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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Aus der ncipoleonischen Zeit

in Zukunft ihre Schlüsse zu ziehen haben wird, daß es aber sür sich allein
nicht hinreicht, Systeme darauf zu bauen, und obwohl Ammon selbst die
Verschiedenheit der Mesfungsmethoden als eine Fehlerquelle bezeichnet, wollen
wir einmal annehmen, daß seine Zahlen unbedingt zuverlässig und seine Folge¬
rungen richtig seien, und da ist denn das erste, was uns auffüllt, der seltsame
Widerspruch, in den er sich selbst und die Genossen seiner Schule verwickelt.
Die Vertreter der Theorie einer Sozialauslese behaupten nicht allein, daß im
Kampfe ums Dasein die den Daseinsbedingungen am besten angepaßten Indi¬
viduen überleben -- das versteht sich von selbst --, sie behaupten vielmehr,
daß die gut angepaßten überlebenden Individuen auch jedesmal die besten und
tüchtigsten seien, und sie meinen deshalb, daß man den natürlichen Auslese-
Prozeß ruhig wirken lassen und sich wohl hüten müsse, durch künstliche Mittel,
etwa durch Gesetze zum Schutze der Schwachen, in ihn einzugreifen und ihn
zu hemmen; und als gute Patrioten, die sie sind, halten sie die deutsche oder
vielmehr die germanische Rasse für die edelste, tüchtigste und sittlich am höchsten
stehende Rasse. Und nun erfahren wir von dem bedeutendsten deutschen
Shstematiker dieser Schule, daß der Prozeß der natürlichen Auslese die ger¬
manische Rasse dem Untergange nahe gebracht hat und sie wahrscheinlich
vollends vertilgen wird! Da verstehe einer die Begeisterung der Herren für
die natürliche Auslese!

(Fortsetzung folgt)




Aus der napoleonischen Zeit

er neunte Band der großen französischen Weltgeschichte, die vom
vierten Jahrhundert nach Christus bis in unsre Tage geführt
werden soll, bringt auf 1011 Seiten die Geschichte des napoleo¬
nischen Zeitalters, an der nicht weniger als einundzwanzig fran¬
zösische Geschichtschreiber mitgearbeitet haben.*) Während man
am achten Bande eine gewisse Einseitigkeit in der Beurteilung der "großen
Revolution" wahrnahm -- die Wstoirö ssvoc-ralö wußte ihr mehr Gutes nach¬
zusagen, als man sonst im allgemeinen zuzugeben geneigt ist --, macht der
vorliegende Band den Eindruck größerer Unbefangenheit.



*) llistoiro K6usr"Is. Onviaxo xudli6 sous la ckirsotion as ZI. U. üruost
I^visss et ^.It'i-sa Rand-ruä. lomo IX. Mxoleou 1800--1315. ?Aris, ^rmM"I
Volin, 18S7.
Aus der ncipoleonischen Zeit

in Zukunft ihre Schlüsse zu ziehen haben wird, daß es aber sür sich allein
nicht hinreicht, Systeme darauf zu bauen, und obwohl Ammon selbst die
Verschiedenheit der Mesfungsmethoden als eine Fehlerquelle bezeichnet, wollen
wir einmal annehmen, daß seine Zahlen unbedingt zuverlässig und seine Folge¬
rungen richtig seien, und da ist denn das erste, was uns auffüllt, der seltsame
Widerspruch, in den er sich selbst und die Genossen seiner Schule verwickelt.
Die Vertreter der Theorie einer Sozialauslese behaupten nicht allein, daß im
Kampfe ums Dasein die den Daseinsbedingungen am besten angepaßten Indi¬
viduen überleben — das versteht sich von selbst —, sie behaupten vielmehr,
daß die gut angepaßten überlebenden Individuen auch jedesmal die besten und
tüchtigsten seien, und sie meinen deshalb, daß man den natürlichen Auslese-
Prozeß ruhig wirken lassen und sich wohl hüten müsse, durch künstliche Mittel,
etwa durch Gesetze zum Schutze der Schwachen, in ihn einzugreifen und ihn
zu hemmen; und als gute Patrioten, die sie sind, halten sie die deutsche oder
vielmehr die germanische Rasse für die edelste, tüchtigste und sittlich am höchsten
stehende Rasse. Und nun erfahren wir von dem bedeutendsten deutschen
Shstematiker dieser Schule, daß der Prozeß der natürlichen Auslese die ger¬
manische Rasse dem Untergange nahe gebracht hat und sie wahrscheinlich
vollends vertilgen wird! Da verstehe einer die Begeisterung der Herren für
die natürliche Auslese!

