das Bestreben, Frankreich im Gegensatz zu Deutschland sehr zart zu behandeln, seine Verluste 1870/71 mitzufühlen und ihm schließlich seinen wahren Feind und seine wahren Interessen vom englischen Standpunkt aus zu zeigen. Da versichert z. B. kürzlich ein Vorstandsmitglied der Mo^-IlLÄg-no, Mr. Trower, in einem offnen Brief an eine Militärzeitschrift, daß die Schmückung der Nelsonsäule am Trafalgartage keine Verletzung der Gefühle Frankreichs verursachen könne, weil der überwundne Napoleon I. kein Franzose gewesen sei. Dann spricht er den „ritterlichen" Franzosen das Recht zu kolonisiren zu, während er es bei den Dentschen wunderbar findet, weil ihre Vorfahren früher damit zufrieden gewesen seien, im englischen Heere Svldnerdienste zu thun. Der Pariser Korrespondent der limss schrieb Anfang Oktober mit dem guten Zweck, die Aufmerksamkeit Frankreichs von Ägypten und von Kreta ab¬ zulenken: „Es ist ein großes Unglück, daß man in Frankreich durchaus kein Verständnis dafür haben will, daß Europa die verschiednen Leiden und Wünsche Frankreichs von einem ganz andern Standpunkte betrachtet als dieses selbst. Niemand wird es Frankreich verdenken, wenn es sich nicht freiwillig für immer mit dem Schicksal des Besiegten zufrieden geben will, das ihm der Augenblick aufzwang, als es nach Vismarcks Ausspruch das Knie des Eroberers auf seiner Brust fühlte; niemand wird von ihm verlangen, daß es auf die Hoffnung ver¬ zichte, in Zukunft das Verlorne wiederzugewinnen. Jeder muß zugeben, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/408>, abgerufen am 29.06.2024.