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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Aus Maximilian Klingers Leben

auf bedeutende Weise mit ausfüllen können; Goethe und Schiller verdunkelten
ihn, und dadurch wurde er überflüssig. Es war ihm immer sehr ernst mit
seinen Dichtungen, sie waren ihm. wie Goethe", Teile seines innern Lebens,
dem er Klarheit dadurch verschaffen wollte. Die Grundtriebe sind kräftig und
männlich; er hatte sich eine Theorie von der moralischen Kraft, die den Dichter
mache, ausgebildet und stellte einem Wilhelm Meister oder Tasso seine anders
gebildeten Helden geradezu entgegen. Alles bloß ästhetische, aber auch jede
Art von Mystizismus war ihm zuwider; was ihn innerlich erfüllte, sollte sich
in scharfen und möglichst klaren Sätzen auskämpfen. Aber zu diesem oft sehr
in die Breite gehenden Inhalt fand sich keine glückliche Form ein. Seit er
einst in seinen "Zwillingen" mit beigetragen hatte zu der Dichtung der neuen
Zeit, hatte sich in Deutschland der Geschmack längst zu Schulen begonnen,
Schiller und Goethe gaben der Poesie ein Versmaß, das zu schaffen Lessings
Begabung nicht ausgereicht hatte, Klinger fand keinen Weg in diese Gefilde,
er schrieb nur Prosa, und seine Prosa blieb rauh und hart, so eindringlich
und so plastisch sie auch reden konnte. Auf einzelne Menschen machten
seine Schriften einen tiefen Eindruck, vielfach aber wurden sie, wie die in
Deutschland erschienenen Rezensionen zeigen, nicht verstanden, und im ganzen
thaten sie keine Wirkung mehr.

Er lebte ja aber auch längst ohne Berührung mit den: Publikum, für
das er schrieb. Ju Rußland kam kaum jemand für ihn in Betracht; es war
das Varbarenlaud, in dem er leben mußte, dessen Sprache er nicht kannte, lind
dessen Nation er auch gar nicht kennen zu lernen suchte. Die deutsche Welt
aber und das litterarische Publikum mit seinen Ansprüchen sah er nur von
weitem. Die Großen von Weimar waren sür ihn nicht zugänglich, von Goethe,
dessen wir noch besonders gedenken werden, hatte ihn ein taktloser Klätschcr
aus dem Lavaterscheu Kreise längst getrennt, mit Herders Humanität wußte
er nichts anzufangen, und Schiller, der nun in Weimar gewissermaßen Klingers
Platz einnahm in dem Herzen des einst geliebten und immer noch hochverehrten
Frankfurter Jugendfreundes. Schiller schickte ihm 1803 dnrch seinen Schwager
Wolzoge" einen kühlen Gruß und einen lakonischer Dank für die einst in den
siebziger Jahren des vergangnen Jahrhunderts empfangner litterarischen An¬
regungen, wobei also der Dichter Klinger der letzten fünfundzwanzig Jahre
geflissentlich unbeachtet blieb. Statt dessen mußte er sich an einer gelegent¬
lichen Anerkennung eines ganz andersgearteten Geisteskindes, des aufstrebenden
Jean Paul, genügen lasse", und in herzlicher Freundschaft schloß er sich an
Fritz Jakobi, vorübergehend auch wieder an Stolberg an, namentlich aber an
Goethes vernachlässigten Schwager Schlosser und an dessen Schwiegersohn
Nieolovius, der sein Vermittler'und Helfer wurde i" allen schriftstellerischen
Angelegenheiten, die ja nur durch den deutscheu Buchhandel betrieben werden
konnten. Nieolovius unterstützte ihn dann auch mit rührender Treue bei der


Aus Maximilian Klingers Leben

auf bedeutende Weise mit ausfüllen können; Goethe und Schiller verdunkelten
ihn, und dadurch wurde er überflüssig. Es war ihm immer sehr ernst mit
seinen Dichtungen, sie waren ihm. wie Goethe», Teile seines innern Lebens,
dem er Klarheit dadurch verschaffen wollte. Die Grundtriebe sind kräftig und
männlich; er hatte sich eine Theorie von der moralischen Kraft, die den Dichter
mache, ausgebildet und stellte einem Wilhelm Meister oder Tasso seine anders
gebildeten Helden geradezu entgegen. Alles bloß ästhetische, aber auch jede
Art von Mystizismus war ihm zuwider; was ihn innerlich erfüllte, sollte sich
in scharfen und möglichst klaren Sätzen auskämpfen. Aber zu diesem oft sehr
in die Breite gehenden Inhalt fand sich keine glückliche Form ein. Seit er
einst in seinen „Zwillingen" mit beigetragen hatte zu der Dichtung der neuen
Zeit, hatte sich in Deutschland der Geschmack längst zu Schulen begonnen,
Schiller und Goethe gaben der Poesie ein Versmaß, das zu schaffen Lessings
Begabung nicht ausgereicht hatte, Klinger fand keinen Weg in diese Gefilde,
er schrieb nur Prosa, und seine Prosa blieb rauh und hart, so eindringlich
und so plastisch sie auch reden konnte. Auf einzelne Menschen machten
seine Schriften einen tiefen Eindruck, vielfach aber wurden sie, wie die in
Deutschland erschienenen Rezensionen zeigen, nicht verstanden, und im ganzen
thaten sie keine Wirkung mehr.

