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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Aus der napoleoiiischeii Aelt

gestiegen. Wenn ein Krieg ausbricht, so wird alles Land zwischen Rhein und
Oder der Herd eines allgemeinen Aufruhrs werden. Der Grund davon liegt
nicht bloß in dem Haß gegen Frankreich und in der Unzufriedenheit über das
fremde Joch: er liegt vielmehr in dem Unglück der Zeit, in dem völligen
Ruin aller Klassen, in dem ungeheuern Druck, den die Steuern, die Brand-
schatzungen, die Durchmärsche, die endlosen Plackereien aller Art hervorrufen.
Man muß deu Losbruch der Verzweiflung der Bevölkerungen erwarten, die
nichts mehr zu verlieren haben, weil man ihnen alles genommen hat." Ähnlich
sprechen sich Davont, Rapp, alle Generale und Statthalter aus; aber der
Kaiser that, als ob er alles das verachtete.

So kam er schließlich zu Fall namentlich durch eben diese verachteten Preußen,
denen unzweifelhaft an den Siegen von 1313 und 1814 das größte und beste
Teil zukommt, nicht durch den Abscheu des Volkes, das er seit dem Staatsstreich
von 1799 absolut beherrschte. So gewiß Napoleon und der ewige Krieg
zusammengehörten, so wenig machte sich das die französische Volksmasse klar:
für sie war und blieb der Kaiser die Verkörperung der Revolution, der sie
ihre wirtschaftliche Befreiung verdankte. Als 1814 die Verbündeten in Frank¬
reich eindrangen, wünschte freilich alle Welt sehnlich den Frieden; aber vier
Fünftel des Volkes, sagt Henry Houssaye, der diesen Teil des Werkes verfaßt
hat und diese Dinge aus genauen Studien kennt, dachten dabei nicht einmal
von fern an den Sturz des Kaisers. Von ihm hoffte man vielmehr, daß er
den Frieden selber abschließen werde; noch schrieen die Bauern, im Angesicht
der Gefahr einer Rückkehr der Emigranten: "Nieder mit den Grundlasten, und
hoch der Kaiser!" Aber zwei sehr wichtige Klassen der Nation, der Adel und
das liberale Bürgertum, faßten schon Napoleons Sturz ins Auge. Der Adel
war trotz allem und allem niemals völlig mit dem Kaisertum ausgesöhnt
worden; das Bürgertum aber knirschte über die Knebelung des parlamenta¬
rischen Lebens, und eben dieses stillschweigende Bündnis von Adel und Bürger¬
tum hat nach dem Fall von Paris die Grundlage für die Rückkehr der Bour-
bone" abgegeben. Aber je mehr dann diese in reaktionäre Bahnen einlenkten,
desto zäher hielt der Volksinstinkt an Bonaparte fest als dem Bürgen der revo¬
lutionären Errungenschaften. So lebte die Legende von ihm in den Massen
fort, und als er längst tot war, erwies er sich erst recht als ein Lebender in
dem Getriebe der französischen Politik. Das zweite Kaiserreich ist, genau be¬
sehen, nur durch ihn möglich geworden; es ist seine Schöpfung nicht minder
als das erste.

Das napoleonische Zeitalter ist die Periode der rücksichtslosesten Unter¬
drückung der Völkeriudividualitäten durch einen energischen Tyrannenwillen; der
Kaiser hat sich gelegentlich selber gerühmt, wie es Antiochus der Große von
Syrien gegenüber den Römern hinsichtlich Asiens that, daß für ihn alle
Völkerschaften Europas die Waffen tragen müßten -- felbst ein Bruchteil der


Aus der napoleoiiischeii Aelt

gestiegen. Wenn ein Krieg ausbricht, so wird alles Land zwischen Rhein und
Oder der Herd eines allgemeinen Aufruhrs werden. Der Grund davon liegt
nicht bloß in dem Haß gegen Frankreich und in der Unzufriedenheit über das
fremde Joch: er liegt vielmehr in dem Unglück der Zeit, in dem völligen
Ruin aller Klassen, in dem ungeheuern Druck, den die Steuern, die Brand-
schatzungen, die Durchmärsche, die endlosen Plackereien aller Art hervorrufen.
Man muß deu Losbruch der Verzweiflung der Bevölkerungen erwarten, die
nichts mehr zu verlieren haben, weil man ihnen alles genommen hat." Ähnlich
sprechen sich Davont, Rapp, alle Generale und Statthalter aus; aber der
Kaiser that, als ob er alles das verachtete.

