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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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sich in Prag krönen. Seit dieser Zeit ist die nationale Bewegung im Auf¬
steigen begriffen; der Klerus, der den Deutschen immer feindselig geblieben
war, förderte sie aus allen Kräften; die französische Revolution erweckte ein
Echo; der Durchmarsch russischer Heere 1800, 1805 und 1813 rief das Gefühl
der Zusammengehörigkeit aller Slawen hervor, und bald schuf der große Ge¬
lehrte Dobrowsky die tschechische Grammatik, und die Führer der nationalen
Richtung, Jungmann, Schafarik und Palaczky begannen ihre Laufbahn, an
deren Ende logischerweise der Sieg des Gedankens stand, daß Österreich kein
deutscher Staat sei, sondern ein slawischer, ein Gedanke, dessen Verwirklichung
zur Zeit vou den Tschechen und Polen mit vereinten Kräften angestrebt wird.

Es ist ein Verdienst des Werkes, daß es, hervorgegangen aus dem Zusammen¬
wirken einer großen Anzahl von Spezialisten, uns den vollen Einblick in das
unendlich mannichfaltige Spiel der geschichtlichen Kräfte eröffnet, und daß es
uns dadurch erst von dem ganzen Zeitalter ein getreues Bild giebt.


G. Lgelhaaf


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Politik der Vorsicht in England. In Ur. 39 haben wir eine in
der Laturä!^ Rsviv^v hervortretende Strömung beschrieben, die darauf gerichtet
ist, die drohenden Gefahren durch Schlichtung jedes Zwiespalts im Innern und
durch zurückhaltende Mäßigung dem Auslande gegenüber zu beschwören. Nicht
daß die vornehme Wochenschrift den dem Briten geziemender Stolz verleugnete
-- jedem, der einen Augriff auf Englands Küsten wagen wollte, droht sie Zer¬
schmetterung --, aber bei jeder Gelegenheit rede sie aufs dringendste, Konflikten
aus dem Wege zu gehen und Herausforderungen zu unterlassen. Wir wollen noch
aus den letzten beiden Monaten ein paar Belege dafür anführen, daß wir es hier
mit einer auf klarer Einsicht beruhenden beharrlichen Strömung zu thun haben.

Fast in jeder Nummer wird die "Vorwärtspolitik" der von ihren militärischen
Mitgliedern beherrschten indischen Regierung bekämpft. Ebenso fehlt in keiner
Nummer ein Angriff auf den Kolonialminister Chamberlain. Der stärkste findet
sich in der Nummer vom 6, November. Veranlassung dazu gab der Tod des
High Commissionairs des Kaplands, Lord Rvsmead (Sir Hercules Robinson).
Der Herausgeber der Wochenübersicht gedenkt einer Unterredung, die er kurze Zeit
uach Jamesous Freibeuterzug im Regierungsgebäude zu Kapstadt mit dem Ver¬
storbnen gehabt hat. Dieser habe den verrückten Pulses tief beklagt, wegen der
tragischen Veruneinigung der beiden Südafrika beherrschenden Nassen und des rege
gewordnen Argwohns, der von nun an den Engländern im Wege stehen werde.
Besonders drei Punkte habe er hervorgehoben. Erstens die Einmischungssucht
Chamberlains. Wiederholt habe er diesen s, bus^uoä^ genannt. Der Mann habe
die Unterhandlungen mit den eingebornen Häuptlingen, die von der Kcipregieruug
hätten geführt werden müssen, in London geführt, die Kapregierung sei über nichts


sich in Prag krönen. Seit dieser Zeit ist die nationale Bewegung im Auf¬
steigen begriffen; der Klerus, der den Deutschen immer feindselig geblieben
war, förderte sie aus allen Kräften; die französische Revolution erweckte ein
Echo; der Durchmarsch russischer Heere 1800, 1805 und 1813 rief das Gefühl
der Zusammengehörigkeit aller Slawen hervor, und bald schuf der große Ge¬
lehrte Dobrowsky die tschechische Grammatik, und die Führer der nationalen
Richtung, Jungmann, Schafarik und Palaczky begannen ihre Laufbahn, an
deren Ende logischerweise der Sieg des Gedankens stand, daß Österreich kein
deutscher Staat sei, sondern ein slawischer, ein Gedanke, dessen Verwirklichung
zur Zeit vou den Tschechen und Polen mit vereinten Kräften angestrebt wird.

Es ist ein Verdienst des Werkes, daß es, hervorgegangen aus dem Zusammen¬
wirken einer großen Anzahl von Spezialisten, uns den vollen Einblick in das
unendlich mannichfaltige Spiel der geschichtlichen Kräfte eröffnet, und daß es
uns dadurch erst von dem ganzen Zeitalter ein getreues Bild giebt.


