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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Ans der ncipoleonischen Zeit

und Marceau; immer noch blieb die Anrede "Bürger," und nur statt "Bür¬
gerin" sagte der erste Konsul "Madame." Als die Nachricht von Washingtons
Tod (f 14. Dezember 1799) eintraf, befahl Bonaparte die Abhaltung einer
Trauerfeier im Namen der Freiheit und Gleichheit. Aber neben diesen alten
Sitten der Revolution begannen doch die noch ältern der Monarchie sich
schüchtern wieder zu zeigen. Es kamen die Bälle in der Oper wieder auf,
und man verkleidete sich hier wieder als Mönch, als Parlamentsrat -- "ebenso
aus Reaktion wie aus Hohn." Am 25. Februar 1800 gab Talleyrand, der
Minister des Auswärtigen, eine glänzende Abendgesellschaft, auf der sich die
Parteigänger des alten und des neuen Regime trafen. Man sah hier die Herren
von Coigny, Dumas, Portalis, Segur deu Ältern, La Rochefoucauld-Liancourt,
Crillon, die Frauen von Vergennes, Castellane, Aiguillon, Noailles. An die
Stelle der Männer der Revolution traten in der Umgebung des ersten Konsuls
Männer aus der Monarchie; sie allein, sagte Bonaparte, verstehen zu dienen;
auf die Liberalen, die in der Volksvertretung ihre Grundsätze verteidigten, sah
er mit Zorn und bezeichnete sie als Ideologen, d. h. als unpraktische Träumer
und Schwärmer.

Der eigentümliche Wert des vorliegendes Bandes liegt großenteils darin,
daß er in den Kapiteln 7, 8, 9 und 17 eine sehr eingehende Darstellung der
Wirkungen giebt, die das Kaiserreich auf Politik, Verwaltung, Rechtspflege,
Kirche, Schule. Ackerbau, Handel. Gewerbfleiß und Finanzen Frankreichs gehabt
hat; man wird nicht leicht sonst eine so brauchbare Übersicht über diese Dinge
auf verhältnismäßig doch knappen Raum (etwa 110 Seiten) beisammen finden.
Es treten dabei viele Lichtseiten des Kaiserreichs deutlich hervor. So hat es
den Ackerbau fast in allen seinen Zweigen gehoben, wie denn z. B. der Wein¬
bau unter ihm ein Viertel, nach andern gar die Hälfte mehr abwarf als vor
1790, weil sich die mit Wein bebaute Flüche entsprechend vergrößerte; die
während der Revolution fast vernichtete Industrie hat unter dem Kaiserreich
den Verlornen Boden völlig zurückgewonnen; an manchen Orten hat sie sich
sogar gegen 1790 sehr gehoben; Lyon, das im Jahre 1800 nur 5800 Weber
zählte, hatte vor der Krisis von 1312 15500.

Aber neben den erfreulichen Zügen machen sich, und zwar mit dem Fort¬
schritt der Jahre in immer steigendem Maße, die düstern und unheilvollen
geltend. Abgesehen von Frankreich selbst, wo mehr und mehr jede Möglichkeit
einer freien Bewegung erstickt wurde und 1810 die Schaffung der Universität
~^ d. h. der geschlossenen Schulhierarchie vom Volksschullehrer bis zum "Gro߬
meister" -- die Erziehung der Jugend schlechtweg in den Dienst der "kaiserlichen
Monarchie" zu stellen suchte, zeigten sich die verheerenden Folgen der napo-
leonischen Gewaltherrschaft nirgends furchtbarer als in Deutschland, wo sich
Ende 1811 über die ewigen Scherereien. Erpressungen und Vergewaltigungen
eine solche Erbitterung angesammelt hatte, daß selbst der leichtfertige König
Jerome von Westfalen seinem Bruder schrieb: "Die Gährung ist aufs äußerste


Ans der ncipoleonischen Zeit

und Marceau; immer noch blieb die Anrede „Bürger," und nur statt „Bür¬
gerin" sagte der erste Konsul „Madame." Als die Nachricht von Washingtons
Tod (f 14. Dezember 1799) eintraf, befahl Bonaparte die Abhaltung einer
Trauerfeier im Namen der Freiheit und Gleichheit. Aber neben diesen alten
Sitten der Revolution begannen doch die noch ältern der Monarchie sich
schüchtern wieder zu zeigen. Es kamen die Bälle in der Oper wieder auf,
und man verkleidete sich hier wieder als Mönch, als Parlamentsrat — „ebenso
aus Reaktion wie aus Hohn." Am 25. Februar 1800 gab Talleyrand, der
Minister des Auswärtigen, eine glänzende Abendgesellschaft, auf der sich die
Parteigänger des alten und des neuen Regime trafen. Man sah hier die Herren
von Coigny, Dumas, Portalis, Segur deu Ältern, La Rochefoucauld-Liancourt,
Crillon, die Frauen von Vergennes, Castellane, Aiguillon, Noailles. An die
Stelle der Männer der Revolution traten in der Umgebung des ersten Konsuls
Männer aus der Monarchie; sie allein, sagte Bonaparte, verstehen zu dienen;
auf die Liberalen, die in der Volksvertretung ihre Grundsätze verteidigten, sah
er mit Zorn und bezeichnete sie als Ideologen, d. h. als unpraktische Träumer
und Schwärmer.

Der eigentümliche Wert des vorliegendes Bandes liegt großenteils darin,
daß er in den Kapiteln 7, 8, 9 und 17 eine sehr eingehende Darstellung der
Wirkungen giebt, die das Kaiserreich auf Politik, Verwaltung, Rechtspflege,
Kirche, Schule. Ackerbau, Handel. Gewerbfleiß und Finanzen Frankreichs gehabt
hat; man wird nicht leicht sonst eine so brauchbare Übersicht über diese Dinge
auf verhältnismäßig doch knappen Raum (etwa 110 Seiten) beisammen finden.
Es treten dabei viele Lichtseiten des Kaiserreichs deutlich hervor. So hat es
den Ackerbau fast in allen seinen Zweigen gehoben, wie denn z. B. der Wein¬
bau unter ihm ein Viertel, nach andern gar die Hälfte mehr abwarf als vor
1790, weil sich die mit Wein bebaute Flüche entsprechend vergrößerte; die
während der Revolution fast vernichtete Industrie hat unter dem Kaiserreich
den Verlornen Boden völlig zurückgewonnen; an manchen Orten hat sie sich
sogar gegen 1790 sehr gehoben; Lyon, das im Jahre 1800 nur 5800 Weber
zählte, hatte vor der Krisis von 1312 15500.

Aber neben den erfreulichen Zügen machen sich, und zwar mit dem Fort¬
schritt der Jahre in immer steigendem Maße, die düstern und unheilvollen
geltend. Abgesehen von Frankreich selbst, wo mehr und mehr jede Möglichkeit
einer freien Bewegung erstickt wurde und 1810 die Schaffung der Universität
~^ d. h. der geschlossenen Schulhierarchie vom Volksschullehrer bis zum „Gro߬
meister" — die Erziehung der Jugend schlechtweg in den Dienst der „kaiserlichen
Monarchie" zu stellen suchte, zeigten sich die verheerenden Folgen der napo-
leonischen Gewaltherrschaft nirgends furchtbarer als in Deutschland, wo sich
Ende 1811 über die ewigen Scherereien. Erpressungen und Vergewaltigungen
eine solche Erbitterung angesammelt hatte, daß selbst der leichtfertige König
Jerome von Westfalen seinem Bruder schrieb: „Die Gährung ist aufs äußerste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/393>, abgerufen am 29.06.2024.