So kam er schließlich zu Fall namentlich durch eben diese verachteten Preußen,
denen unzweifelhaft an den Siegen von 1313 und 1814 das größte und beste
Teil zukommt, nicht durch den Abscheu des Volkes, das er seit dem Staatsstreich
von 1799 absolut beherrschte. So gewiß Napoleon und der ewige Krieg
zusammengehörten, so wenig machte sich das die französische Volksmasse klar:
für sie war und blieb der Kaiser die Verkörperung der Revolution, der sie
ihre wirtschaftliche Befreiung verdankte. Als 1814 die Verbündeten in Frank¬
reich eindrangen, wünschte freilich alle Welt sehnlich den Frieden; aber vier
Fünftel des Volkes, sagt Henry Houssaye, der diesen Teil des Werkes verfaßt
hat und diese Dinge aus genauen Studien kennt, dachten dabei nicht einmal
von fern an den Sturz des Kaisers. Von ihm hoffte man vielmehr, daß er
den Frieden selber abschließen werde; noch schrieen die Bauern, im Angesicht
der Gefahr einer Rückkehr der Emigranten: „Nieder mit den Grundlasten, und
hoch der Kaiser!" Aber zwei sehr wichtige Klassen der Nation, der Adel und
das liberale Bürgertum, faßten schon Napoleons Sturz ins Auge. Der Adel
war trotz allem und allem niemals völlig mit dem Kaisertum ausgesöhnt
worden; das Bürgertum aber knirschte über die Knebelung des parlamenta¬
rischen Lebens, und eben dieses stillschweigende Bündnis von Adel und Bürger¬
tum hat nach dem Fall von Paris die Grundlage für die Rückkehr der Bour-
bone» abgegeben. Aber je mehr dann diese in reaktionäre Bahnen einlenkten,
desto zäher hielt der Volksinstinkt an Bonaparte fest als dem Bürgen der revo¬
lutionären Errungenschaften. So lebte die Legende von ihm in den Massen
fort, und als er längst tot war, erwies er sich erst recht als ein Lebender in
dem Getriebe der französischen Politik. Das zweite Kaiserreich ist, genau be¬
sehen, nur durch ihn möglich geworden; es ist seine Schöpfung nicht minder
als das erste.

Das napoleonische Zeitalter ist die Periode der rücksichtslosesten Unter¬
drückung der Völkeriudividualitäten durch einen energischen Tyrannenwillen; der
Kaiser hat sich gelegentlich selber gerühmt, wie es Antiochus der Große von
Syrien gegenüber den Römern hinsichtlich Asiens that, daß für ihn alle
Völkerschaften Europas die Waffen tragen müßten — felbst ein Bruchteil der


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[0394] Aus der napoleoiiischeii Aelt gestiegen. Wenn ein Krieg ausbricht, so wird alles Land zwischen Rhein und Oder der Herd eines allgemeinen Aufruhrs werden. Der Grund davon liegt nicht bloß in dem Haß gegen Frankreich und in der Unzufriedenheit über das fremde Joch: er liegt vielmehr in dem Unglück der Zeit, in dem völligen Ruin aller Klassen, in dem ungeheuern Druck, den die Steuern, die Brand- schatzungen, die Durchmärsche, die endlosen Plackereien aller Art hervorrufen. Man muß deu Losbruch der Verzweiflung der Bevölkerungen erwarten, die nichts mehr zu verlieren haben, weil man ihnen alles genommen hat." Ähnlich sprechen sich Davont, Rapp, alle Generale und Statthalter aus; aber der Kaiser that, als ob er alles das verachtete. So kam er schließlich zu Fall namentlich durch eben diese verachteten Preußen, denen unzweifelhaft an den Siegen von 1313 und 1814 das größte und beste Teil zukommt, nicht durch den Abscheu des Volkes, das er seit dem Staatsstreich von 1799 absolut beherrschte. So gewiß Napoleon und der ewige Krieg zusammengehörten, so wenig machte sich das die französische Volksmasse klar: für sie war und blieb der Kaiser die Verkörperung der Revolution, der sie ihre wirtschaftliche Befreiung verdankte. Als 1814 die Verbündeten in Frank¬ reich eindrangen, wünschte freilich alle Welt sehnlich den Frieden; aber vier Fünftel des Volkes, sagt Henry Houssaye, der diesen Teil des Werkes verfaßt hat und diese Dinge aus genauen Studien kennt, dachten dabei nicht einmal von fern an den Sturz des Kaisers. Von ihm hoffte man vielmehr, daß er den Frieden selber abschließen werde; noch schrieen die Bauern, im Angesicht der Gefahr einer Rückkehr der Emigranten: „Nieder mit den Grundlasten, und hoch der Kaiser!" Aber zwei sehr wichtige Klassen der Nation, der Adel und das liberale Bürgertum, faßten schon Napoleons Sturz ins Auge. Der Adel war trotz allem und allem niemals völlig mit dem Kaisertum ausgesöhnt worden; das Bürgertum aber knirschte über die Knebelung des parlamenta¬ rischen Lebens, und eben dieses stillschweigende Bündnis von Adel und Bürger¬ tum hat nach dem Fall von Paris die Grundlage für die Rückkehr der Bour- bone» abgegeben. Aber je mehr dann diese in reaktionäre Bahnen einlenkten, desto zäher hielt der Volksinstinkt an Bonaparte fest als dem Bürgen der revo¬ lutionären Errungenschaften. So lebte die Legende von ihm in den Massen fort, und als er längst tot war, erwies er sich erst recht als ein Lebender in dem Getriebe der französischen Politik. Das zweite Kaiserreich ist, genau be¬ sehen, nur durch ihn möglich geworden; es ist seine Schöpfung nicht minder als das erste. Das napoleonische Zeitalter ist die Periode der rücksichtslosesten Unter¬ drückung der Völkeriudividualitäten durch einen energischen Tyrannenwillen; der Kaiser hat sich gelegentlich selber gerühmt, wie es Antiochus der Große von Syrien gegenüber den Römern hinsichtlich Asiens that, daß für ihn alle Völkerschaften Europas die Waffen tragen müßten — felbst ein Bruchteil der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/394>, abgerufen am 29.06.2024.