G. Lgelhaaf


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Politik der Vorsicht in England. In Ur. 39 haben wir eine in
der Laturä!^ Rsviv^v hervortretende Strömung beschrieben, die darauf gerichtet
ist, die drohenden Gefahren durch Schlichtung jedes Zwiespalts im Innern und
durch zurückhaltende Mäßigung dem Auslande gegenüber zu beschwören. Nicht
daß die vornehme Wochenschrift den dem Briten geziemender Stolz verleugnete
— jedem, der einen Augriff auf Englands Küsten wagen wollte, droht sie Zer¬
schmetterung —, aber bei jeder Gelegenheit rede sie aufs dringendste, Konflikten
aus dem Wege zu gehen und Herausforderungen zu unterlassen. Wir wollen noch
aus den letzten beiden Monaten ein paar Belege dafür anführen, daß wir es hier
mit einer auf klarer Einsicht beruhenden beharrlichen Strömung zu thun haben.

Fast in jeder Nummer wird die „Vorwärtspolitik" der von ihren militärischen
Mitgliedern beherrschten indischen Regierung bekämpft. Ebenso fehlt in keiner
Nummer ein Angriff auf den Kolonialminister Chamberlain. Der stärkste findet
sich in der Nummer vom 6, November. Veranlassung dazu gab der Tod des
High Commissionairs des Kaplands, Lord Rvsmead (Sir Hercules Robinson).
Der Herausgeber der Wochenübersicht gedenkt einer Unterredung, die er kurze Zeit
uach Jamesous Freibeuterzug im Regierungsgebäude zu Kapstadt mit dem Ver¬
storbnen gehabt hat. Dieser habe den verrückten Pulses tief beklagt, wegen der
tragischen Veruneinigung der beiden Südafrika beherrschenden Nassen und des rege
gewordnen Argwohns, der von nun an den Engländern im Wege stehen werde.
Besonders drei Punkte habe er hervorgehoben. Erstens die Einmischungssucht
Chamberlains. Wiederholt habe er diesen s, bus^uoä^ genannt. Der Mann habe
die Unterhandlungen mit den eingebornen Häuptlingen, die von der Kcipregieruug
hätten geführt werden müssen, in London geführt, die Kapregierung sei über nichts


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[0396] sich in Prag krönen. Seit dieser Zeit ist die nationale Bewegung im Auf¬ steigen begriffen; der Klerus, der den Deutschen immer feindselig geblieben war, förderte sie aus allen Kräften; die französische Revolution erweckte ein Echo; der Durchmarsch russischer Heere 1800, 1805 und 1813 rief das Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Slawen hervor, und bald schuf der große Ge¬ lehrte Dobrowsky die tschechische Grammatik, und die Führer der nationalen Richtung, Jungmann, Schafarik und Palaczky begannen ihre Laufbahn, an deren Ende logischerweise der Sieg des Gedankens stand, daß Österreich kein deutscher Staat sei, sondern ein slawischer, ein Gedanke, dessen Verwirklichung zur Zeit vou den Tschechen und Polen mit vereinten Kräften angestrebt wird. Es ist ein Verdienst des Werkes, daß es, hervorgegangen aus dem Zusammen¬ wirken einer großen Anzahl von Spezialisten, uns den vollen Einblick in das unendlich mannichfaltige Spiel der geschichtlichen Kräfte eröffnet, und daß es uns dadurch erst von dem ganzen Zeitalter ein getreues Bild giebt. G. Lgelhaaf Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Politik der Vorsicht in England. In Ur. 39 haben wir eine in der Laturä!^ Rsviv^v hervortretende Strömung beschrieben, die darauf gerichtet ist, die drohenden Gefahren durch Schlichtung jedes Zwiespalts im Innern und durch zurückhaltende Mäßigung dem Auslande gegenüber zu beschwören. Nicht daß die vornehme Wochenschrift den dem Briten geziemender Stolz verleugnete — jedem, der einen Augriff auf Englands Küsten wagen wollte, droht sie Zer¬ schmetterung —, aber bei jeder Gelegenheit rede sie aufs dringendste, Konflikten aus dem Wege zu gehen und Herausforderungen zu unterlassen. Wir wollen noch aus den letzten beiden Monaten ein paar Belege dafür anführen, daß wir es hier mit einer auf klarer Einsicht beruhenden beharrlichen Strömung zu thun haben. Fast in jeder Nummer wird die „Vorwärtspolitik" der von ihren militärischen Mitgliedern beherrschten indischen Regierung bekämpft. Ebenso fehlt in keiner Nummer ein Angriff auf den Kolonialminister Chamberlain. Der stärkste findet sich in der Nummer vom 6, November. Veranlassung dazu gab der Tod des High Commissionairs des Kaplands, Lord Rvsmead (Sir Hercules Robinson). Der Herausgeber der Wochenübersicht gedenkt einer Unterredung, die er kurze Zeit uach Jamesous Freibeuterzug im Regierungsgebäude zu Kapstadt mit dem Ver¬ storbnen gehabt hat. Dieser habe den verrückten Pulses tief beklagt, wegen der tragischen Veruneinigung der beiden Südafrika beherrschenden Nassen und des rege gewordnen Argwohns, der von nun an den Engländern im Wege stehen werde. Besonders drei Punkte habe er hervorgehoben. Erstens die Einmischungssucht Chamberlains. Wiederholt habe er diesen s, bus^uoä^ genannt. Der Mann habe die Unterhandlungen mit den eingebornen Häuptlingen, die von der Kcipregieruug hätten geführt werden müssen, in London geführt, die Kapregierung sei über nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/396>, abgerufen am 29.06.2024.