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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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England und Deutschland

herigen schnellen Zunahme seines Wohlstandes das englische Volk in gewaltige
Aufregung. Es würde falsch und unpolitisch sein, England Vorwürfe zu
machen wegen seines Wunsches, der alte Zwist der Nachbarn auf dem Kontinent
möge wieder aufleben; es wäre unberechtigt, ihm die Äußerungen des Unmuts
über Deutschlands Gedeihen zu verargen; jeder weiß, daß in Geldsachen die
Gemütlichkeit aufhört. Die folgende Wiedergabe einzelner englischer Pre߬
stimmen soll daher nicht etwa den Zweck haben, unser Volk gegen England
aufzuhetzen, sondern es soll nur daran gezeigt werden, wie ein Volk denkt,
das seit Jahrhunderten Weltpolitik treibt und jeden Fall, wo andre von un-
kultivirten Land Besitz ergreifen, als Verletzung seiner Interessen auffaßt.
Zugleich ist es wohl zeitgemäß, dem deutschen Volke einmal zu zeigen, wie
wenig beliebt es in England ist, und in wie einfacher Weise man dort die
Vernichtung eines Konkurrenten ins Auge faßt, sobald dessen Fortschritte in
Industrie und Handel den Einkünften der britischen Kaufleute bedrohlich
werden.

Zunächst Sir Richard Temple. Er erzählt uns in einem Aussatze "Die
Beziehungen zwischen dem englischen und deutschen Volk" (Deutsche Rundschau,
Oktober) zur Verhütung ernsterer Verstimmungen, wie mau im englischen Volk
über Deutschland denkt. Nachdem er uns in einigen Sätzen in Erinnerung ge¬
bracht hat, daß der Deutsche in englischen Ländern meist sehr schnell ein guter
Engländer werde, zeigt er, daß die deutsche Kolonisation England habe be¬
unruhigen müssen, weil sie im Gegensatz zur französischen wesentlich auf den
Handel gerichtet sei. Die Gedanken des Verfassers sind etwa folgende. Die deutschen
Erwerbungen in Neuguinea, in Ost- und Westafrika, in Kamerun usw. verletzten
eigentlich immer englische Interessen; aber das englische Volk wurde deshalb dem
deutschen noch nicht böse, es konnte Deutschlands Wunsch nach eignen Kolonien
begreifen, aber es grollte mit seiner Regierung, weil diese keine triftigen Gründe
zur Verhinderung vorrätig hatte. Auch die deutschen Bestrebungen in Ost¬
afrika, so bedenklich sie vor 1890 für englische Interessen wurden, konnten nach
dem englisch-deutschen Übereinkommen über die Abgrenzung der dortigen Schutz¬
herrschaften das englische Volk noch nicht besonders gegen Deutschland auf¬
regen, zumal da der englische Vertrauensmann. Stanley, erklärt hatte, daß es
für England ein gutes Geschäft sei. Schlimmer stand es schon, als Englands
Wunsch auf Abtretung eines Landstreifens des Kongostaates durch Deutschland
vereitelt wurde. Dann aber kam nach dem überraschenden Einfall Jamesons
in Transvaal das noch überraschendere Telegramm des deutschen Kaisers an
den Präsidenten Krüger. Das war mehr, als die Engländer vertragen konnten,
besonders weil man an die Absicht der Unterstützung Transvaals durch Deutsch¬
land glaubte. Man dachte thatsächlich an einen Krieg (den Sir Richard Temple
wegen der Stammverwandtschaft beider Völker sehr beklagt haben würde). Da
aber Deutschland nichts zur Unterstützung Transvaals that, so blieb es bei


England und Deutschland

herigen schnellen Zunahme seines Wohlstandes das englische Volk in gewaltige
Aufregung. Es würde falsch und unpolitisch sein, England Vorwürfe zu
machen wegen seines Wunsches, der alte Zwist der Nachbarn auf dem Kontinent
möge wieder aufleben; es wäre unberechtigt, ihm die Äußerungen des Unmuts
über Deutschlands Gedeihen zu verargen; jeder weiß, daß in Geldsachen die
Gemütlichkeit aufhört. Die folgende Wiedergabe einzelner englischer Pre߬
stimmen soll daher nicht etwa den Zweck haben, unser Volk gegen England
aufzuhetzen, sondern es soll nur daran gezeigt werden, wie ein Volk denkt,
das seit Jahrhunderten Weltpolitik treibt und jeden Fall, wo andre von un-
kultivirten Land Besitz ergreifen, als Verletzung seiner Interessen auffaßt.
Zugleich ist es wohl zeitgemäß, dem deutschen Volke einmal zu zeigen, wie
wenig beliebt es in England ist, und in wie einfacher Weise man dort die
Vernichtung eines Konkurrenten ins Auge faßt, sobald dessen Fortschritte in
Industrie und Handel den Einkünften der britischen Kaufleute bedrohlich
werden.