Er lebte ja aber auch längst ohne Berührung mit den: Publikum, für
das er schrieb. Ju Rußland kam kaum jemand für ihn in Betracht; es war
das Varbarenlaud, in dem er leben mußte, dessen Sprache er nicht kannte, lind
dessen Nation er auch gar nicht kennen zu lernen suchte. Die deutsche Welt
aber und das litterarische Publikum mit seinen Ansprüchen sah er nur von
weitem. Die Großen von Weimar waren sür ihn nicht zugänglich, von Goethe,
dessen wir noch besonders gedenken werden, hatte ihn ein taktloser Klätschcr
aus dem Lavaterscheu Kreise längst getrennt, mit Herders Humanität wußte
er nichts anzufangen, und Schiller, der nun in Weimar gewissermaßen Klingers
Platz einnahm in dem Herzen des einst geliebten und immer noch hochverehrten
Frankfurter Jugendfreundes. Schiller schickte ihm 1803 dnrch seinen Schwager
Wolzoge» einen kühlen Gruß und einen lakonischer Dank für die einst in den
siebziger Jahren des vergangnen Jahrhunderts empfangner litterarischen An¬
regungen, wobei also der Dichter Klinger der letzten fünfundzwanzig Jahre
geflissentlich unbeachtet blieb. Statt dessen mußte er sich an einer gelegent¬
lichen Anerkennung eines ganz andersgearteten Geisteskindes, des aufstrebenden
Jean Paul, genügen lasse», und in herzlicher Freundschaft schloß er sich an
Fritz Jakobi, vorübergehend auch wieder an Stolberg an, namentlich aber an
Goethes vernachlässigten Schwager Schlosser und an dessen Schwiegersohn
Nieolovius, der sein Vermittler'und Helfer wurde i» allen schriftstellerischen
Angelegenheiten, die ja nur durch den deutscheu Buchhandel betrieben werden
konnten. Nieolovius unterstützte ihn dann auch mit rührender Treue bei der


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[0039] Aus Maximilian Klingers Leben auf bedeutende Weise mit ausfüllen können; Goethe und Schiller verdunkelten ihn, und dadurch wurde er überflüssig. Es war ihm immer sehr ernst mit seinen Dichtungen, sie waren ihm. wie Goethe», Teile seines innern Lebens, dem er Klarheit dadurch verschaffen wollte. Die Grundtriebe sind kräftig und männlich; er hatte sich eine Theorie von der moralischen Kraft, die den Dichter mache, ausgebildet und stellte einem Wilhelm Meister oder Tasso seine anders gebildeten Helden geradezu entgegen. Alles bloß ästhetische, aber auch jede Art von Mystizismus war ihm zuwider; was ihn innerlich erfüllte, sollte sich in scharfen und möglichst klaren Sätzen auskämpfen. Aber zu diesem oft sehr in die Breite gehenden Inhalt fand sich keine glückliche Form ein. Seit er einst in seinen „Zwillingen" mit beigetragen hatte zu der Dichtung der neuen Zeit, hatte sich in Deutschland der Geschmack längst zu Schulen begonnen, Schiller und Goethe gaben der Poesie ein Versmaß, das zu schaffen Lessings Begabung nicht ausgereicht hatte, Klinger fand keinen Weg in diese Gefilde, er schrieb nur Prosa, und seine Prosa blieb rauh und hart, so eindringlich und so plastisch sie auch reden konnte. Auf einzelne Menschen machten seine Schriften einen tiefen Eindruck, vielfach aber wurden sie, wie die in Deutschland erschienenen Rezensionen zeigen, nicht verstanden, und im ganzen thaten sie keine Wirkung mehr. Er lebte ja aber auch längst ohne Berührung mit den: Publikum, für das er schrieb. Ju Rußland kam kaum jemand für ihn in Betracht; es war das Varbarenlaud, in dem er leben mußte, dessen Sprache er nicht kannte, lind dessen Nation er auch gar nicht kennen zu lernen suchte. Die deutsche Welt aber und das litterarische Publikum mit seinen Ansprüchen sah er nur von weitem. Die Großen von Weimar waren sür ihn nicht zugänglich, von Goethe, dessen wir noch besonders gedenken werden, hatte ihn ein taktloser Klätschcr aus dem Lavaterscheu Kreise längst getrennt, mit Herders Humanität wußte er nichts anzufangen, und Schiller, der nun in Weimar gewissermaßen Klingers Platz einnahm in dem Herzen des einst geliebten und immer noch hochverehrten Frankfurter Jugendfreundes. Schiller schickte ihm 1803 dnrch seinen Schwager Wolzoge» einen kühlen Gruß und einen lakonischer Dank für die einst in den siebziger Jahren des vergangnen Jahrhunderts empfangner litterarischen An¬ regungen, wobei also der Dichter Klinger der letzten fünfundzwanzig Jahre geflissentlich unbeachtet blieb. Statt dessen mußte er sich an einer gelegent¬ lichen Anerkennung eines ganz andersgearteten Geisteskindes, des aufstrebenden Jean Paul, genügen lasse», und in herzlicher Freundschaft schloß er sich an Fritz Jakobi, vorübergehend auch wieder an Stolberg an, namentlich aber an Goethes vernachlässigten Schwager Schlosser und an dessen Schwiegersohn Nieolovius, der sein Vermittler'und Helfer wurde i» allen schriftstellerischen Angelegenheiten, die ja nur durch den deutscheu Buchhandel betrieben werden konnten. Nieolovius unterstützte ihn dann auch mit rührender Treue bei der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/39>, abgerufen am 26.06.2024.