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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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England und Deutschland

ihm noch nicht. Der Plan seines Kolonialministers Chamberlain, die ge¬
samten Kolonien und das Stammland zu einem Reich mit gemeinsamer Wehr¬
kraft und zu einem großen Zollverein zusammenzuschließen, wird nach Be¬
seitigung der Schwierigkeiten der Durchführung den andern Kulturstaaten ein
engvereintes Oreg-dör-Zrit^in von vierhundert Millionen Einwohnern und zwölf
Millionen englischen Quadratmeilen Fläche entgegenstellen. Es wird ein Riesen-
schutzzollgebiet sein, das bei seiner Ausdehnung durch alle Zonen alle Roh¬
produkte, mit Ausnahme des Petroleums, für seinen Unterhalt und seine
Industrie selbst hervorbringt. Es wäre unpolitisch und eine Verkennung der
Bedeutung Chamberlains, wenn wir in ihm hauptsächlich deu Politiker sähen,
der in der Jameson- und Nhodescmgelegenheit ein in den Augen der Nicht-
englander unsaubres Spiel getrieben habe. Seine Handlungsweise war durch¬
aus patriotisch, und das Verlangen des Volks nach vorteilbringender Welt¬
politik hätte ihn und jede Regierung weggefegt, wenn solche Kämpen für
Englands Lündergier vom Kolonialminister und von der Regierung im Stich
gelassen worden wären.

Bei der ErWirkung einer übrigens berechtigten Entschädigung deutscher
Kaufleute in Haiti durch unsre gedeckten Korvetten Vinetci und Gazelle, unter
Leitung des spätern Admirals Batsch im Jahre 1872, handelte ein zart¬
fühlender Teil unsrer Volksvertretung genau in der entgegengesetzten Weise;
ob richtig oder klug, mag dahingestellt bleiben. Die genannten Schiffe hatten,
um deu wiederholten Ausflüchte" der Negierung von Haiti ein Ende zu
machen, in Port an Prince zwei kleine Kriegsschiffe mit Beschlag belegt und
dadurch endlich die Ersatzleistung erzwungen. Daraufhin trat der Abgeordnete
Laster im deutschen Reichstage auf und hielt eine gewaltige Rede gegen die
Vergewaltigung harmloser Republiken. Unsre Vettern von der andern Seite
des Kanals sollen damals über uns herzlich gelacht haben.

Seit einigen Jahren scheint nun ein Teil der kontinentalen Mächte etwas
mehr zu empfinden, in welcher Weise er bisher von England für dessen Zwecke
ausgenutzt worden ist, und mochte nicht mehr auf jede Aufreizung zur gegen¬
seitigen Prügelei hineinfallen. Frankreich kolonisirt in seiner Art energisch,
und Deutschland fängt an, die Auswanderung seiner überschüssigen Volkszahl
nach Ländern mit englischer Sprache zu bedauern, es breitet, dank seiner
intelligenten Bevölkerung, die Absatzgebiete seiner Industrie immer weiter aus,
vergrößert seine Handelsflotte und möchte sogar seine Wehrkraft zur See
steigern. Da dasselbe Bestreben zugleich in Nußland, Frankreich, den Ver¬
einigten Staaten und Japan besteht, und Englands Handelszunahme nicht
mehr so schnell steigt wie früher, so kommen drüben unbehagliche Gefühle auf.
Noch ist der britische Handel und die Handelsflotte siebenmal so groß als die
Deutschlands, noch ist Englands Übergewicht zur See durch kein Staaten-
bündnis ernstlich gefährdet, und doch versetzt schon die Bedrohung der bis-


England und Deutschland

ihm noch nicht. Der Plan seines Kolonialministers Chamberlain, die ge¬
samten Kolonien und das Stammland zu einem Reich mit gemeinsamer Wehr¬
kraft und zu einem großen Zollverein zusammenzuschließen, wird nach Be¬
seitigung der Schwierigkeiten der Durchführung den andern Kulturstaaten ein
engvereintes Oreg-dör-Zrit^in von vierhundert Millionen Einwohnern und zwölf
Millionen englischen Quadratmeilen Fläche entgegenstellen. Es wird ein Riesen-
schutzzollgebiet sein, das bei seiner Ausdehnung durch alle Zonen alle Roh¬
produkte, mit Ausnahme des Petroleums, für seinen Unterhalt und seine
Industrie selbst hervorbringt. Es wäre unpolitisch und eine Verkennung der
Bedeutung Chamberlains, wenn wir in ihm hauptsächlich deu Politiker sähen,
der in der Jameson- und Nhodescmgelegenheit ein in den Augen der Nicht-
englander unsaubres Spiel getrieben habe. Seine Handlungsweise war durch¬
aus patriotisch, und das Verlangen des Volks nach vorteilbringender Welt¬
politik hätte ihn und jede Regierung weggefegt, wenn solche Kämpen für
Englands Lündergier vom Kolonialminister und von der Regierung im Stich
gelassen worden wären.

Bei der ErWirkung einer übrigens berechtigten Entschädigung deutscher
Kaufleute in Haiti durch unsre gedeckten Korvetten Vinetci und Gazelle, unter
Leitung des spätern Admirals Batsch im Jahre 1872, handelte ein zart¬
fühlender Teil unsrer Volksvertretung genau in der entgegengesetzten Weise;
ob richtig oder klug, mag dahingestellt bleiben. Die genannten Schiffe hatten,
um deu wiederholten Ausflüchte» der Negierung von Haiti ein Ende zu
machen, in Port an Prince zwei kleine Kriegsschiffe mit Beschlag belegt und
dadurch endlich die Ersatzleistung erzwungen. Daraufhin trat der Abgeordnete
Laster im deutschen Reichstage auf und hielt eine gewaltige Rede gegen die
Vergewaltigung harmloser Republiken. Unsre Vettern von der andern Seite
des Kanals sollen damals über uns herzlich gelacht haben.

Seit einigen Jahren scheint nun ein Teil der kontinentalen Mächte etwas
mehr zu empfinden, in welcher Weise er bisher von England für dessen Zwecke
ausgenutzt worden ist, und mochte nicht mehr auf jede Aufreizung zur gegen¬
seitigen Prügelei hineinfallen. Frankreich kolonisirt in seiner Art energisch,
und Deutschland fängt an, die Auswanderung seiner überschüssigen Volkszahl
nach Ländern mit englischer Sprache zu bedauern, es breitet, dank seiner
intelligenten Bevölkerung, die Absatzgebiete seiner Industrie immer weiter aus,
vergrößert seine Handelsflotte und möchte sogar seine Wehrkraft zur See
steigern. Da dasselbe Bestreben zugleich in Nußland, Frankreich, den Ver¬
einigten Staaten und Japan besteht, und Englands Handelszunahme nicht
mehr so schnell steigt wie früher, so kommen drüben unbehagliche Gefühle auf.
Noch ist der britische Handel und die Handelsflotte siebenmal so groß als die
Deutschlands, noch ist Englands Übergewicht zur See durch kein Staaten-
bündnis ernstlich gefährdet, und doch versetzt schon die Bedrohung der bis-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/406>, abgerufen am 28.09.2024.