Zunächst Sir Richard Temple. Er erzählt uns in einem Aussatze „Die
Beziehungen zwischen dem englischen und deutschen Volk" (Deutsche Rundschau,
Oktober) zur Verhütung ernsterer Verstimmungen, wie mau im englischen Volk
über Deutschland denkt. Nachdem er uns in einigen Sätzen in Erinnerung ge¬
bracht hat, daß der Deutsche in englischen Ländern meist sehr schnell ein guter
Engländer werde, zeigt er, daß die deutsche Kolonisation England habe be¬
unruhigen müssen, weil sie im Gegensatz zur französischen wesentlich auf den
Handel gerichtet sei. Die Gedanken des Verfassers sind etwa folgende. Die deutschen
Erwerbungen in Neuguinea, in Ost- und Westafrika, in Kamerun usw. verletzten
eigentlich immer englische Interessen; aber das englische Volk wurde deshalb dem
deutschen noch nicht böse, es konnte Deutschlands Wunsch nach eignen Kolonien
begreifen, aber es grollte mit seiner Regierung, weil diese keine triftigen Gründe
zur Verhinderung vorrätig hatte. Auch die deutschen Bestrebungen in Ost¬
afrika, so bedenklich sie vor 1890 für englische Interessen wurden, konnten nach
dem englisch-deutschen Übereinkommen über die Abgrenzung der dortigen Schutz¬
herrschaften das englische Volk noch nicht besonders gegen Deutschland auf¬
regen, zumal da der englische Vertrauensmann. Stanley, erklärt hatte, daß es
für England ein gutes Geschäft sei. Schlimmer stand es schon, als Englands
Wunsch auf Abtretung eines Landstreifens des Kongostaates durch Deutschland
vereitelt wurde. Dann aber kam nach dem überraschenden Einfall Jamesons
in Transvaal das noch überraschendere Telegramm des deutschen Kaisers an
den Präsidenten Krüger. Das war mehr, als die Engländer vertragen konnten,
besonders weil man an die Absicht der Unterstützung Transvaals durch Deutsch¬
land glaubte. Man dachte thatsächlich an einen Krieg (den Sir Richard Temple
wegen der Stammverwandtschaft beider Völker sehr beklagt haben würde). Da
aber Deutschland nichts zur Unterstützung Transvaals that, so blieb es bei


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[0407] England und Deutschland herigen schnellen Zunahme seines Wohlstandes das englische Volk in gewaltige Aufregung. Es würde falsch und unpolitisch sein, England Vorwürfe zu machen wegen seines Wunsches, der alte Zwist der Nachbarn auf dem Kontinent möge wieder aufleben; es wäre unberechtigt, ihm die Äußerungen des Unmuts über Deutschlands Gedeihen zu verargen; jeder weiß, daß in Geldsachen die Gemütlichkeit aufhört. Die folgende Wiedergabe einzelner englischer Pre߬ stimmen soll daher nicht etwa den Zweck haben, unser Volk gegen England aufzuhetzen, sondern es soll nur daran gezeigt werden, wie ein Volk denkt, das seit Jahrhunderten Weltpolitik treibt und jeden Fall, wo andre von un- kultivirten Land Besitz ergreifen, als Verletzung seiner Interessen auffaßt. Zugleich ist es wohl zeitgemäß, dem deutschen Volke einmal zu zeigen, wie wenig beliebt es in England ist, und in wie einfacher Weise man dort die Vernichtung eines Konkurrenten ins Auge faßt, sobald dessen Fortschritte in Industrie und Handel den Einkünften der britischen Kaufleute bedrohlich werden. Zunächst Sir Richard Temple. Er erzählt uns in einem Aussatze „Die Beziehungen zwischen dem englischen und deutschen Volk" (Deutsche Rundschau, Oktober) zur Verhütung ernsterer Verstimmungen, wie mau im englischen Volk über Deutschland denkt. Nachdem er uns in einigen Sätzen in Erinnerung ge¬ bracht hat, daß der Deutsche in englischen Ländern meist sehr schnell ein guter Engländer werde, zeigt er, daß die deutsche Kolonisation England habe be¬ unruhigen müssen, weil sie im Gegensatz zur französischen wesentlich auf den Handel gerichtet sei. Die Gedanken des Verfassers sind etwa folgende. Die deutschen Erwerbungen in Neuguinea, in Ost- und Westafrika, in Kamerun usw. verletzten eigentlich immer englische Interessen; aber das englische Volk wurde deshalb dem deutschen noch nicht böse, es konnte Deutschlands Wunsch nach eignen Kolonien begreifen, aber es grollte mit seiner Regierung, weil diese keine triftigen Gründe zur Verhinderung vorrätig hatte. Auch die deutschen Bestrebungen in Ost¬ afrika, so bedenklich sie vor 1890 für englische Interessen wurden, konnten nach dem englisch-deutschen Übereinkommen über die Abgrenzung der dortigen Schutz¬ herrschaften das englische Volk noch nicht besonders gegen Deutschland auf¬ regen, zumal da der englische Vertrauensmann. Stanley, erklärt hatte, daß es für England ein gutes Geschäft sei. Schlimmer stand es schon, als Englands Wunsch auf Abtretung eines Landstreifens des Kongostaates durch Deutschland vereitelt wurde. Dann aber kam nach dem überraschenden Einfall Jamesons in Transvaal das noch überraschendere Telegramm des deutschen Kaisers an den Präsidenten Krüger. Das war mehr, als die Engländer vertragen konnten, besonders weil man an die Absicht der Unterstützung Transvaals durch Deutsch¬ land glaubte. Man dachte thatsächlich an einen Krieg (den Sir Richard Temple wegen der Stammverwandtschaft beider Völker sehr beklagt haben würde). Da aber Deutschland nichts zur Unterstützung Transvaals that, so blieb es bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/407>, abgerufen am 29.06.2024.