(Fortsetzung folgt)




Aus der napoleonischen Zeit

er neunte Band der großen französischen Weltgeschichte, die vom
vierten Jahrhundert nach Christus bis in unsre Tage geführt
werden soll, bringt auf 1011 Seiten die Geschichte des napoleo¬
nischen Zeitalters, an der nicht weniger als einundzwanzig fran¬
zösische Geschichtschreiber mitgearbeitet haben.*) Während man
am achten Bande eine gewisse Einseitigkeit in der Beurteilung der „großen
Revolution" wahrnahm — die Wstoirö ssvoc-ralö wußte ihr mehr Gutes nach¬
zusagen, als man sonst im allgemeinen zuzugeben geneigt ist —, macht der
vorliegende Band den Eindruck größerer Unbefangenheit.



*) llistoiro K6usr»Is. Onviaxo xudli6 sous la ckirsotion as ZI. U. üruost
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[0391] Aus der ncipoleonischen Zeit in Zukunft ihre Schlüsse zu ziehen haben wird, daß es aber sür sich allein nicht hinreicht, Systeme darauf zu bauen, und obwohl Ammon selbst die Verschiedenheit der Mesfungsmethoden als eine Fehlerquelle bezeichnet, wollen wir einmal annehmen, daß seine Zahlen unbedingt zuverlässig und seine Folge¬ rungen richtig seien, und da ist denn das erste, was uns auffüllt, der seltsame Widerspruch, in den er sich selbst und die Genossen seiner Schule verwickelt. Die Vertreter der Theorie einer Sozialauslese behaupten nicht allein, daß im Kampfe ums Dasein die den Daseinsbedingungen am besten angepaßten Indi¬ viduen überleben — das versteht sich von selbst —, sie behaupten vielmehr, daß die gut angepaßten überlebenden Individuen auch jedesmal die besten und tüchtigsten seien, und sie meinen deshalb, daß man den natürlichen Auslese- Prozeß ruhig wirken lassen und sich wohl hüten müsse, durch künstliche Mittel, etwa durch Gesetze zum Schutze der Schwachen, in ihn einzugreifen und ihn zu hemmen; und als gute Patrioten, die sie sind, halten sie die deutsche oder vielmehr die germanische Rasse für die edelste, tüchtigste und sittlich am höchsten stehende Rasse. Und nun erfahren wir von dem bedeutendsten deutschen Shstematiker dieser Schule, daß der Prozeß der natürlichen Auslese die ger¬ manische Rasse dem Untergange nahe gebracht hat und sie wahrscheinlich vollends vertilgen wird! Da verstehe einer die Begeisterung der Herren für die natürliche Auslese! (Fortsetzung folgt) Aus der napoleonischen Zeit er neunte Band der großen französischen Weltgeschichte, die vom vierten Jahrhundert nach Christus bis in unsre Tage geführt werden soll, bringt auf 1011 Seiten die Geschichte des napoleo¬ nischen Zeitalters, an der nicht weniger als einundzwanzig fran¬ zösische Geschichtschreiber mitgearbeitet haben.*) Während man am achten Bande eine gewisse Einseitigkeit in der Beurteilung der „großen Revolution" wahrnahm — die Wstoirö ssvoc-ralö wußte ihr mehr Gutes nach¬ zusagen, als man sonst im allgemeinen zuzugeben geneigt ist —, macht der vorliegende Band den Eindruck größerer Unbefangenheit. *) llistoiro K6usr»Is. Onviaxo xudli6 sous la ckirsotion as ZI. U. üruost I^visss et ^.It'i-sa Rand-ruä. lomo IX. Mxoleou 1800—1315. ?Aris, ^rmM«I Volin, 18S7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/391>, abgerufen am 29.06.2024.